Das Polizeipräsidium Neubrandenburg hat sensible, personenbezogene Daten aus dem Genehmigungsverfahren des Fusion-Festivals ungeschwärzt an einen verurteilten rechten Gewalttäter weitergegeben. Dieser ist Polizeischuldozent an der FH Güstrow und betreut eine Bachelorarbeit, in der die Polizeiwache auf dem Gelände und die anlasslose Bestreifung des Festivals begründet werden.
Das Polizeipräsidium Neubrandenburg plant den Einsatz von Wasserwerfer, Räumpanzer und etwa 1.000 Polizist:innen beim Fusion-Festival Ende Juni. Das geht aus polizeilichen Einsatzplanungen hervor, die Zeit Online vorliegen. Schon vor etwa zwei Wochen war durch Recherchen und Nachfragen von netzpolitik.org herausgekommen, dass die Polizei Unterkünfte für 1.000 Beamte in der Region sucht.
Laut Zeit Online will die Polizei rund um die Uhr mit etwa 100 zivilen und uniformierten Beamten auf dem Festivalgelände in Lärz präsent sein. In der Nähe solle zudem eine auf gewalttätige Auseinandersetzungen spezialisierte Beweissicherungs- und festnahmeeinheit (BFE) positioniert werden. Dazu kommen weitere Einsatzhundertschaften, die den Verkehr regeln und Verkehrskontrollen durchführen sollen und im Zweifelsfall auch auf dem Gelände eingesetzt werden können.
Das Einsatzkonzept sieht laut dem Bericht auch vor, dass Räumpanzer und Wasserwerfer vorgehalten werden sollen. Gegen kreative Proteste und Blockaden hat die Polizei sogar die Einheit TMÖL (Technische Maßnahmen Öffnen und Lösen) eingeplant. Diese Einheit wird beispielsweise bei Gleis- und Straßenblockaden von Atomkraftgegnern geholt, um angekettete Demonstranten freizuschneiden. Außerdem sollen zivile Einheiten zur Aufklärung eingesetzt werden. Andere Einheiten sollen die sozialen Medien beobachten „um geplante Provokationen und Behinderungen des Polizeieinsatzes frühzeitig erkennen zu können“ heißt es bei Zeit Online.
Bundeswehr soll in Lärz eingesetzt werden
Sogar Unterstützung der Bundeswehr hat die Polizei angefordert. Die Armee soll offenbar eine Zufahrt zur Polizeiwache auf dem Gelände aufbauen. Dieser überaus robuste Großeinsatz soll laut Einsatzkonzept helfen, dass Gefahren für Festivalbesucher erkannt, Rettungswege freigehalten sowie Straftaten und Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden könnten.
Die Veranstalter des Festivals sind über die Absichten der Polizei empört: „Die Polizei plant, wie sich jetzt bestätigt, ein unverantwortliches Eskalationsszenario gegen unser Kulturfestival“, schreibt Martin Eulenhaupt vom Kulturkosmos e.V. in einer Pressemitteilung:
Unsere Gäste aus der ganzen Welt und die Menschen hier in der Region wollen, wie schon seit über 20 Jahren, einfach nur ein friedliches Fest feiern – und die Polizei will uns allen Ernstes Hundertschaften von Bereitschaftpolizei mit Wasserwerfer und Räumpanzer schicken.
Mit diesen eskalativen Einsatzplanungen sei niemand in Sachen Sicherheit geholfen. Die Landesregierung müsse jetzt diesem unverhältnismäßigen Vorhaben sofort ein Ende setzen, so Eulenhaupt.
Bachelorarbeit zur Fusion bei rechtem Polizeidozenten angeregt
Durch die Recherche von Zeit Online kam außerdem heraus, dass das Polizeipräsidium Neubrandenburg bei der Polizeihochschule an der FH Güstrow eine Bachelorarbeit zum Thema Fusion-Festival anregte. In diesem Zusammenhang gab die Polizei das Sicherheitskonzept des Festivals samt personenbezogenen Daten wie Namen und Telefonnummern von Mitarbeitern des Kulturkosmos ungeschwärzt weiter – an einen ehemaligen AfD-Politiker.
Pikanterweise ist der die Arbeit betreuende Polizeidozent Ulf-Theodor Claassen nicht nur ein ehemaliger AfD-Mann, sondern auch ein verurteilter rechter Gewalttäter. Er setzte im Jahr 2014 außer Dienst Pfefferspray gegen Konfetti werfende AfD-Gegner ein und wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 7.700 Euro verurteilt. Ehemalige AfD-Parteikollegen beschreiben Claassen als „hinterhältig“ und „skrupellos“, über ihn wurde bekannt, dass er ehemalige NPD-Aktivisten bei der AfD hofierte. Claassen war „in führender Position an den Sicherheitsmaßnahmen für den G8-Gipfel in Heiligendamm“ beteiligt und somit wie der Polizeipräsident Hoffmann-Ritterbusch zur gleichen Zeit in der Planung des Gipfels tätig. Die beiden dürften sich persönlich kennen.
