Trump mit Kippa, Netanjahu als Hund – diese in der „NYT“ erschienene Karikatur wurde stark kritisiert. Foto: NYT

Hintergrund ist ein Skandal um eine antisemitische Zeichnung. Die „New York Times“ hat gerade verkündet, dass sie ab 1. Juli keine politische Karikaturen mehr in ihrer internationalen Ausgabe veröffentlichen wird. Das betrifft die Werke von Patrick Chappatte und Heng Kim Song, zwei Karikaturisten, mit denen die Zeitung seit einigen Jahren zusammengearbeitet hat.
Bereits zwei Monaten zuvor hatte die US-Zeitung angekündigt, keine Karikaturen mehr zu veröffentlichen, die an mehrere Medien parallel verkauft werden („syndicated cartoons“). Anlass war damals die Empörung, die eine Karikatur des portugiesischen Zeichners António Moreira Antunes von Benjamin Netanyahu und Donald Trump wegen ihrer als antisemitisch empfundenen Bildsprache ausgelöst hatte.

James Bennet, verantwortlicher Redakteur für die Meinungsseiten der „New York Times“, begründete den jüngsten Schritt am Dienstag damit, dass die internationale Ausgabe der Zeitung der nationalen Ausgabe angeglichen werden soll, die keine Karikaturen veröffentliche.

Bennet kündigte zugleich an, die „New York Times“ werde auch weiterhin in ihre Kommentarseiten investieren und setze dabei auch auf „visuellen Journalismus“, der nuanciert, komplex und meinungsstark eine Vielfalt von Sichtweisen wiedergebe.

Pulitzer-Preis für eine Comicreportage

Erst im vergangenen Jahr, auch darauf weist James Bennet in dem Artikel der „New York Times“ hin, hatte die Zeitung einen Pulitzer-Preis für politische Karikaturen gewonnen, und zwar für eine Comicreportage von Jake Halpern und Michael Sloan. Diese erzählt unter dem Titel „Welcome to the New World“ die Geschichte einer syrischen Flüchtlingsfamilie.

Öffentlich bekannt wurde die jüngste Entscheidung der „New York Times“ durch eine Twitter-Nachricht von Patrick Chappatte, der das Vorgehen seines bisherigen Arbeitsgebers scharf kritisierte. „Ich befürchte, es geht hier nicht nur um Karikaturen, sondern um Journalismus und Meinungsäußerungen allgemein“, schrieb der Schweizer Zeichner, der auch für diverse europäische Zeitungen arbeitet.
Er wirft (die taz tut das – und wir auch) der „New York Times“ vor, gegenüber dem „Mob“ der sozialen Medien eingeknickt zu sein. Von Patrick Chappatte sind derzeit Arbeiten auch in einer Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation zum Thema Comic-Journalismus zu sehen.

Die inkriminierte Karikatur der „New York Times“ aus dem April zeigt Netanjahu als Blindenhund mit Davidstern am Halsband, der einen blinden US-Präsidenten Donald Trump führt. Trump trägt in der Zeichnung eine Kippa.
In der jüdischen Gemeinde in den USA hatte die Karikatur Entsetzen hervorgerufen. Israels UN-Botschafter verglich die Zeichnung mit der NS-Propagandazeitung „Der Stürmer“. Tage danach hatte die „New York Times“ erklärt, die Zeichnung sei antisemitisch und „beleidigend“ gewesen. Sie entschuldigte (in einer ähnlichen Angelegenheit tat das die SZ unerfreulicherweise auch) sich für die „Fehleinschätzung, sie zu veröffentlichen“.

„Ich lege meinen Stift mit einem Seufzer nieder“

Auch Chappatte verurteilte die Veröffentlichung der Karikatur. „Ich lege meinen Stift mit einem Seufzer nieder“, schreibt er auf seiner Website. „Das ist eine Menge Arbeit, die von einem einzigen Cartoon, nicht einmal meinem eigenen, rückgängig gemacht wird.“ Der Netanjahu-Cartoon hätte nicht gedruckt werden dürfen, so Chappatte weiter.

Der Umgang mit politischen Karikaturen hat in jüngster Vergangenheit zu einer Debatte um Meinungsfreiheit, Toleranz und Religionsfeindlichkeit geführt. Der dänische Journalist Flemming Rose, der 2005 die Mohammed-Karikaturen als Kulturchef der Zeitung „Jyllands-Posten“ in Auftrag gab (in deren Folge es weltweit zu gewalttätigen Ausschreitungen kam), hat sich vor Tagen für die weltweite Abschaffung von sogenannten Blasphemie-Paragrafen ausgesprochen. Das bedeute einen großen Schritt für die Förderung von Toleranz.

In der Bundesrepublik wird Artikel 166 im Strafgesetzbuch auch als Blasphemie-Paragraf bezeichnet. Er enthält das Verbot der öffentlichen Beschimpfung von religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen und Religionen, wenn dadurch der öffentliche Frieden gestört wird. Dazu Rose: „In einer liberalen Demokratie hat jeder Mensch viele Rechte, aber niemand sollte das Recht haben, nicht angegriffen zu werden.“
Und Netanjahu (und Trump) schon gar nicht. Wäre ich (got) israelischer Staatsbürger würde ich mich für Netanjahu fremdschämen. Jedoch haben wir hierzulande Politiker genug, die sich dafür auch bemerkenswert gut eignen …

Juni 2019 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren