Professor Hurrelmann, die sogenannte Generation Y sei angepasst und furchtbar unpolitisch, sagen viele …
… Sie bezeichnen die derzeit 15- bis 30-Jährigen in Ihrem Buch „Die heimlichen Revolutionäre“ hingegen als genau das: Eine Generation, die Bildungswesen und Berufsleben nicht mit Krawall umkrempelt, sondern eher unbemerkt. Warum?
Es gibt ein Muster, das durch die 68er, zu denen ich ja selbst gehöre, in unseren Köpfen steckt: Eine junge Generation ist dadurch gekennzeichnet dass sie aufmuckt, dass sie alles in Frage stellt, was die Vorgängergeneration auf die Beine gestellt hat. Doch das ist bei den derzeit Jungen nicht der Fall. Deshalb ziehen viele den Schluss: Die sind aber angepasst. Das sind sie in gewissem Sinne auch. Denn indem sie quasi von Geburt an mit den sehr komplexen Veränderungen durch die fortschreitende Technisierung der letzten zehn Jahre zurechtkommen mussten, indem sie in einer sehr unsicheren Zeit vor dem Hintergrund der Terroranschläge in New York, Umweltkatastrophen wie in Fukushima und der Wirtschaftskrise sozialisiert wurden, haben sie gelernt: Alles ist im Fluss, nichts ist mehr sicher, am allerwenigsten ein Arbeitsplatz. Deshalb passen sie sich dem System an, optimieren ihre Ausgangslage. Sie fragen sich: Was brauche ich, was bringt mich weiter? Sie gehen ihr Leben taktisch an, richten sich ganz stromlinienförmig auf den Erfolg aus.
Wo bleibt da der Idealismus?
Woher soll in dieser Generation Idealismus kommen, was soll ihnen Idealismus bringen? Es geht in erster Linie darum, der Gefahr zu entgehen, zu den etwa 20 Prozent jedes Jahrgangs zu gehören, die gar nicht in Ausbildung und Beruf kommen. Das müssen sie auch, um in dieser unsicheren Welt zu überleben. Das heißt jedoch nicht, dass sie immer mit dem Strom schwimmen. Die derzeit Jungen verändern vieles, aber eben zu ihren Gunsten und Bedingungen, nicht unbedingt nur aus idealistischen Gründen wie manche Generation vor ihnen. Ich würde sagen, sie sind pragmatische Idealisten. Sie scheinen zu spüren, wenn ich das System von außen angreife, werden sich die Fronten verhärten, und es wird viel schwieriger, etwas zu verändern. Sie versuchen, das System von innen heraus zu unterwandern. Und das ist das eigentlich Revolutionäre an dieser Generation.
Wer das beobachtet, beruft sich auf Umfragen, in denen ein Wunschszenario vorgegeben wird: Wo würde ich gerne arbeiten, wenn ich die freie Wahl hätte? Und in diesen Umfragen schneiden alle Berufe mit Beamtenstatus überdurchschnittlich gut ab. Das wird meiner Meinung nach überbewertet. Selbstverständlich wählt eine Generation, die in der prägenden Zeit der Pubertät mit der derzeit herrschenden Unsicherheit konfrontiert ist, ob sie überhaupt in den Beruf hineinkommt, einen sicheren Arbeitsplatz. Denn sie weiß ja auch, dass etwa 40 Prozent der Arbeitsverträge von Berufsanfängern befristet sind, da wünscht man sich doch natürlich, dass man zu den unbefristeten Arbeitnehmern gehört. Aber meine Recherchen haben auch ergeben, dass sich die sehr gut Qualifizierten auch sehr gut überlegen, ob sie in eine solche Position, also zum Beispiel in die eines Beamten, überhaupt gehen, in der sie möglicherweise gar nichts gestalten können – was sie ja aber durchaus wollen, wie wir festgestellt haben. Dann nehmen sie lieber eine unsichere Stelle und setzen darauf, dass sie gut genug sind, um den Arbeitgeber zu wechseln, wenn sie unzufrieden sind.
Wo machen sich die Veränderungen schon bemerkbar, die diese Generation Ihrer Ansicht nach einläutet?
Bislang vor allem im Bildungsbereich. 70 Prozent der Eltern wünschen sich, dass ihr Kind Abitur macht. Diesen Anspruch haben ihre Kinder übernommen und investieren viel in ihre Bildung, vor allem Mädchen und junge Frauen sind überdurchschnittlich gut gebildet. Schulen und Lehrern gegenüber haben die Jungen eine Art pädagogischen Dienstleistungsanspruch. So ist das Gymnasium in den letzten Jahren von einer eher obrigkeitshörigen, etwas verstaubten Anstalt mit einer Friss-oder-stirb-Mentalität zu einer Art Serviceinstitution geworden.
Und wie gefällt das den Lehrern?
