In der Beschaulichkeit des umbrischen Städtchens Perugia zeigt sich am «International Journalism Festival» das gestörte Verhältnis zwischen den Netzgiganten und den Journalismus-Anbietern besonders deutlich. Ein Beispiel ist vielen Verlagen in schmerzhafter Erinnerung. Facebook hatte per Jahresbeginn 2018 angekündigt, seinen Algorithmus so zu ändern, dass Inhalte von Medienunternehmen im Newsfeed der User weniger angezeigt werden. Das Ergebnis, als es so weit war: Der Traffic auf vielen journalistischen Angeboten, die jahrelang an ihrer Social-Media-Strategie gefeilt hatten, brach ein, manche Unternehmen mussten Personal entlassen oder sogar schliessen, weil sie sich zu stark auf die Distribution ihrer Inhalte durch Facebook verlassen hatten.

Die Aufregung war enorm: Wie konnte Facebook, das sich jahrelang als Partner inszeniert hatte, sich so plötzlich von den Medien abkehren? Campbell Brown, die Facebook-Verantwortliche für Partnerschaften mit Medienunternehmen, reagierte mit der kühlen Arroganz der Macht: «Mein Job besteht nicht darin, Verlage glücklich zu machen», sagte sie auf einer Konferenz im Februar 2018. Ein Satz wie eine Ohrfeige. Facebooks Verhältnis mit den Medien scheint unwiederbringlich zerrüttet.

Plötzlich waren es Google und Facebook, die ihrerseits neue Töne anschlugen
und auf Schmusekurs gingen, um ihren Ruf zu retten.

Ein Jahr später sieht das ganz anders aus, denn nicht nur die Medienbranche, auch die Tech-Konzerne sind nun in der Krise. Bei Facebook folgte in den vergangenen Jahren ein Skandal dem nächsten und Google wurde im August mit einer Rekordbusse für illegale Praktiken bei Android-Mobilgeräten verurteilt. Und die Medien taten ihren Job: Sie berichteten. Plötzlich waren es Google und Facebook, die ihrerseits neue Töne anschlugen und auf Schmusekurs gingen, um ihren Ruf zu retten.

Etwa indem sie das Festival in Perugia als Hauptsponsoren mitfinanzierten. Ein Journalismus-Festival unter der finanziellen Patronage von Facebook und Google; ist das noch professionelle Partnerschaft oder schon Klüngelei? Die US-amerikanische Journalistin Emily Bell bediente sich jüngst einer Tiermetapher, um die Frage in einem Blog-Artikel über Google zu beantworten: «Accepting help from the Company ist like the fly accepting an invitation from the spider.» (Hilfe zu akzeptieren von dem Unternehmen ist wie die Fliege, die eine Einladung der Spinne annimmt.)

Das gilt es in Perugia zu überprüfen. Zunächst an einer Veranstaltung, auf der Facebook seinen Nutzen für den Journalismus darlegt. Man darf dieses Panel als Werbeveranstaltung bezeichnen. Sowohl Facebook (vier) als auch Google (sechs) erhielten mehrere Programmplätze fix zugesichert. Das ist Teil des Sponsoringvertrags. An einer anderen Veranstaltung sollen die JournalistInnen an einem Big-Tech-kritischen Panel das Wort erhalten.

300 Millionen Euro: So viel Geld investierte Facebook seit November 2018 in den Journalismus.
Oder das, was der Konzern unter Journalismus versteht.

Doch nun hinein ins Programm des #IJF, Ausgabe 2019 wo zunächst die Charmeoffensive Facebooks im Fokus steht und der Konzern alle Scheinwerfer auf eine Zahl richtet: 300 Millionen Euro. So viel Geld investierte Facebook seit November 2018 in den Journalismus, oder das, was der Konzern unter Journalismus versteht: das «Facebook Journalism Project». Sein Ziel: Dem Journalismus den Rücken stärken.

