Der Bundestag erhielt demnach vom Inlandsnachrichtendienst vor wenigen Wochen eine entsprechende Material-Liste der Rechtsextremisten mit Bestelladressen, Kontakten und Wohnungsbeziehungen.

Anlass war ein Antrag der Bundesanwaltschaft auf erweiterte Überwachungsmaßnahmen gegen die rechtsextremistische Gruppe. Über Eingriffe ins Fernmelde-, Brief- und Postgeheimnis muss die unabhängige G-10-Kommission des Bundestages auf Grundlage eingereichter Dokumente entscheiden.

 

Die Bundesanwaltschaft ermittelt

Nach RND-Informationen stammt die dreiseitige, handgeschriebene Aufstellung von Mitgliedern der rechtsextremistischen Vereinigung „Nordkreuz“. Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit August 2017 gegen Mitglieder dieses Netzwerkes wegen des Verdachts der Vorbereitung einer terroristischen Straftat.

„Nordkreuz“ gehören mehr als 30 sogenannte Prepper an, die über den Messenger-Dienst Telegram miteinander verbunden sind und sich auf den „Tag X“ vorbereiten – den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung durch eine Flüchtlingswelle oder islamistische Anschläge und die anschließende Liquidierung politischer Gegner.

 

Waffen vom LKA gestohlen

Die meisten Personen der Chat-Gruppe stammen aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei, darunter sind mehrere ehemalige sowie ein aktives Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Landeskriminalamtes (LKA) Mecklenburg-Vorpommern. Alle Mitglieder von „Nordkreuz“ haben Zugang zu Waffen, verfügen über Zehntausende Schuss Munition und sind geübte Schützen.

Gegen drei der Männer ermittelt parallel die Staatsanwaltschaft Schwerin. Ihnen wird vorgeworfen, seit April 2012 illegal rund 10.000 Schuss Munition sowie eine Maschinenpistole aus Beständen des LKA abgezweigt zu haben.

 

Mit Polizei-Computern 25.000 Adressen gesammelt

Die Beschuldigten bestreiten, „Todeslisten“ angelegt und Ermordungen geplant zu haben. In Sicherheitskreisen heißt es dagegen, die Vorbereitungen auf den „Tag X“ seien mit „enormer Intensität“ betrieben worden. Die „Prepper“ hätten unter Zuhilfenahme von Dienstcomputern der Polizei knapp 25.000 Namen und Adressen zusammengetragen.

Dabei handele es sich in den allermeisten Fällen um Personen aus dem regionalen Umfeld der „Prepper“, bevorzugt Lokalpolitiker von SPD, Grünen, Linken und CDU, die sich als „Flüchtlingsfreunde“ zu erkennen gegeben und Flüchtlingsarbeit geleistet hätten.

 

Todeslisten“ mit Namen

Jedes Mitglied der Chat-Gruppe „Nordkreuz“ habe Dörfer und Gemeinden in seiner Umgebung systematisch nach möglichen Zielpersonen abgesucht. Die gesammelten Namen stammten überwiegend aus Mecklenburg-Vorpommern mit den Schwerpunkten Wismar, Ludwigslust und Schwerin sowie aus der Region Perleberg und Pritzwalk im Norden Brandenburgs.

Das Erstellen von sogenannten Todes- oder Feindeslisten durch rechtsextreme bis rechtsterroristische Gruppierungen ist in der gewaltbereiten rechten Szene nicht unüblich.

Auf der „Todesliste“ des rechtsextremen Bundeswehroffiziers und falschen syrischen Flüchtlings Franco A., die 2017 bekannt wurde, stand unter anderem die Amadeu-Antonio-Stiftung. Der Täter hatte die Räumlichkeiten der Organisation, die sich gezielt gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus stark macht, bereits ausgekundschaftet.

 

„Nordkreuz“ ist Teil eines Polizei-Netzwerks

Zudem fanden sich auch der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) oder das „Zentrum für politische Schönheit“ (ZpS) auf dieser Liste.

Weitere Recherchen zeigen, dass Franco A. Teil des „Hannibal-Netzwerks“ in Polizei und Bundeswehr ist, zu dem auch „Nordkreuz“ gehört. Bislang unbestätigt ist die Vermutung der Ermittler, dass sich das rechte Netzwerk in Bundeswehr und Polizei über ganz Deutschland erstreckt und in vier Sektionen nach Himmelsrichtungen aufteilt. Franco A. würde demnach der Sektion „Südkreuz“ angehören.

 

Auf NSU-“Todesliste“ stand auch Lübckes Name

Die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hatte bis zu ihrer Enttarnung 2011 Angaben über etwa 10.000 Personen gesammelt, darunter fast 400 Adressen von Parteien, Politikern, Militärstandorten und jüdischen Einrichtungen als mögliche Terrorziele. Auf der NSU-Liste befand sich auch der Name des Anfang Juni ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU).

Hass- und Drohmails an eine ebenfalls in Hessen lebende Juristin mit migrantischem Hintergrund, die am NSU-Prozess beteiligt war, konnten vor wenigen Monaten bis zu einer Frankfurter Polizeidienststelle zurückverfolgt werden.

Die Mails waren unterschrieben mit „NSU 2.0“. Der mutmaßliche Mörder Lübckes hat am Dienstag ein Geständnis abgelegt. Stephan Ernst stammt aus der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden.

 

„Ausmaß massiv besorgniserregend“

Die Opposition verlangt weitere Aufklärung, vor allem auch darüber, ob angesichts der großen Zahl von Personen, die sich auf den „Todeslisten“ von Rechtsextremisten befinden, nicht schon längst weitere Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen gewesen sind, von denen die Öffentlichkeit bislang nichts weiß.

„Die Planungen, die sich nun offenbaren, sind in Ausmaß und Konkretisierung massiv besorgniserregend“, sagte Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz dem RND. „Unser Staat ist in der Pflicht, die sich hier abzeichnenden und bisher unübersichtlichen Netzwerkstrukturen zu analysieren, aufzuklären und mit allen staatlichen Mitteln zu bekämpfen“, sagte der Grünen-Politiker.

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Juli 2019 | Allgemein | Kommentieren