Ja, ist leicht zu merken: Wir habens mal wieder mit müssen dürfen. Alsdann: Gegen das „Zentrum für Politische Schönheit“ ist wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt worden. Das ist ein Bedrohlicher Angriff auf die Meinungs- und Kunstfreiheit.
Noch dürfen wir gegen solche Machenschaften protestieren:
Fassungslos hatten wir Anfang April zur Kenntnis zu nehmen, dass die thüringischen Straf- und Ermittlungsbehörden seit Ende November 2017 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Gera gegen das „Zentrum für Politische Schönheit“ (ZPS) nach § 129 StGB mit Blick auf den Verdacht zur „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermitteln.

Das Ermittlungsverfahren wurde eine Woche nach Veröffentlichung der ZPS-Aktion „Deine Stele“, dem Bau einer Kopie des Holocaust-Mahnmals gegenüber des Wohnhauses von MdL Björn Höcke, eingeleitet.
Die Kunstaktion „Deine Stele“ wurde im Rahmen des 3. Berliner Herbstsalons des Maxim Gorki Theaters präsentiert.

Der § 129 StGB ist bekannt als sog. „Schnüffelparagraf“, der – eigentlich – nur für besonders schwere Straftaten wie Terrorismus und Bandenkriminalität angewandt wird. Demnach wird „mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.“ Eine „Vereinigung“ im Sinne dieser Vorschrift „ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.“ Ermittlungen schließen daher die weitgehende Einschränkung von Grundrechten wie das Brief- und Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein (Online-Überwachung, Staatstrojaner). Sie ermöglichen also die Überwachung im Sinne des sogenannten „Großen“ und auch „Kleinen Lauschangriffs“.

Ein derartiges Ermittlungsverfahren – das bestätigen Juristen – ist bisher noch nie gegen Künstler zum Einsatz gekommen. Die Staatsgewalt greift massiv in die Grundrechte von Künstlern ein. Wie konnte es zu diesem skandalösen Vorgehen kommen?

  • November 2017: Unmittelbar nach Beginn der Kunstaktion – von Beginn an durch das Zentrum für Politische Schönheit als solche kenntlich gemacht – bezeichnet der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag auf einer Veranstaltung das „Zentrum für Politische Schönheit“ als „kriminelle“ und „terroristische Vereinigung“. In öffentlicher Sitzung erklärt – ebenfalls kurz nach der Aktion – der Präsident des Thüringer Landtags Christian Carius: „… ich habe daher den Innenminister gebeten, in einem Telefonat, dringend dafür zu sorgen, dass (…) erforderliche Ermittlungen eingeleitet werden.“
  • Daraufhin leitet der zuständige Staatsanwalt, Martin Zschächner, Ermittlungen nach § 129 StGB ein.
  • Im Februar 2018 urteilt das Landgericht Köln, dass die Aktion in allen wesentlichen Teilen von der Kunstfreiheit gedeckt ist. Das Ermittlungsverfahren wurde dessen ungeachtet nicht eingestellt.
  • Erst durch eine Anfrage der Fraktion Die Linke im Landtag wird im März 2019 öffentlich, dass das Ermittlungsverfahren noch läuft.
  • Anfang April bestätigt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Gera dies.
    Bei diesem Sprecher handelt es sich um:
    Martin Zschächner.
    Investigative Recherchen von ZEIT und Süddeutscher Zeitung ergeben
    eine politische Nähe des Juristen zur AfD und legen nahe,
    dass er seine private politische Meinung nicht
    von seinen Entscheidungen als Jurist
    und leitendem Beamten einer exekutiven
    Behörde zu trennen vermag.
  • Der zuständige Justizminister Dieter Lauinger
    (Bündnis 90 ! Die Grünen) stellt sich hinter den Staatsanwalt
    und rechtfertigt das Vorgehen salopp:
    das Zentrum habe sich selbst der Straftat bezichtigt.
    Hat dieser Minister noch alle Tassen im Schrank? Oder:
    Was fehlt dem (
    siehe oben) möchte hier gefragt werden dürfen,
    s
    onst noch alles im Kopf ??
  • In Art. 5 Absatz 3 des Grundgesetzes ist die Freiheit der Kunst garantiert. Fraglos sind die Aktionen des „Zentrums für Politische Schönheit“ – bewusst – provokant, bisweilen wohl für einige auch „geschmacklos“, jedenfalls „grenzwertig“. Das Merkmal eines funktionierenden Rechtsstaates ist aber, dass diese Grenzen am Ende von Gerichten festgelegt werden, wie ja erst einmal im vorliegenden Fall durch das Urteil des Landgerichts Köln geschehen.