Was das für den Journalismus bedeuten könnte und wie sich Facebook die künftige Zusammenarbeit mit den Medien vorstellt, lässt sich auf einer Veranstaltung am Festivaldonnerstag anschaulich beobachten. Der Saal im Hotel Brufani ist üppig gefüllt, die Stimmen der Synchronsprecher rascheln leise aus den Kopfhörern der italienischen Gäste, im Sekundentakt werden aus dem Publikum Tweets abgesetzt. Kommentare, Kritik, Emotionen. Das übliche Grundrauschen einer sendungsbewussten Branche.

Nachdem Sian Cox-Brooker, als Facebook-Managerin zuständig für die Strategie mit Partnerunternehmen, strahlend «Hi everyone!» in den Saal rief, berichtet sie von einer Facebook-Umfrage unter Lokalredaktionen in England. Der Konzern wollte wissen, wo Mangel herrsche, was die Bedürfnisse seien. Eines der Ergebnisse: Es fehle den Redaktionen an Fachwissen im Umgang mit digitalen Strategien. «Und hier kommen wir ins Spiel», sagt Cox-Brooker.

Der Konzern reagierte. Facebook unterstützt das Ausbildungszentrum NCTJ mit 4,5 Millionen Pfund bei der Rekrutierung von JournalistInnen. Und das Unternehmen organisiert Kurse, um den Redaktionen zu zeigen, wie sie mehr Reichweite, mehr Traffic, mehr Engagement mit der «lokalen Community» erreichen. Die Crux: Alle Instrumente, die dazu benötigt werden, stellt Facebook zur Verfügung.

Facebook honoriert vor allem Quantität und nicht Qualität: Wer viel postet, gewinnt.

Es geht im Verlauf dieser Veranstaltung um Strategien zur Steigerung der Interaktion, es geht um toxische Begriffe in Überschriften, es geht um erfolgreiche Videoformate. Es geht vor allem um Quantität und nicht um Qualität: Wer viel postet, gewinnt. Viele Redaktionen hätten ihre Interaktion mit den LeserInnen trotz den Veränderungen am Algorithmus im vergangen Jahr steigern können, sagte Karyn Fleeting, die Facebook-Verantwortliche für Publikumsinteraktion.

«Aber Achtung!», beendet Fleeting ihren Vortrag, «macht euch bitte auf keinen Fall von Facebook abhängig! Niemand weiss, was sich in drei Monaten wieder ändern kann». Da geht ein Raunen durch das Publikum, übt Facebook hier tatsächlich Selbstkritik? Fleeting fährt fort: «Ich empfehle euch, nicht nur Facebook zu nutzen, sondern nutzt auch Instagram und WhatsApp, um eure LeserInnen zu erreichen und nicht nur von einem Kanal abhängig zu sein.» Instagram und WhatsApp gehören beide Facebook.

Kleinere Medien können gar nicht mehr wählen,
ob sie mit Facebook zusammenarbeiten wollen oder nicht.

Das Ziel des «Facebook Journalism Project» mit seinen 300 Millionen Dollar ist es, dafür zu sorgen, dass die User länger auf der Website oder App eines Medienanbieters bleiben. Und das wiederum steigert die Attraktivität für Werbung. Klingt eigentlich gut. Doch das Ganze hat einen Haken: Kleinere Medien können gar nicht mehr wählen, ob sie mit Facebook zusammenarbeiten wollen oder nicht. Sie sind auf Unterstützung angewiesen und werden durch Partnerprogramme in eine Abhängigkeit getrieben. Sie müssen mitmachen, wenn sie überleben wollen, weil das alte Geschäftsmodell mit Abos und Werbung erodiert und sonst keine anderen Geldgeber da sind – ausser eben Facebook.

Willkommen in der Realität, sagen die einen. Man müsse das Angebot eben annehmen oder die Redaktionen dicht machen. Es helfe kein Jammern und Big-Tech-Bashing bringe auch nichts , wenn bereits der US-Senat Mark Zuckerberg vorlädt und schilt. Das sagt zum Beispiel Jeff Jarvis, ein Medienexperte. Zielführender sei die Frage, was Big-Tech für den Journalismus tun könne, um wieder auf die Beinen zu kommen.

Wenn Google und Facebook den Journalismus finanziell unterstüzten,
verändert das letztlich auch unseren Blick auf die Welt.

