Staatliche Jugendschützer haben dem einzigen anerkannten Jugendschutzprogramm die Zulassung entzogen. Für deutsche Internetanbieter heißt das: Sie müssten Zugriffsschranken oder Sendezeitbeschränkungen einführen.
Die Mitteilung kam so prompt wie unerwartet: Am Mittwoch verkündete die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), dass sie die Zulassung für das Programm JusProg widerrufe. Grund dafür sei die mangelhafte Wirkung des Programms, das bisher nur für Windows-PCs und den Browser Chrome angeboten werde.

„Eine Eignung als Jugendschutzprogramm setzt voraus, dass dieses plattform- und geräteübergreifend funktioniert und sich am Nutzungsverhalten der Anwender ausrichtet“ begründet der KJM-Vorsitzende Wolfgang Kreißig die Maßnahme. Anders formuliert: Ein Jugendschutzprogramm, das Jugendliche nicht schützt, wenn sie mit dem Smartphone ins Internet gehen, erfüllt seinen Zweck nicht.

Amtliche Jugendschützer und Selbstkontrolle

Mit der Mitteilung geht die KJM auf Kollisionskurs mit der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Dienstleister (FSM). Die von der Wirtschaft getragene Organisation ist laut Gesetz eigentlich für die Zulassung der Jugendschutzprogramme zuständig und hatte erst im März die Zulassung von JusProg erneuert. Damit habe die Selbstregulierung aber ihre Kompetenzen überschritten, so lautet der Standpunkt der KJM. Mehr noch: Die KJM hat die sofortige Wirksamkeit ihrer Maßnahme angeordnet.

Damit hat der Streit zwischen KJM und FSM unmittelbare Auswirkungen auf vermutlich Tausende deutscher Webangebote und damit auch auf deren Nutzer. Denn laut Jugendmedienschutz-Staatsvertrag müssen die Anbieter sogenannter Telemedien – zum Beispiel das Online-Angebot von SPIEGEL.TV – dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche nicht mit „entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten“ konfrontiert werden.
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Dank der Existenz von JusProg, entwickelt vom gleichnamigen Verein, war das bisher relativ einfach: Anbieter mussten nur eine kurze Textdatei mit einer Altersbeschränkung auf ihren Server hochladen und konnten dann darauf vertrauen, dass das Angebot ausreichend gesichert ist. Denn nun war es die Aufgabe der Eltern, den Internetzugang ihrer Kinder entsprechend abzusichern – zum Beispiel mit einer Filtersoftware wie JusProg.

Ohne JusProg hingegen wandert der Schwarze Peter wieder zu den Betreibern. Sie müssen nun auf andere Weise sicherstellen, dass kein Elfjähriger einen Film wie“50 Shades of Grey“ zu Gesicht bekommt. Dazu könnten sie zum Beispiel ihre Angebote anmeldepflichtig machen und Nutzer erst nach Altersverifizierung freischalten. Für die meisten Anbieter ist dies jedoch keine praktikable Lösung. Als Ausweg sieht der Staatsvertrag sogenannte „Sendezeitgrenzen“ fest. Das heißt: Analog zum Fernsehen könnten diese Anbieter „entwicklungsgefährdende“ Inhalte erst nachts ab 22 oder 23 Uhr zeigen.

FSM prüft Klage

„Mit der Entscheidung ist für den Jugendschutz in Deutschland wenig gewonnen, aber sehr viel verloren“, sagt Stefan Schellenberg, Vorsitzender des JusProg-Vereins. Wenn deutsche Anbieter bestimmte Inhalte nur nachts ausstrahlen könnten, würde der Jugendschutz allenfalls graduell erhöht. Diese scheinbare Verbesserung habe aber einen hohen Preis. „Denn der Schutz vor ausländischen Angeboten, die sich nicht an deutsche Jugendschutzvorschriften halten, fällt dadurch weg“, erklärt der Vereinsvorsitzende.
JusProg für Windows

JusProg für Windows

Zwar räumt Schellenberg im Gespräch mit dem SPIEGEL ein, dass Eltern auch andere Schutzprogramme einsetzen könnten. Die seien aber in der Regeln kostenpflichtig. „Wir sind jedoch der Überzeugung: Jugendschutz sollte kostenfrei sein“, betont Schellenberg. Die Entwicklung von JusProg wird von den Vereinsmitgliedern finanziert. Diese profitieren von dem vereinfachten Jugendschutz-Regime. Neben der Deutschen Telekom und Vodafone gehören dazu auch private TV-Anbieter wie RTL und ProSiebenSat1, dazu Unternehmen aus der Gamesbranche wie Electronic Arts.

Diese Unternehmen sehen sich nun zu unrecht belastet. So verurteilen der Verband VAUNET, in dem private Rundfunkunternehmen organisiert sind, und der Bundesverband Game, in dem Spieleentwickler organisiert sind, die Entscheidung der KJM. Die FSM selbst prüft eine Klage gegen die KJM vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Die Freiwillige Selbstkontrolle macht geltend, dass das staatliche Gremium im Jahr 2012 selbst JusProg genehmigt hatte und dass das Programm seitdem wesentlich verbessert worden sei. „Darüber hinaus schreiben die gesetzlichen Bestimmungen nicht vor, dass die Programme plattform- und geräteübergreifend funktionieren müssen“, erklärt Martin Drechsler, Geschäftsführer der FSM. Abgesehen davon gibt es JusProg durchaus als iOS-App, sowie zumindest über einen bestimmten Vodafone-Tarif sowohl für iOS, als auch für Android, was die KJM schlicht ignoriert.

Bis wann die Telemedienanbieter ihre Angebote umgestellt haben müssten, ist derzeit unklar. Dazu müsste der Bescheid der KJM erst von der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg zugestellt werden. Bisher stehe dieser Schritt noch aus, erklärt Schellenberg.

Nächster Schritt: Netzsperren?

Der Konflikt um JusProg könnte ein erster Schritt einer fundamentalen Umwälzung des Jugendschutzes in Deutschland sein. So dringen Medienpolitiker wie die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab auf verschärfte Jugendschutzbestimmungen. Diese sollen im Medienstaatsvertrag verankert werden, der 2020 von den Ministerpräsidenten unterschrieben werden soll.
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Zu den diskutierten Maßnahmen gehören Netzsperren. Internetprovider wie die Telekom könnten verpflichtet werden, Portale für ihre Kunden zu sperren, wenn diese sich nicht an deutsche Jugendschutzvorschriften halten. So hatte Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, vergangene Woche ein vereinfachtes Verfahren gefordert, unzulässige Angebote über deutsche Provider sperren zu lassen.

Unterstützung bekommt ein solcher Schritt vom Bundesverband Erotik Handel, zu dessen Mitgliedern unter anderem das deutsche Erotikunternehmen Beate Uhse gehört. Erst im April hatte der Verband eine Kampagne gegen die Konkurrenz durch YouPorn und Co. gestartet. „Nach wie vor ist die kostenlose und völlig uneingeschränkte Verbreitung von Pornografie über das Internet das Hauptproblem für den legalen Handel in Deutschland“, heißt es auf der Website des Verbandes. Dies könne nur durch die Durchsetzung von Netzsperren erreicht werden, argumentieren die Erotikanbieter.

Mai 2019 | €uropa | Kommentieren