Der jedenfalls vorerst letzte Schritt in einer nicht enden wollenden Serie von Rückwärtsbewegungen ist gegangen: Soeben hat ein weiterer Hoffnungsträger im Kampf gegen die Alzheimer-Demenz Schiffbruch erlitten: Aducanumab, so der Name des Wirkstoffs, ist ein Antikörper gegen Amyloid-beta. Dabei handelt es sich um jenes Protein, das sich in teils erheblichen Mengen im Gehirn der Betroffenen anreichert.
 Zwei Behinderte im Bild: Links eine demente alte Frau, rechts ein hyperintelligenter alter Mann.

In zwei großen Studien, an der mehr als 3200 Personen mit milder Alzheimer-Demenz beteiligt waren, hatte sich die Immuntherapie mit Aducanumab offenbar nicht bewährt. Die Hersteller des Antikörpers, das amerikanische Biotech-Unternehmen Biogen und der japanische Pharmakonzern Eisai, haben nun den Stecker gezogen.

Wie sie in einer offiziellen Mitteilung am 21. März erklärten, habe es sich nicht gelohnt, die Untersuchungen fortzuführen. Ein unabhängiges Gremium sei nach Auswertung der bisherigen Behandlungsergebnisse zum Schluss gekommen, dass der Antikörper den Abbau des Denkvermögens nicht aufzuhalten vermag.

Dabei hatte zunächst alles so vielversprechend ausgesehen. In einer kleineren Vorstudie, in der es in erster Linie um die Sicherheit der Immuntherapie gegangen war, schien sich Aducanumab zu bewähren. Jedenfalls war die Demenz der hiermit behandelten Alzheimer-Kranken etwas langsamer vorangeschritten als bei den Patienten, die Placebo erhalten hatten. Wie nun aber deutlich wird, hatte es sich bei dem vermeintlichen Hoffnungsschimmer um eine Laune des Zufalls gehandelt.

Scheitern ist nicht ungewöhnlich

Der anfänglichen Begeisterung ist bittere Enttäuschung gewichen. Dass ein Wirkstoff auf dem Weg ans Krankenbett scheitert, ist zwar nichts Ungewöhnliches, im Gegenteil. Nur ein Bruchteil aller Kandidaten für eine Medikamentzulassung schafft es bis in die Apothekenregale. Der Absturz von Aducanumab wiegt allerdings besonders schwer, weil der Antikörper im Erfolgsfall die erste wirksame Waffe gegen die Alzheimerdemenz gewesen wäre.

Alle Bemühungen, über eine Entfernung der toxischen Proteinklumpen dem Fortschreiten der Demenz Einhalt zu gebieten, haben sich gleichwohl als erfolglos erwiesen. Zwar waren die Forscher in der Lage, die angepeilten Eiweißstoffe mehr oder weniger nachhaltig zu beseitigen. Gegen den kognitiven Verfall konnten sie allerdings nichts ausrichten. Das gilt sowohl für die verschiedenen Antikörper als auch für eine Gruppe von Enzymen (Bace-1), die einem Vorläufer von Amyloid-beta zu Leibe rücken.

Anderes toxisches Protein im Verdacht

Die Verfechter der Amyloid-Hypothese geben sich allerdings noch nicht geschlagen. Sie argumentieren, die Therapien kämen jeweils viel zu spät und könnten den Niedergang der kognitiven Fähigkeiten daher nicht mehr abbremsen. Für die Kritiker sind die unzähligen Behandlungsfehlschläge dagegen ein Beleg, dass Amyloid-beta die Demenzentwicklung nicht verursacht, sondern lediglich begleitet. Sie halten ein anderes toxisches Protein, und zwar Tau, für den wahren Täter. Denn auch dieses reichert sich im Gehirn von Alzheimer-Kranken an, allerdings nicht außerhalb der Zellen wie Amyloid-beta, sondern innerhalb.

Eine differenzierte Sichtweise hat diesbezüglich Don Cleveland von der University of California in San Diego, der Entdecker von Tau: „Ein solches Lagerdenken – hier die Tauisten und dort die Baptisten – bringt uns nicht weiter“, stellt der amerikanische Biochemiker im Gespräch klar. „Höchstwahrscheinlich sind beide Eiweißstoffe an der Demenzentwicklung beteiligt.“ So gebe es sowohl bei Tieren als auch beim Menschen Indizien, dass Amyloid-beta das Denkvermögen vor allem dann beeinträchtigt, wenn die Zellen mit Tau überladen sind. „Viele von uns haben sich gefragt, warum manche Menschen trotz eines hohen Amyloid-beta-Gehalts im Gehirn kognitiv gesund sind. Wegweisend war dabei die Erkenntnis, dass die Hirnzellen dieser Personen keine Tau-Knäuel enthalten.“ Es reiche daher möglicherweise nicht aus, wenn man nur gegen eines der beiden Proteine vorgeht.

Wie Cleveland hinzufügt, gibt es darüber hinaus noch weitere Tatverdächtige. Hierzu zählten unter anderem die lokalen Immunzellen des Gehirns, die Mikroglia. „Zu den Aufgaben dieser Zellen gehört es, Abfälle wegzuschaffen. Sie sollten daher auch die Proteinablagerungen entsorgen, was aber nicht geschieht. Das zeigt, dass die Mikroglia ihren Job nicht besonders gut machen“, sagt der Biochemiker. Insgesamt gehe er davon aus, dass Alzheimer eine Erkrankung des Systems ist. Auf die Frage, ob es angesichts dieser Erkenntnis überhaupt noch Hoffnungen auf wirksame Therapien geben könne, antwortet Cleveland: „Ich bin optimistisch: Spätestens in 15 Jahren dürften wir in der Lage sein, die Alzheimer-Krankheit zu behandeln.“

Pierluigi Nicotera, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn, geht davon aus, dass nur ein sehr zeitiges therapeutisches Einschreiten Aussicht auf Erfolg haben dürfte. „Wie unsere eigenen Studien zeigen, sind frühe Anzeichen einer Erkrankung bis zu 16 Jahre vor dem Auftreten von Symptomen nachweisbar. Dies deutet darauf hin, dass eine Intervention zu einem sehr frühen Zeitpunkt beginnen sollte.“ Neben Therapien gegen Amyloid-beta entwickelt man am DZNE alternative Therapieansätze, die bei Entzündungen und dem Immunsystem ansetzen. Nicotera: „Wir glauben, dass die Zukunft in einer sehr frühen Behandlung mit kombinatorischen Therapien liegt.“

Lehren aus dem Fehlschlag ziehen

Während die Verfechter der Amyloid-beta-Hypothese noch ihre Wunden lecken, mahnen andere, die richtigen Lehren aus den Fehlschlägen zu ziehen. Hans-Ulrich Demuth vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunbiologie in Leipzig hält es dabei für wenig sinnvoll, die laufende Forschung an Antikörpern gegen Amyloid-beta fortzuführen. Stattdessen sollte man besser auf die Entwicklung anderer Wirkstoffe setzen. Schon vergleichsweise weit gediehen ist dabei ein Molekül, das die Herstellung des Proteins Tau unterdrückt. Ein kurzer DNA-Schnipsel, bindet dieses an die genetische Bauanleitung von Tau und verhindert so, dass die Proteinproduktion in Gang kommt.

Apr. 2019 | Allgemein, Gesundheit, Junge Rundschau, Sapere aude, Senioren | Kommentieren