Finanzielle Unterstützung mittels Förderprojekten ist eine Antwort. Dabei fliesst das Geld der Tech-Konzerne aber nicht bedingungslos. Es geht gezielt in Ausbildungen, Infrastruktur, Innovation, was aber sehr wohl auch Folgen hat für die Art und Weise, wie Journalismus in Zukunft funktioniert. Und das wiederum verändert unseren Blick auf die Welt. Facebook ist mit seinem Unterstützungsprogramm nicht allein. So hat Google bereits 2015, also drei Jahre bevor Facebook das «Journalism Project» lancierte, seine «Digital News Initiative» (heute: Google News Initiative) gegründet. Deren Leistungen für den Journalismus standen in Perugia auf einer anderen Veranstaltung im Fokus.

Rasch wird spürbar, dass auf diesem Podium ein anderer Wind weht als drüben bei Facebook, der Ton wird ernster, die Haltung kritisch. Das liegt daran, dass Google zwar das Thema bestimmt, aber der Konzern nicht als Gastgeber fungiert. Stattdessen sitzen da zwei Journalisten von netzpolitik.org, auch das Reuters Institute for the Study of Journalism, das European Journalism Centre und die «Republik» sind vertreten. Von Google ist niemand da.

Bei kritischen Fragen sind die Journalist höufig ganz unter sich

«Wir hätten wirklich gerne mit jemandem von Google über die Resultate unserer Recherche gesprochen», sagt «Netzpolitik»-Journalist Alexander Fanta, «aber offenbar war man bei Google an diesem Gespräch nicht interessiert». Das ist eine interessante Fussnote an einem Festival, das sich als Forum für Kontroversen und Debatten versteht. Im vergangen Jahr hatte sich bereits die bereits erwähnte Facebook-Managerin Campbell Brown kurzfristig von einem Panel zurückgezogen, nachdem kurz zuvor die Enthüllungen rund um Cambridge Analytica publik geworden waren. Bei kritischen Fragen sind die JournalistInnen am IJF in Perugia manchmal ganz unter sich.

Zurück auf das Podium und zur Frage, wie das Geld der Tech-Giganten den medialen Blick auf die Welt verändert. Alexander Fanta plaudert zur Einleitung ein wenig über seine Ausbildung als Journalist, die unter anderem durch Stipendien von Google und durch Google-finanzierte Austauschprogramme ermöglicht wurde.

«Ich habe mich irgendwann gefragt, warum Google das eigentlich macht», sagt Fanta. «Dann habe ich angefangen, die Motivation jener zu recherchieren, die mich bis dahin finanzierten».

Darin, was Google mit seinem Geld unterstützt, zeigen sich gewisse Muster.

Mit Abstand am meisten gefördert wurden Projekte zur Automatisierung journalistischer Abläufe. Am Ausgangspunkt der Recherche von netzpolitik.org, «Falter» und «Republik» stand also die Frage: Warum pumpt Google eigentlich all das Geld in den Journalismus? 150 Millionen investierte der Internet-Konzern seit 2015 in den europäischen Journalismus. Die Selbstbeschreibung lautet: «Die Google News Initiative ist unser Bestreben, mit der Medienbranche zusammenzuarbeiten, um dem Journalismus zu helfen, im digitalen Zeitalter erfolgreich zu sein.»

Wenn man schaut, was Google mit seinem Geld unterstützt, zeigen sich gewisse Muster. Mit Abstand am meisten gefördert wurden Projekte zur Automatisierung journalistischer Abläufe (41 Prozent), gefolgt von Projekten zur audiovisuellen Innovation oder der Innovation von Formaten (21 Prozent). Projekte zur Entwicklung von Instrumenten für den Faktencheck wurden mit 6 Prozent der Gelder unterstützt, Instrumente zur Monetarisierung mit 13 Prozent (Abos etc.) bzw. 6 Prozent (Werbung).

Die Auswertung von netzpolitik.org zeigt, dass die Unterstützungsgelder von Google an strenge Bedingungen geknüpft sind und der Konzern eine sehr genaue Vorstellung davon hat, welche Art von Journalismus in der digitalen Ära aufblühen soll: Der automatisierte Journalismus, heisst, der datengesteuerte Journalismus.

