Wem gehört der Prager Schriftsteller Franz Kafka? Wer hat das Recht und wem steht es zu, für ihn und sein Erbe zu sprechen? In einer Serie spektakulärer Gerichtsprozesse in Israel hat man diese Frage in immer neuen Varianten erörtert. Benjamin Balint hat nun ein spannendes und ausgesprochen lesenswertes Buch über den darüber entstandenen Streit geschrieben: Ist Franz Kafka ein deutschsprachiger Schriftsteller, der zufällig Jude war? Oder war er ein jüdischer Schriftsteller, der deutsch schrieb, aber sich nicht als Deutscher, sondern allenfalls als deutschsprachiger Prager ansah?
Der darüber geführte Streit, der nicht nur vor Gerichten, sondern auch in Feuilletons ausgetragen wurde und wird, entzündete sich an der Frage, wo Kafkas Hinterlassenschaften besser aufgehoben sind, an der Nationalbibliothek in Jerusalem [The National Library of Israel] oder im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Was diesen Streit so kompliziert macht, ist der Umstand, dass wichtige Kafka-Hinterlassenschaften (Briefe, Prosafragmente und anderes) sich in wesentlichen Teilen nicht ohne weiteres vom Max Brod Nachlass trennen lassen.

Max Brod, seinerzeit in Prag eng befreundet mit Franz Kafka, hatte sich nach dessen Tod 1924, und zwar gegen dessen ausdrücklichen Willen, um dessen Erbe (Manuskripte, Tagebücher, Briefe) gekümmert. Bekanntlich hatte Kafka verfügt, dass seine schriftlichen Hinterlassenschaften nach seinem Tod vernichtet werden sollten.
Max Brod hielt sich hingegen nicht an Kafkas Anweisung und rettete damit – was sein unbestreitbares Verdienst ist – für die Nachwelt Kafkas literarisches Vermächtnis.

Für die Leser dürfte von Interesse sein, dass der damals gerade einmal 21 Jahre alte Hans-Joachim Schoeps (1909-1980), der Begründer der ZRGG , zusammen mit Max Brod die erste posthume Kafka-Edition unveröfffentlichter Kafka-Erzählungen und -Prosa unter dem Titel Beim Bau der chinesischen Mauer auf den Weg gebracht hat. Der erste Band der auf zwei Bände konzipierten Edition erschien auf Empfehlung Siegfried Kracauers in der zweiten Maihälfte 1931 im Gustav Kiepenheuer Verlag. In dem vom Verfasser 1985 herausgegebenen Briefwechsel Max Brod/Hans-Joachim Schoeps kann im Einzelnen nachgelesen werden, wie es zur Edition und zur Zusammenarbeit zwischen Brod und Schoeps kam.

Der geplante zweite Band, dessen Erscheinen für das Frühjahr 1933 vorgesehen war,
kam nicht mehr zustande.
Die Machtübertragung an Hitler und die Nationalsozialisten
Julius H. Schoeps (Hg.), Im Streit um Kafka und das Judentum.
Max Brod/Hans-Joachim Schoeps Briefwechsel, Königstein, Ts. 1985.

Benjamin Balint Kafkas letzter Prozess

Der wohl berühmteste Koffer der Literaturgeschichte hätte es beinahe nicht geschafft. Max Brod hatte ihn bei sich, als er 1939 mit dem letzten Zug von Prag nach Palästina floh. Im Koffer: Manuskripte, Notate, Kritzeleien seines Freundes Franz Kafka. Jahrzehnte später entsponn sich darum ein Gerichtskrimi, der erst 2016 ein Ende fand. Vordergründig wurde über den Nachlass von Max Brod entschieden, doch standen noch ganz andere Fragen im Raum: War Kafka vor allem ein jüdischer Autor? Wo ist sein Erbe richtig aufgehoben? In Israel? Oder in jenem Land, in dessen Namen Kafkas Familie einst ausgelöscht wurde? Eine filmreife Geschichte, die nicht nur zeigt, weshalb die Frage, wem Kafka gehört, zum Glück nie entschieden werden kann.

 Eine meisterliche Spurensuche. Dieses gut recherchierte, spannende Buch erhellt das komplexe Verhältnis zwischen Literatur, Religion, Kultur und Nationalität.

Benjamin Balint
:
Kafkas letzter Prozess

Aus dem Englischen von Anne Emmert

336 Seiten · Halbleinen · fadengeheftet · 134 × 200 mm
Auch als E-Book
Frühjahr 2019
ISBN 978-3-946334-48-4
25,00 Euro

Leseprobe Berenberg-Verlag

Benjamin Balint, geboren 1976 in den USA, lebt als Autor und Übersetzer aus dem Hebräischen in Jerusalem.
Anne Emmert
, geboren 1964 in Gütersloh, übersetzt seit 1996 überwiegend Sachbücher aus dem Englischen.

Kollegen schreiben:

»Benjamin Balint hat (…) ein fabelhaftes Buch geschrieben, in dem Literaturgeschichte, Justizreportage, Geschichte und Politik eine brisante Mischung eingehen. (…) Eine spannend zu lesende, ausgewogen informierende Darstellung für alle Kafka-Leser.«
Wolfgang Schneider, FAZ

»Sein Buch besticht durch die geduldige Nachzeichnung der juristischen Argumentationen und die Auffächerung der politischen und kulturellen Dimensionen, die darin enthalten sind.«
Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung

»Der Kulturjournalist Benjamin Balint hat diesen beeindruckenden Fall (…) vielschichtig nachgezeichnet.«

3sat Kulturzeit:
»Eine ebenso sorgfältige wie erhellende Darstellung der kafkaesken Nachlasskämpfe um Kafkas Erbe.«

NZZ am Sonntag:
»Detailreich, packend, provokativ und poetisch führt sein Buch die Facetten des israelisch-deutschen Kafka-Streits vor Augen.«

Natascha Freundel, Deutschlandfunk Kultur
»Wer sich nicht an Reiner Stachs dreibändige Kafka-Biografie wagt, dem sei Balints literaturhistorisch gut informiertes, mit der internationalen Kafka-Forschung bestens vertrautes Buch ans Herz gelegt. Eine grandiose Spurensuche, die auch das Verhältnis von Kultur und deren Besitz, von Literatur, Nation und Religion beleuchtet.«

Mathias Schnitzler, Berliner Zeitung
»Aufgeschrieben ist der Literatur- und Gerichtskrimi journalistisch, wissenschaftlich und erzählerisch zugleich: eine gut recherchierte Spurensuche, die nicht nur Kafka-Fans faszinieren kann.«

»Ein wunderbares Buch!«
Hagalil

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Kafka’s Last Trial.
The Case of a Literary Legacy« bei W. W. Norton & Company Inc. in New York. Für die deutsche Ausgabe hat der Autor den Text an einigen Stellen überarbeitet.© 2018 Benjamin Balint
© der deutschen Übersetzung: © 2019 Berenberg Verlag GmbH

Juli 2019 | Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton, Junge Rundschau | Kommentieren