Die jungen Leute haben sie in den vergangenen fünfzehn Jahren zu ihren Verbündeten gemacht. Und sorgen so dafür, dass sich der Ablauf stark nach ihren Vorstellungen richtet. Sie ordnen sich nicht dem System unter, sondern zwingen es, sich ihnen anzupassen. Sie hinterfragen, was ihnen geboten wird, fordern Innovation im Lehrbetrieb und das mit dem Ziel, gut abzuschneiden. Dahinter steckt natürlich ein Kosten-Nutzen-Denken: Wie viel und was muss ich tun, um ein bestimmtes Zertifikat zu erreichen, was muss passieren, um eine gute Note zu bekommen. Da ist natürlich sehr wohl ein opportunistischer Zug mit drin, es ist auch klar, dass dabei nicht nur die Inhalte des Gelernten im Vordergrund stehen. Aber all das machen die Jungen aus dem Antrieb heraus, sich gut zu qualifizieren. Nun sind sie dabei, ihre Vorstellungen auch an den Hochschulen einzufordern, doch da ist es sehr viel schwieriger, sich einen Paradigmenwechsel zu erstreiten, denn dort hält die Lehrerschaft noch sehr an einem alten, eher hierarchischen Kurs fest. Aber auch dort werden sie ihre Vorstellungen über kurz oder lang durchsetzen, da bin ich mir ganz sicher.
Viele Personaler beklagen, diese Generation sei mehr an einer guten Work-Life-Balance interessiert als daran, sich für die Karriere krumm zu machen.Und warnen vor einem Mangel an gutem Führungspersonal. Sie hingegen sagen, diese Generation werde den Arbeitsmarkt positiv beeinflussen. Wie kommen Sie zu dieser völlig konträren Ansicht?
Das sind meiner Meinung nach Projektionen von Ängsten, die noch gar nicht bestätigt sind. Denn zunächst einmal: So viele der betroffenen Jahrgänge sind ja noch gar nicht ins Berufsleben eingetreten, viele von ihnen sind ja noch gar nicht an einem Punkt ihrer Karriere angekommen, in der sie Verantwortung übernehmen sollen, da wollen wir doch erst mal sehen, wie sie sich dann bewähren. Allerdings deuten alle Untersuchungen zu dieser Frage darauf hin, dass Karriere zu machen per se nicht das erklärte Ziel dieser Generation ist. Ihr Wunsch ist es vielmehr, Einfluss zu haben und etwas zu gestalten, was sie für wichtig halten – hier kommt übrigens wieder diese Zentriertheit auf sich selbst, die Ego-taktische Grundhaltung, zum Vorschein, was ich aber gar nicht negativ werten möchte. Wenn ich den jungen Leuten bei diesen Vorstellungen entgegenkomme, dann werde ich sie durchaus für eine höhere Ebene der Hierarchie im Unternehmen begeistern können. Wenn sie aber merken, dass dieses Karrieremachen ihnen die Möglichkeit des Gestaltens nimmt, dann werden sie sehr zögern, sich auf diese Position einzulassen. Sie werden nicht per se Karriere machen, um mehr Geld zu bekommen und mehr Macht zu haben – wobei, natürlich werden sehr viele von ihnen sich das noch überlegen, wenn sie vor diesen Optionen stehen: Auch die 68er haben diese eher bürgerlichen Ziele zunächst abgelehnt, und einige von ihnen haben dann doch die Karriereleiter ganz schön zügig erklommen. Bei der derzeit jungen Generation sieht es allerdings stark danach aus, dass sie eine berufliche Tätigkeit suchen, in der sie ihre Vorstellungen verwirklichen können und die sie am Leben lässt: beim Arbeiten leben und beim Leben arbeiten. Daraus zu interpretieren, sie kniffen vor Karriere, ist völlig falsch. Sie spüren eher fast schon hellseherisch, wie gefährlich diese Selbstausbeutungsspiralen sind, in die man im heutigen Berufsleben geraten kann.
Die Befürchtungen der Personalmanager, die derzeit Jungen würden keine Führungsaufgaben mehr übernehmen – können – wären also völlig unbegründet?
Meine Prognose: Die Entscheidung, wer in der Hierarchie aufsteigt, wird in dieser Generation sehr stark nach Sachkriterien gefällt. Die derzeit Jungen sind eher Teamarbeiter, und sie organisieren sich nicht in einer Hierarchie, in der einer den Ton angibt, sondern sie sind gleichberechtigt und betreiben Aufgabenteilung. Und wenn wir mal ganz genau hinschauen, sind das Organisationsstrukturen, zu denen Berater den Unternehmen seit Jahren dringend raten und was vielen Firmen so schwerfällt, umzusetzen: von den straffen Hierarchien abzurücken, die Belegschaft stärker an Entscheidungen zu beteiligen und dadurch ein besseres Betriebsklima zu schaffen. Die derzeit junge Generation hingegen bringt das als natürliche Attitüde mit und arbeitet intuitiv nach diesem Modell, fordert es sogar selbstbewusst ein. Das finde ich ganz erstaunlich und bemerkenswert. Das mag das heutige Führungspersonal irritieren. Aber anstatt das abzulehnen, sollten sie dieser Generation, die besser ausgebildet ist als jede vor ihr, entgegenkommen.