Was aber bedeutet es, wenn – dessen ungeachtet – der Staatsanwalt hier meint, der „Zweck und Tätigkeit“ dieser Gruppe sei „auf die dauerhafte Begehung von Straftaten“ gerichtet? Es hätte neben dem bereits laufenden zivilrechtlichen Verfahren ausreichende andere strafrechtliche Möglichkeiten gegeben, die Rechtmäßigkeit der Aktion – so man diese in Zweifel zieht – angemessen zu überprüfen.
Stattdessen wurde ermittlungstechnisch das schärfte Mittel gewählt, das der Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung steht. Welche Straftat, „die (…) mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht ist“ wurde hier angenommen bzw. sollte vorgelegen haben?

Unerträglicher sowie unzulässiger Vorgang der Kriminalisierung von Kunst!

Wenn aber die Kette der Ereignisse eine politische Entscheidung zur Ausforschung und Einschüchterung von Künstler*innen nahelegt, muss dies zutiefst alarmieren. Denn was ist die Botschaft, die an die Gesellschaft und an Künstler*innen gesendet wird? Sollen wir eingeschüchtert werden? Müssen wir in Zukunft davon ausgehen, dass Staatsanwälte mittelbar auch die Kommunikation von Theatern und Kulturinstitutionen untereinander überwachen, weil auch Kontaktpersonen im Zusammenhang mit § 129 StGB ausgehorcht werden dürfen. Soll ein Exempel statuiert werden, das kritische Kunst als gemeinwohlgefährdend denunziert?

Gerade vor dem Hintergrund, dass sich diese Vorgänge in einem Bundesland abspielen, in dem die – vorsichtig formuliert – nachlässige Ermittlungsarbeit es nicht rechtzeitig verhinderte, dass eine „echte“ – „kriminelle Vereinigung“ wie die des mörderischen „NSU“ Rechtsterror-Netzwerks gefasst wird (bis heute sind die Vorgänge um den „NSU“ nicht vollständig aufgeklärt), ist der politisch motivierte An- und Eingriff in die Kunstfreiheit ein fatales Zeichen für die gesamte Zivilgesellschaft.

Schließlich lebt eine offene Gesellschaft, eine liberale wie lebhafte und auch wehrhafte Demokratie nicht zuletzt von jenen Künstlern, die Politik und Gesellschaft den Spiegel vor Augen halten, selbst wenn das für einige „geschmacklos“ oder unbequem sein mag. Die Ignoranz, mit der Justizminister Lauinger – als Aufsichtsbehörde – meint, die Künstlergruppe sei quasi „selber schuld“, weil sie sich „selbst einer Straftat bezichtigt“ habe, macht in diesem Zusammenhang sprachlos.

Dass wir mit der (und mit unserer – von der Rundschau zu verantwortetem Bild rechts – „wehret den Anfängen): Einschätzung als „alarmierenden Vorgang“ nicht alleine stehen, bezeugen die Aussagen des zuständigen Ministerpräsidenten und vieler anderer Politiker, aber eben auch vieler namhafter Juristen, die das Ermittlungsverfahren sehr scharf kritisiert haben, weil auch sie befürchten, dass hier ein Staatsanwalt auf Geheiß der AfD im Gewande des einschüchternden Strafrechts kulturpolitisch agiert.

Wir fordern daher den Landesjustizminister Dieter Lauinger dazu auf, seine Kontrollpflicht – statt möglicherweise irgendwelcher anderer Gründe wegen – nach noch geltender Rechtslage wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass solche Ermittlungen künftig erst mal überhaupt nicht mehr erhoben werden können. Selbst wenn das Verfahren just Anfang der Woche – d.h. nach 16 Monaten Ermittlungstätigkeit (!) sowie der Ablehnung des Akteneinsichtsrechts noch vor einer Woche mit dem Hinweis auf die „laufenden Ermittlungen“ (!) – eingestellt wurde, muss der Zeitpunkt, aber noch mehr die Begründung zumindest insofern verwundern, als sie nach wie vor von der Richtigkeit bzw. Rechtmäßigkeit ausgeht. Das ist unerträglich.
Derzeit scheint, dass die Verantwortlichen sich mittlerweile vor ihrer politischen Verantwortung drücken, nachdem es von allen Seiten starke bis drastische Kritik hagelte.

