[1]Das Zeit-Interview mit Kevin Kühnert, in welchem er die Vergesellschaftung von diesem und jenem forderte, beschäftigt die Deutschen (links in der Karrikatur 1848) nach wie – und dies zumal – vor, nämlich der anstehenden Wahl wegen. Hingegen ist – jedenfalls unserer Meinung nach – nicht Kühnert das Problem, sondern die Haltung der ihn befragenden Journalisten, die die Aussage aus ihm gewissermaßen herausgelockt hatten. Die, die haben „zielführend“ gefragt: „Dürfte es im Sozialismus BMW geben, die Deutsche Bank, Siemens?“ Und die Resonanz auf das Interview zeigte, dass die Interviewer die Stimmung großer Teile der berufsmäßigen Öffentlichkeit ganz richtig eingeschätzt hatten.
Ihre Frage mit den Beispielen enthüllt, was man in ihrem Milieu nicht in Frage stellen darf.“ Auch Kollege Nils Minkmar verteidigt [2] in Spiegel online Kühnerts mehr oder weniger frische Ideen.
[3]Die FAZ nun gar widmete gerade dieser Angelegenheit einen Leitartikel auf Seite 1 der Zeitung, in welchem der Leser sich durch Kühnerts „Ausflug ins Antiquariat“ an den CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt erinnern darf, der vor kurzem mit der Forderung nach einer „konservativen Revolution“ einen ähnlichen (Populisten – ergebnisorientiert – an der Front), wiewohl inzwischen aber längst vergessenen Streit auslöste: „Dobrindts Konservatismus ist Kühnerts Sozialismus: Phrase ohne jede analytische Grundlage.“
1949 und 1989: Im Jahr wichtiger Jubiläen offenbart die Bundesrepublik eine Anfälligkeit für rückwärtsgewandtes Denken. Der Rehabilitierung autoritärer Konzepte von links und rechts müssen Demokraten Einhalt gebieten.
Deutschland begeht in diesem Jahr zwei bedeutsame Jubiläen – Alles hat mit Allem zu tun:
[4]Vor 70 Jahren, am 24. Mai 1949 (im Bild Konrad Adenauer), trat das Grundgesetz in Kraft. Und am 9. November wird es 30 Jahre her sein, dass die Berliner Mauer fiel, was den Weg zur deutschen Vereinigung im Rahmen der europäischen Integration und engen transatlantischen Bindung frei machte.
Beide Jahresdaten sollten für die Deutschen – eigentlich – Anlass sein, mit Freude, Stolz und Dankbarkeit auf ihre jüngere Geschichte ebenso wie auf die Gegenwart zu blicken. Das Grundgesetz erwies sich als Garant für die Entwicklung eines funktionierenden und prosperierenden demokratischen Gemeinwesens, von dem die Deutschen nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und dem Zusammenbruch von 1945 nur hatten träumen können. Und der Mauerfall manifestierte die Kraft des Freiheitsstrebens, das zur friedlichen Überwindung eines totalitären Systems führte.
Der Blick zurück auf die vergangenen Jahrzehnte als der bisher glücklichsten Periode der deutschen Geschichte sollte aber auch dazu ermutigen, mit Zuversicht nach Chancen und Möglichkeiten zu suchen, wie das eigene Land ebenso wie das gemeinsame Europa künftig weiterentwickelt und verbessert werden können.
Gerade kurz vor der so entscheidenden Europawahl wartet der Kontinent auf Impulse aus Deutschland als dem stärksten EU-Land, wie es mit dem durch innere Krisen und Konflikte ebenso wie von autoritären Mächten herausgeforderten geeinten Europa vorangehen soll. Doch die Debatten, von denen die deutsche Öffentlichkeit aktuell beherrscht wird, weisen in eine andere Richtung – nach rückwärts.
So dominierte in den vergangenen Wochen die Auseinandersetzung darüber, ob und in welchem Ausmaß Enteignungen ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung sozialer Schieflagen, namentlich auf dem Wohnungsmarkt, seien. Juso-Chef Kevin Kühnert heizte sie zusätzlich an, indem er die „Kollektivierung“ großer Industrieunternehmen zur Voraussetzung für wirkliche gesellschaftliche Gerechtigkeit erklärte. Nicht nur der Begriff „Kollektivierung“ erinnert dabei an die untergegangene DDR.
Dass ein Juso-Vorsitzender radikalsozialistische Thesen vertritt, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Die Jusos standen programmatisch stets weit links von der Mutterpartei SPD, ohne dass dies deren praktische Politik nennenswert beeinflusst hätte. Und der Nachwuchs passte sich rasch dem Pragmatismus der Gesamtpartei an, sobald er dort wichtige Ämter übernahm – was eine ganze Weile dauern konnte.
Doch der 29-jährige Kühnert gilt bereits jetzt als vielleicht letzter Hoffnungsträger der in Umfragen um 15 Prozent dümpelnden SPD. Manche trauen ihm gar die baldige Übernahme des Parteivorsitzes zu. Dass ein Anhänger kollektivistischen Wirtschaftens an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie stehen könnte, die sich von dieser Idee bereits 1959 verabschiedet hatte, ist ein beunruhigendes Zeichen dafür, dass der demokratische Grundkonsens der Bundesrepublik erodiert.
Und auf einmal war Kevin Kühnert das Hauptthema
Allerdings haben Debatten wie diese auch etwas eigenartig Virtuelles und Betäubendes. Empören sich Linke einmal mehr über „provokativ“ in die Welt gesetzte Aussagen aus dem rechten Spektrum, freut sich dieses höhnisch darüber, die „politisch Korrekten“ erneut in die „Schnappatmung“ getrieben zu haben.
Von dann aber genau der wird seinerseits das rechte Meinungssegment befallen, sobald ein Linker eine stramm sozialistische These raushaut. So zeigt man mit Fingern aufeinander und erfreut sich in Wahrheit am gemeinsam aufgeführten argumentativen Nullsummenspiel in der Endlosschleife.
Hier findet längst kein realer gedanklicher Wettbewerb mehr statt, sondern ein – alleweil ergebnisorientiertes – Ritual zur Befestigung überkommener Gesinnungen.
[5]Dabei ist die Enteignungsdebatte nicht die einzige, in der sich Schatten der verblichenen DDR-Ideologie über das Land legen. Neuerdings fordert die Linkspartei die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, in dem das Wirken der Treuhand unter die Lupe genommen werden soll, die für die Privatisierung oder Abwicklung der DDR-Staatsbetriebe zuständig war. Dass sich der Großteil dieser maroden Unternehmen als in der Marktwirtschaft nicht lebensfähig erwies, soll jetzt der Treuhand angelastet werden.
Nicht die DDR-Misswirtschaft sei demnach für den bis heute nachwirkenden ökonomischen Kahlschlag im Osten Deutschlands [6] verantwortlich, sondern „der Westen“, der mit – rufen da mal wir dazwischen: mit viel von Vielen in die Hand genommenem – „Geld ihre Beseitigung ermöglichte“.