Personenbezogene Dokumente ungeschwärzt weitergegeben
Die Veranstalter des Fusion-Festivals nennen die Vorgänge rund um die Dokumente einen Vertrauensbruch. In der Pressemitteilung heißt es: „Für uns drängt sich zunehmend der Eindruck auf, dass wir es gar nicht mehr mit Sicherheitsforderungen zu tun haben, sondern auch mit dem politischen Versuch von rechts, ein linksalternatives Kulturfestival anzugreifen. Die große Frage ist: Hat am Ende die AfD am Polizeikonzept mitgeschrieben?“
Seit etwa zwei Wochen tobt ein Streit darüber, ob es auf dem alternativen Kulturfestival eine Polizeiwache mitten auf dem Gelände geben soll. Die Polizei fordert sie, der Veranstalter lehnt dies mit Bezug auf Grund- und Freiheitsrechte ab. Das Festival ist bekannt für seine friedlichen Besucher:innen und eine liberale, aber effektive Sicherheitspolitik. Das Festival hat am letzten Donnerstag ein überarbeitetes Sicherheitskonzept bei den Ämtern abgegeben. In diesem wird der Polizei eine Wache in unmittelbarer Nähe des Festivals angeboten, eine anlasslose Bestreifung aber weiterhin abgelehnt. In einer Petition unterstützen über 130.000 Unterzeichner:innen diese Position.
Die Polizei hat bei gleichbleibenden Besucherzahlen in den letzten Jahren die Zahl der täglich eingesetzten Beamten von 95 im Jahr 2011 auf 200 im Jahr 2014 und auf zuletzt 236 im Jahr 2018 hochgefahren. Die jetzt durch Zeit Online bekannt gewordenen Pläne vervierfachen diese Zahlen. Einen triftigen Grund – außer dem Wunsch der Polizei, eine Wache auf dem Gelände zu errichten und die erwarteten Proteste dagegen – gibt es dafür nicht. Auch bislang von der Polizei angebrachten „bundesweiten Standards“ für solche Veranstaltungen gibt es nicht. In einer Fragestunde im Bundestag verwies Stephan Mayer, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, auf das geltende Landesrecht. Vorgaben des Bundes für die Durchführung von Großveranstaltungen gebe es nicht.
Vertrauen durch Vorgänge beschädigt
Gegenüber Zeit Online schlägt eine Sprecherin des Polizeipräsidiums nun neue Töne an: Die Präsenz auf dem Gelände sollte angeblich nur der Gewährleistung der schnellen Handlungsfähigkeit in einem Unglücks- oder Katastrophenfall ermöglichen. Wenn das Sicherheitskonzept des Veranstalters so überarbeitet worden sei, dass weitreichende Verbesserungen vorgenommen wurden, würde eine dauerhafte Präsenz auf dem Gelände möglicherweise gar nicht mehr erforderlich sein.“
Erst unter dem Druck eines handfesten Skandals und schwerer Vorwürfe bläst der Polizeipräsident jetzt offenbar zum Rückzug. Die Festivalveranstalter begrüßen diese Ankündigung der Polizei in ihrer Pressemitteilung, sie stellen aber auch klar, dass die Polizei sich bewegen muss, damit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wieder möglich ist: „Trotz dieser skandalösen Vorgänge, die unbedingt aufgeklärt werden müssen, ist das Gebot der Stunde die Rückkehr zur Sachlichkeit. Es braucht nun vertrauensbildende Maßnahmen der Polizei sowie überprüfbare, konkrete Schritte der Abrüstung sowohl in den Verhandlungen als auch bei der polizeilichen Einsatzplanung“ sagt Martin Eulenhaupt vom Fusion-Festival.
Die große Frage ist nun, wie die Polizei nach der durch die Zeit bekannt gewordenen überaus robusten Einsatzplanungen, den Datenschutzverletzungen und der im Raum stehenden Frage nach Verbindungen des Polizeipräsidenten zum rechtsradikalen Lager wieder Vertrauen beim Veranstalter der Fusion aufbauen kann. Mehr Kompromissfähigkeit der Polizei wird mittlerweile an der Müritz politisch übergreifend erwartet: Die bisher harte Haltung der Polizei stößt nicht nur in der Opposition auf Ablehnung, sondern auch in der lokalen CDU, die sich für das Festival einsetzt. Es ist an der Polizei, nun die Scherben aufzukehren und dem Festival die Hand zu reichen.