Der Satiriker Jan Böhmermann wird derzeit als Schaumschläger und Mini-Trump geschmäht. Denkt denn niemand an die Inhalte? Wir tun das mal: Böhmermann habe sich vorgenommen, die Öffentlichkeit ständig auf sich aufmerksam zu machen. Nur das befeuerte seine Reichweite bei „Neo Magazin Royale“, seine Abrufquote bei „Fest & Flauschig“, den Kartenverkauf für das „Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld“. Dieses Response-System funktioniert in einer erregten, auf jeden Fall leicht erregbaren Mediengesellschaft. Die eine Hälfte des Publikums schäumt vor Freude, die andere Hälfte schäumt vor – ja, was denn?
Jan Böhmermann hat Freunde und Feinde –
was nicht nur „eigentlich“ für den Satiriker spricht.
Ein fähiger, fleißiger Satiriker – das sei er einmal gewesen; nun sei er ein Social-Media-Star, der durch oberflächliche Beschimpfung einen öffentlichen Skandal nach dem nächsten inszeniert. Ein überpräsenter „Twitter-Trump“ mit zwei Motiven: Ruhmsucht und Geldgier.
Es ist das Gegenteil der Fall:
Selten hat die öffentliche Debatte jemanden wie Böhmermann so dringend gebraucht wie jetzt. Hat sich denn niemand die Mühe gemacht, den Ausschnitt im österreichischen Fernsehen, der gerade im Zentrum des neuesten Böhmermann-Skandals steht, einmal ganz anzuschauen?
Denn dort saß kein Spaßvogel-Böhmermann, der für ein paar schnelle Likes Witze auf Kosten der Ösis abfeuerte. Sondern ein Komiker, der ernst und nachdrücklich ein klares politisches Statement formulierte. Doch anscheinend arbeitet sich Deutschland lieber an der Provokation als an den Inhalten ab.
Gegen die schleichende Normalisierung rechter Polemik
Böhmermann sprach über den Rechtsruck in Österreich, die Angriffe der rechtspopulistischen FPÖ gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und über die von ihm inszenierte Kunstaustellung „Deuscthland#ASNCHLUSS#Östereich“ in Graz, die diese Themen künstlerisch aufarbeitet.
Und der Skandal um die „acht Millionen grenzdebile Österreicher“-Äußerung? ORF-Kulturredakteur Christan Konrad fragte Böhmermann, was dieser von der Aussage des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard halte. Bernhard hatte schon in den achtziger Jahren mit Blick auf die damalige Wahl von Rechten ins Parlament gesagt, in Österreich gebe es anscheinend sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige. Böhmermann antwortete: „Inzwischen sind es acht Millionen Debile, aber der Ruf nach autoritärer Führung ist immer noch sehr laut.“
So weit, so unspektakulär.
Das tückische an den aktuellen Zuständen in Österreich sei, sagte Böhmermann, dass eine schleichende Normalisierung von Dingen eintrete, die schlicht nicht normal seien – etwa, ein 32-jähriger Bundeskanzler. Oder eine Koalition, in der eine rechtspopulistische Partei wie die FPÖ Juniorpartner der Regierung sei.
Und, mit welchen öffentlichen Äußerungen Politiker heute unbeschadet durchkämen. „Es ist kein Zustand, dass der Vizekanzler eines Landes wie Österreich sagt: ‚Ich hau bei Facebook volksverhetzende Scheiße raus oder geh Journalisten an‘ und hinterher soll das alles Satire gewesen sein?. Politiker machen keine Satire“, sagte Böhmermann während der Aufzeichnung.
Nerven ist gesellschaftliche Aufgabe von Satire
Es ist kein Geheimnis, dass die AfD an der Einführung „österreichischer Verhältnisse“ in Deutschland arbeitet. Umso notwendiger ist es, dass ein Satiriker wie Böhmermann (endlich) politisch wird.
Wie nun aber kommt bei diesem Sachverhalt wer auf die Idee, Böhmermann ginge es nur um die Schmähkritik an sich, nur um den Medienrummel? Wie kommt man zu dem Fazit, seine Arbeit träfe nicht den Nerv der Zeit?
Wie absurd ist in diesem Kontext, ausgerechnet dem Komiker vorzuwerfen, er übertrete Grenzen, er solle sich in der Öffentlichkeit mäßigen? Wo doch von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bis zum Tübinger OB Boris Palmer (Grüne), inzwischen Vertreter aller politischen Richtungen gezielt Empörungswellen in Sozialen Medien schüren?
Die Umkehrung des Vorwurfs wäre richtig: Nur Satirikern ist der kalkulierte Grenzübertritt gestattet, nicht Politikern. Statt Böhmermann als Mini-Trump zu schmählern, sollten wir polemisierende Abgeordnete daran erinnern, sich auf die Kernaufgaben der parlamentarischen Arbeit zu besinnen.
Böhmermann im Ausverkauf?
Wie steht es mit dem Vorwurf, Böhmermann kalkuliere jeden öffentlichen Skandal um das eigene Geschäft anzukurbeln? Unsinn: Dem Kartenverkauf für das „Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld“ wird der Skandal nicht genutzt haben.
Der „Fest & Flauschig“-Podcast? Kostenlos abrufbar. Das vor Weihnachten stattfindende Live-Event? Alle Einnahmen werden für wohltätige Zwecke gespendet. Wo sind die bezahlten Influencer-Postings, wo das Böhmermann-Merchandise? „Böhmi-Ultras“ tragen bei Instagram Pullover mit dem Aufdruck der Europaflagge.
Statt im Nischenprogramm des ZDF hätte Böhmermann mit seiner Popularität längst zu privaten Sendern und höheren Einschaltquoten wechseln können – doch ihn hält die künstlerische Freiheit, und, wie er wiederholt betont hat, das Bekenntnis zum Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Nur ein Beispiel: In der aktuellen Folge der Neo Royale-Sendung arbeitet der Komiker die Grand-Theft-Europe-Recherche des Netzwerks „CORRECTIV“ auf. Ein Team von 63 Journalisten aus mehr als 30 Ländern hatte zuvor herausgefunden, wie in Europa mit sogenannten Umsatzsteuerkarussellen insgesamt 50 Milliarden Euro Steuergelder hinterzogen wurden. Mit Witz und Schaubildern setzten Böhmermann und sein Team das Thema so um, dass es auch für die Generation Tinder verständlich ist – klassisches Bildungsfernsehen im Clownskostüm.
Statt zu sagen: „Er nervt“, sollte man sagen: Jan Böhmermann nimmt seinen Job ernst. Als gesellschaftlich relevantes Juckpulver. Es ist wie mit den Kanarienvögeln im Bergbau – solange sie zwitschern, ist die Luft rein. Sollte vom Satiriker Böhmermann einmal nichts mehr zu hören sein, sollten wir uns in Deutschland gehörig in Acht nehmen.