Zwar verzeichnet die für ein Glyphosat-Gutachten verantwortliche Behörde seit einem gerichtlichen (Bild: Plattform) Veröffentlichungsverbot bereits 23.000 Anträge auf Herausgabe. Aber trotz dieser Antragszahlen in fünfstelliger Höhe will das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ein Gutachten zu den Auswirkungen des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat weiterhin nicht im Netz veröffentlichen. Vielmehr sollen die Anträge wohl einzeln bearbeitet werden.
Nachdem es die Veröffentlichung auf der Plattform FragDenStaat.de in einem Eilverfahren gerichtlich hatte untersagen lassen, sind bei der Behörde nach deren Angaben etwa 23.000 Anträge auf Herausgabe nach dem Informationsfreiheits- und dem Umweltinformationsgesetz (IFG, UIG) eingegangen. Die Plattform hatte infolge des gerichtlichen Verbots zur Antragstellung aufgerufen.
Die Anträge muss das BfR einzeln bearbeiten und entscheiden. Dass die Antragsteller das Gutachten erhalten, gilt als wahrscheinlich, da die Behörde es bereits zuvor auf Grundlage des IFG an einzelne Antragsteller herausgegeben hatte, unter anderem an Arne Semsrott, der für die Open Knowledge Foundation Deutschland (OKFN) die Anfrageplattform FragDenStaat.de betreut. Gebühren wurden dabei nicht erhoben. Den weiteren Antragstellern dürften deshalb voraussichtlich ebenfalls keine Gebühren abverlangt werden.
Weiterverwendung – eigentlich – erlaubt
Das Informationsweiterverwendungsgesetz (IWG) erlaubt ausdrücklich die kommerzielle und nichtkommerzielle Weiterverwendung von Informationen, die wie das Glyphosatgutachten nach dem IFG zugänglich sind. Der zugrundeliegenden EU-Richtlinie über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (PSI-Richtlinie) folgend gilt dies jedoch nicht für solche Informationen, die sich „im Besitz“ von Bildungs- und Forschungseinrichtungen befinden. Diese Ausnahme will das BfR auch für sich geltend machen, denn es sei eine unabhängige Forschungseinrichtung. Dabei ist schon der Begriff des „Besitzes“ von Informationen in dem Gesetz schwammig: Die Richtlinie spricht in der englischen Fassung von „held by“, das englische Wort für Besitz wäre eher possession – mit der Auslegungsfrage wird sich also womöglich der Europäische Gerichtshof (EuGH) befassen müssen, um eine europaweit einheitliche Anwendung sicherzustellen.
Das BfR, das der Beratung von Politik und Behörden insbesondere in Fragen der Lebensmittelsicherheit dient, untersteht der Aufsicht des Bundeslandwirtschaftsministeriums von Julia Klöckner (CDU). Dieses sei laut BfR über den Vorgang informiert, habe jedoch bislang nicht eingegriffen, teilte das BfR mit. Zudem bestätigte das Bundesinstitut, das Gutachten sei von seinen eigenen Mitarbeitern erstellt worden. Mithin wird sich deshalb möglicherweise auch der Frage stellen müssen, ob die Verarbeitung so vieler Antragstellerdaten einschließlich der dadurch entstehenden Kosten aus Steuergeldern, von denen bereits die Verfasser bezahlt wurden, überhaupt noch verhältnismäßig ist.
Das BfR, das der Beratung von Politik und Behörden insbesondere in Fragen der Lebensmittelsicherheit dient, untersteht der Aufsicht des Bundeslandwirtschaftsministeriums von Julia Klöckner (CDU). Dieses sei laut BfR über den Vorgang informiert, habe jedoch bislang nicht eingegriffen, teilte das BfR auf Anfrage mit.
„FragDenStaat“ bedarf unser aller Hilfe – der Aufruf der Plattform im Wortlaut:
Zensurheberrecht: Landgericht Köln zwingt FragDenStaat,
staatliches Glyphosat-Gutachten zu löschen (Update)
Wir müssen das staatliche Glyphosat-Gutachten vorerst löschen. Das Landgericht Köln hat beschlossen, dass wir das Urheberrecht des Staates verletzt haben sollen. Dagegen wehren wir uns – und brauchen Eure Klickhilfe!
Das Landgericht Köln hat FragDenStaat per einstweiliger Verfügung verboten, ein Glyphosat-Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung zu veröffentlichen. Das staatliche Institut von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hatte FragDenStaat vorher bereits abgemahnt.
Das Glyphosat-Gutachten ist staatlich finanziert und von Beamten erstellt worden. Dass das Urheberrecht als Zensurheberrecht missbraucht wird, ist ein Angriff auf die Pressefreiheit! Wenn es nötig ist, ziehen wir mit dem Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof.
Jetzt mit einem Klick auch das Gutachten anfragen!
Das Landgericht ist der Ansicht, dass die Veröffentlichung des Dokuments durch die Transparenzplattform eine Urheberrechtsverletzung darstellt. FragDenStaat hatte das 6-seitige Gutachten vom Institut durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten. Darin geht es um Krebsrisiken des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat.
FragDenStaat ruft jetzt alle Menschen dazu auf, ihr Recht auf Informationsfreiheit zu nutzen und ebenfalls das Glyphosat-Gutachten beim Bundesinstitut anzufragen. Dazu gibt es unter fragdenstaat.de/zensurheberrecht einen Button, über den Anfragen unkompliziert gestellt werden können. Die Behörde muss das Dokument allen möglicherweise tausenden Antragstellern kostenlos zuschicken. Es darf vorerst allerdings nicht veröffentlicht werden.
FragDenStaat wird Widerspruch gegen den Beschluss des Landgerichts einlegen. Das Gericht hat offensichtlich die Pressefreiheit sowie europäische Regelungen zur Informationsfreiheit nicht ausreichend beachtet. In der vergangenen Woche hatte FragDenStaat bereits Klage gegen die Bundesregierung vor dem Berliner Landgericht erhoben, um feststellen zu lassen, dass staatliche Dokumente grundsätzlich veröffentlicht werden dürfen.
Update, 04.04.2019: Inzwischen haben mehr als 30.000 Personen das Gutachten angefragt. Herzlichen Dank! Das BfR hat jetzt auch Stellung genommen. Allerdings beantwortet es in seiner Stellungnahme nicht die Frage, warum es gegen uns vorgeht – obwohl es sich selbst die Frage stellt.
Sämtliche Dokumente und Mitmach-Button: https://fragdenstaat.de/zensurheberrecht
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Bisher haben 38.571 weitere Personen dieses Dokument angefragt.