Technologie ist nicht neutral

Sie formt unseren Blick auf die Welt, indem sie wichtige Vorentscheidungen trifft – das erzeugt einerseits dasselbe Abhängigkeitsverhältnis von Googles technischer Infrastruktur, wie das auch bei Facebook mit seinem Journalism Project der Fall ist. Aber nicht nur das: Die Technologiekonzerne definieren mit ihrer Medienförderung, wie in Zukunft News verarbeitet werden und wie über die Welt berichtet wird. Technologie ist nicht neutral. Sie formt unseren Blick auf die Welt, indem sie wichtige Vorentscheidungen trifft, die unser nachfolgendes Handeln beeinflussen. Etwa darüber, mit welchen Instrumenten wir über die Dinge berichten, was wir für relevant erachten und was nicht und – nicht zuletzt – wie wir JournalistInnen miteinander umgehen. Denn sie arbeitet schon jetzt aktiv an der Hierarchie im Newsroom mit, indem sie etwa Fragen der Automatisierung über Fact Checking gewichtet. Dahinter steckt eine Aussage.

Die beiden Veranstaltungen mit Facebook und zu Google spiegelten zwei zentrale Themenfelder am Journalismus Festival in Perugia: Hier die Werbeauftritte der beiden Hauptsponsoren, dort die kritischen Stimmen, deren Panels oft mit einer Reihe von Offenlegungen und Disclaimern eröffnet wurden. Irgendwer hat immer schon mal direkt oder indirekt Geld von Facebook oder Google erhalten.

Dazwischen tut sich eine Lücke auf: Kritische Streitgespräche mögen abends in den Bars und Restaurants stattfinden – an den Panels fehlen sie oft. Kritische Fragen aus dem Publikum nehmen Facebook und Google mit Demut und leichter Herablassung entgegen. «Wir müssen das besser machen», heisst es dann. Nächste Frage. An der Veranstaltung «Criticize Facebook. Sure. Leave? Why?» sitzt immerhin Jesper Doub, Facebook-Direktor für News Partnerships mit KritikerInnen zusammen. Er wehrt sich gegen die Angriffe («Wann macht ihr euren Algorithmus transparent?») mit der Gelassenheit eines Vaters, der sich mit ausgestrecktem Arm die strampelnden Kinder vom Leib hält.

Und so stellt sich zum Schluss noch einmal die Frage, ob sich ein von Google und Facebook gesponserter Anlass seines kritischen Potenzials entledigt; ob sich die Branche mit solchen «Partnern» selbst verrät?

Nein, sagt der Mitgründer und Festival-Leiter Christopher Potter. Eine Debatte ohne Facebook und Google sei im Jahr 2019 schlicht nicht mehr vorstellbar. Die Konzerne erhielten keine Mitsprache am Programm, von den Werbeveranstaltungen einmal abgesehen. Dass RednerInnen aufgrund von Interessenkonflikten nicht nach Perugia kommen, sei in 13 Jahren genau ein mal vorgekommen.

Selbst Experten müssen regelmässig eingestehen, das sie nicht genau begreifen, was in den Strategiezimmern der Konzerne vor sich geht. Es wäre in der Tat falsch, das Journalismus-Festival als Werbeveranstaltung abzuschreiben. Big-Tech-kritische Veranstaltungen gibt es viele, sie platzen in der Regel aus allen Nähten. Das Bewusstsein für die problematische Beziehung existiert. Und dennoch müssen selbst Experten regelmässig eingestehen, das sie nicht genau begreifen, was in den Strategiezimmern der Konzerne vor sich geht. Beispielhaft dafür steht Martin Moore, Autor des Buches «Democracy hacked: Political Turmoil and Information Warfare in the Digital Age», der während seines Vortrags ins Publikum fragte: «Falls mir jemand den genauen Aufbau benutzerorientierte Werbealgorithmen erklären kann, möge er oder sie sich bitte melden.»

Apr 2019 | €uropa | Kommentieren