Daher fordern wir eine offizielle Entschuldigung der politisch Verantwortlichen sowie eine Erklärung, dass strafrechtliche Ermittlungen*, die offensichtlich den Kernbereich der Kunstfreiheit berühren, in Zukunft unterbleiben! Der bzw. die Verantwortliche(n) sind zur vollen Verantwortung zu ziehen, ihre Verbindungen zu politischen Akteuren bzw. Parteien offenzulegen. Diese peinliche Politik-Posse muss umgehend umfassend untersucht werden!

Abseits dessen sind alle in diesem Zusammenhang gesammelten Daten sofort zu löschen und die Betroffenen zu benachrichten!

Wir rufen die Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft dazu auf:
 Protestieren wir zusammen laut+stark, wenn auch hier unsere Grundrechte angegriffen oder gar ausgehebelt werden.

Zwar sind wir fassungslos, aber nicht verfassungslos! Wenden und wehren wir uns in aller Form gegen eine das Gemeinwesen und die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährdende Tendenz zur politisch-ideologischen Kriminalisierung von Kunst und gegen eine gesinnungsgeleitete Instrumentalisierung des Strafrechts:

Unterzeichnen Sie bitte per Mail (Betr. „Unterschrift“):
redaktion@rundschau-hd.de
Redaktion Rundschau – Grabengasse 9 – 69117 Heidelberg
Wir leiten das weiter


144 Erstunterzeichner
(Auswahl):

Shermin Langhoff, Intendantin Maxim Gorki Theater
Herbert Grönemeyer, Musiker
Jan Böhmermann, Satiriker
Saša Stanišić, Schriftsteller
Deniz Yücel, Journalist
Jürgen Gottschling, Journalist
Redaktion Heidelberger Rundschau – Neue Rundschau
Prof. Dr. Harald Welzer, Professor für Sozialpsychologie
Lea Rosh, Initiatorin des Holocaust Mahnmals in Berlin
Can Dündar, Journalist
Peter Steudtner, Menschenrechtler
Fatih Akin, Regisseur
Dani Levy, Regisseur
Robert Menasse, Schriftsteller
Sibylle Berg, Schriftstellerin
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Daniel Richter, Künstler
Prof. Dr. Naika Foroutan, Sozialwissenschaftlerin
Fahri Yardim, Schauspieler
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Clemens Schick, Schauspieler
Katja Riemann, Schauspielerin
Samuel Finzi, Schauspieler
Marc-Uwe Kling, Schriftsteller und Kabarettist
Prof. Dr. Peter Raue, Rechtsanwalt
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Tim Göbel, Geschäftsführender Vorstand Schöpflin Stiftung
Esra Küçük, Geschäftsführung Allianz Kulturstiftung
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Jakob Augstein, Journalist
Falk Richter, Regisseur
Hito Steyerl, Künstlerin
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Margarete Stokowski, Schriftstellerin und Kolumnistin
Fabian Haslob, agentur players, Berlin
Mechthild Holter, agentur players, Berlin
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Edgar Selge, Schauspieler
Kathrin Röggla, Schriftstellerin, Viezepräsidentin der Akademie der Künste
Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos
Katja Kipping, Parteivorsitzende DIE LINKE
Martina Renner, stellv. Parteivorsitzende DIE LINKE
Sevim Dağdelen, stellv. Vorsitzende DIE LINKE im Bundestag
Cem Özdemir, MdB Die Grünen
Canan Bayram, MdB Die Grünen
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Amelie Deuflhard, Intendantin Kampnagel Hamburg
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Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
Holger Bergmann, DIE VIELEN e.V. Vorsitzende*r
Carl Hegemann, Dramaturg
Ludwig Haugk, Leitender Dramaturg Maxim Gorki Theater
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Ersan Mondtag, Theaterregisseur
Milo Rau, Theaterregisseur
İdil Baydar, Kabarettistin
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Rat für die Künste Berlin
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Daniel Knorr, Künstler
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Oliver Polak, Komiker
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Ruben Neugebauer, Sea Watch
Elias Perabo, Adopt a Revolution
Olli Schulz, Musiker

Apr. 2019 | Allgemein, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren