Für den Erfolg der NPD in Sachsen machte schon der damalige Innenminister Otto Schily barsch und öffentlich das Bundesverfassungsgericht mit einer „sehr problematischen Entscheidung“ verantwortlich. Das war ein mehr als dreister verbaler Übergriff, das war unverfroren, dumm und nachvollziehbar falsch. Das von ihm vorzeiten gegen die NPD betriebene Verbotsverfahren nämlich ist nicht etwa daran gescheitert, dass das Gericht den neonazistischen, antisemitischen und ausländerfeindlichen Charakter der NPD verneint hätte. Gescheitert ist der Antrag daran, dass der Bundesinnenminister und seine Mitstreiter nicht – woran sich nichts geändert hat – in der Lage waren, die für die Vorbereitung und Durchführung des Verbotsverfahrens zu fordernden Standards sicherzustellen. Dieser Versäumnisse wegen sah das Gericht keinen Raum für eine Entscheidung in der Sache. Der Versuch, dem Bundesverfassungsgericht zur eigenen Entlastung die Haftung für das Übel NPD zuzuschieben, zeugt jedenfalls von einem mehr als dürftigen Rechtsstaatsverständnis des damaligen Ministers.

Bevor wir hier in medias res gehen, lassen wir Popper nochmal kurz zu Wort kommen:
„Wir müssen für die Freiheit planen und nicht für die Sicherheit, wenn auch vielleicht aus keinem anderen Grund als dem, daß nur die Freiheit die Sicherheit sichern kann.“„Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ – Mohr, 1992, Tübingen.
Seit dem spektakulären Auftritt der NPD-Abgeordneten im sächsischen Landtag ist die Frage über den Umgang mit Neonazis von aktueller Brisanz. Nicht zum erstenmal.
Die gegenwärtige Renaissance der NPD in Form der AfD nimmt sich aber dennoch (noch, ist zu hoffen) eher bescheiden aus. Mittlerweile allerdings sitzen AfD-Abgeordnete nicht mehr nur im sächsischen Landtag. Sie sagen das, was (wie immer die früher mal geheißen haben) ihresgleichen schon immer gesagt haben: Traurige Gestalten am rechten Rand, die, so schrill sie sich auch aufführen mögen, weit davon entfernt sind, die Demokratie zu gefährden. Dass – wie schon immer mal wieder – derzeit zwar noch hinter vorgehaltener Hand – eine Lex AfD zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit propagiert wird, spricht nicht gerade für die Urteilskraft der Klasse „gutbürgerlich.“

Gaulandscher Text im – umstrittenen – FAZ Gastbeitrag.
„Heimat“ und so weiter, das darf sein dürfen, meinen wir.

Ja, es gibt Anhaltspunkte für Bündnisse mit gewaltbereiten Neonazis und Skinheads. Bei näherem Hinsehen aber findet sich – sehen wir von einigen widerwärtigen Entgleisung einmal ab – wenig Gerichtsverwertbares. Im Kern ist die Partei eine deutschtümelnde Nationalistensekte mit rassistischen und antisemitischen Einschlägen, die sowohl personelle wie auch aktionsbezogene Berührungspunkte zu Neonazis aufweist. Die deutsche Demokratie sollte  – und das geht, ist möglich, richtig und wichtig – mit auch der AfD in den, zum Beispiel Parlamenten, koexistieren.

Das ZDF-Sommerinterview mit Gauland darf uns neben Anderem die Gewißheit vermitteln, dass überall dort, wo er und die AfD mit konkreten Fragen zu konkreten Problemen konfrontiert werden, diese sich selbst zu selbstherrlich-kasperalen Figuren demaskieren. Befriedigende Antworten auf gar nix! Worin also liegt die Gefahr?

Ist das überhaupt erlaubt?

Ohne Zweifel,  Auftritte von AfD-Abgeordneten in Landtagen, im Bundestag und in mittlerweile auch einigen regionalen Gremien sind unerfreulich, sollten aber von den Abgeordneten anderer Coleur freudig genutzt werden, über Sachfragen zu streiten. Und sich nicht einlassen auf der AfD gestammeltes Gegrummel über diese „Migranten, die uns deutschen Bürgern alles wegnehmen.“

Üble Provokationen?

Seit wann sind politische Provokationen ein Verbotsgrund? Die Sonntagsredner rühmen unsere Demokratie als Paradies der Meinungsfreiheit und Bürgerrechte, als Hort ungehemmter Opposition, als Forum des Wettbewerbs der Parteien.

Doch kaum bezeichnen einige AfD´ler die alliierten Luftangriffe auf Dresden als „kaltblütig“ (und  – zumindest – genau dies war das) „geplanten industriellen Massenmord an der Zivilbevölkerung“ und versteigen sich in Analogien wie Bomben-Holocaust, schon kommt die bange Frage auf: Ist solches Treiben überhaupt erlaubt? Am übelsten, so scheint es, nimmt man diesen Leuten ihre Sabotage der etablierten Gedenkveranstaltungen übel: Die demonstrativ den Saal verlassen, wenn anständige Leute der Opfer des Holocaust gedenken? Läßt sich das verbieten? – Höcke lotet aus: „Wie weit“ können wir gehen?

AfD Verfassungswidrig?

Nach Artikel 21 Absatz 2 GG können Parteien als „verfassungswidrig“ verboten werden, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“. Auch wenn Juristen allerhand hineininterpretieren können: Da steht einfach nichts vom richtigen Umgang mit der Geschichte. In Zeiten, da die Leidensgeschichte der deutschen Vertriebenen und Luftkriegsopfer wiederentdeckt wird, spitzen sich Erinnerungskonkurrenzen und  Erinnerungskonflikte nun mal zu. Umtrieben sollten wir begegnen können …

Ruf nach dem Staatsanwalt: Falscher Text

Wie aufklärend es wirkt, dass wenigstens im Parlament die freie Rede kompromißlos geschützt wird – dies zu bemerken könnte ein Kollateralnutzen mancher von AfDlern angezettelten Eklats sein. Da haben – was Wunder – selbst eingesessene Parlamentarier noch etwas zu lernen. Denn kaum hatten Grüne und CDU im sächsischen Landtag nach dem Staatsanwalt gerufen, wurden sie von diesem mit dem Hinweis auf die Indemnität (Im Gegensatz zur Immunität kann die Indemnität nicht aufgehoben werden) eines Besseren belehrt: Nach Artikel 46 GG und entsprechenden Regeln in den Verfassungen der Länder darf ein Abgeordneter „zu keiner Zeit“ wegen einer Äußerung im Parlament „gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden“. Weil man sich aber hierzulande an Paragraphen gewöhnt hat, die die Meinungs- und Redefreiheit einschränken, findet man gar nichts dabei, dass als Volksverhetzer nach Paragraph 130 bestraft wird, wer den NS-Völkermord öffentlich „billigt, leugnet oder verharmlost“. Kann, wird da gern mal gefragt, es angehen, dass Parlamentarier freier reden dürfen als einfache Bürger? Dürfen sie. Und das ist gut so. So hat sich auch in der Vergangenheit gar mancher Parlametarier*In (mal ausnahmsweisse) selbst vorgeführt. So kommt es – vielleicht auch eben drum – dass einige Abgeordete gerne einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes ankündigte: Danach will man die Volksverhetzung von der Indemnität ausnehmen, auf dass gewissen Parlamentariern das Maul gestopft werde.
Aber bitte wo, wenn nicht im Parlament, wäre ein richtigerer Ort, sich mit Rechtsradikalen geistig auseinander zu setzen? Hier muß ganz exemplarisch die harte politische Debatte geführt werden. Mit allen über alles. Demokraten sollten sich daher auf den Ernstfall einstellen: dass sich auch hierzulande eine parlamentarische Rechte etabliert hat. Warten wir mal die Ergebnisse der nächsten Wahl ab. Da werden wir unser erstes großflächig-braunes Wunder erleben.

Bekannte Ausgrenzungsreflexe

Weil man aber schon mal beim Verbieten ist, fällt einem stattdessen ein, daß sich diese Leute ja zuweilen auf unsere Straßen wagen. Schon seit Jahren graust nicht wenige Innenpolitiker die Vorstellung, NPD-Horden könnten einmal mehr durchs Brandenburger Tor ziehen oder gar an der Holocaustgedenkstätte ihre Geisteshaltung vor aller Welt demonstrieren. Also zog Innenminister Schily (und zieht jetzt die SPD) eine längst inflationäre Vorlage zur Verkürzung der Versammlungsfreiheit aus der Schublade: Eine Demonstration, die „an einem Ort stattfindet, der in eindeutiger Weise an die Opfer einer organisierten menschenunwürdigen Behandlung erinnert und die geeignet und dazu bestimmt ist, diese menschenunwürdige Behandlung zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen“, soll verboten werden dürfen. Möcht man ja (eigentlich!) auch  – aber: Naziterror gibts ja gar nicht!

Lea Rosh hat die exklusiven Besitzansprüche der guten Deutschen auf das Holocaust-Denkmal mit der Forderung nach einer Bannmeile verbunden und erklärt: „Ich hätte es nicht gerne, wenn hier braune Horden hier aufmarschiert und Faxen macht.“ Der gereizten Verbotsdebatte (damals) um die NPD, die seit einigen Jahren schwelte, fehlt auch heute in Sachen AfD wieder ein Mindestmaß an Klarheit und Entschiedenheit. Man traut sich weder, richtig zu verbieten, noch richtig die offene politische Auseinandersetzung zu führen. Also prüft man Verbotsanträge und rührt im grauen Brei der Empörung. Neuland ist nicht in Sicht im Umgang mit unseren rechtsradikalen Mitbürgern.
Ihre Provokationen wecken nicht etwa demokratisches – sollten sie aber – Selbstbewußtsein und Streitlust, sondern die bekannten Ausgrenzungsreflexe und eine erstaunliche Angst vor der Freiheit.

Halten wir hingegen fest: Es gibt heute so wenig einen (welchen Geruch auch immer sie verbreiten) vernünftigen Grund, eine rechte Partei zu verbieten wie vor dreizehn oder zwanzig Jahren. Eine legale Partei darf aber nicht nur demonstrieren, sondern auch gleichberechtigt von der Parteienfinanzierung profitieren und, rechte Parteien dürfen mithin alle Rechte (und wenn das noch so sehr schmerzt) der parlamentarischen Opposition ausschöpfen. Statt (was ich gut nachvollziehen kann) das nun zu bejammern, könnte man sich vielleicht auf die nahe liegende Möglichkeit besinnen, diese „unerträglichen“ Leute, solange sie friedlich bleiben, in alle nur erdenklichen Formen der demokratischen Willensbildung einzubeziehen. Genau dies aber empfindet eine Mehrheit als (was man ja gerne verstehen wollen will) Zumutung.
Mehr noch als über einzelne Provokationen zeigt man sich indigniert, dass es Parteien wie die AfD überhaupt wieder gibt.

Das Schlimmste zum Schluß: Die „hohen Hürden“, die nun vielfach beklagt werden, sind keine. Die Innenminister in den Ländern müßten nur ihre V-Leute, mit denen sie die AfD natürlich, wie Jahre lang zuvor die NPD (siehe) nach wie vor infiltrieren und bespitzeln lassen, beizeiten zurückziehen: Dann stünde einem (zumindest) Verbots-Antrag nichts im Wege. So nachzulesen im Einstellungsbeschluß des Verfassungsgerichts vom 18. März 2003.
Aber dazu sind heute wie damals die Innenminister ebenso wenig bereit, wie zu einer Reform ihrer so nutzlosen wie illiberalen Überwachungspraxis.

Ideologischer Verfassungsschutz

Ob sich am Ende eine Mehrheit von sechs Verfassungsrichtern findet, die ein Verbotsurteil trägt, ist eine andere Frage. In der Staatsrechtslehre ist immerhin umstritten, ob abstrakte Gefahren für die Grundordnung genügen, eine Partei zu verbieten. So muß gehofft werden dürfen, dass der – zumal ideologische – Verfassungsschutz, wie er im KPD-Urteil von 1956 zelebriert wurde, heutzutage nicht einfach recycelt wird. Aber wir sollten nicht allzu viel auf den Fortschritt der Selbstaufklärung setzen.

Vorherrschend ist nach wie vor ein von konkreten Gefahren losgelöstes Präventionsdenken. Deshalb sind Verbotsbefürworter durch die Bank weg auf die – zudem bei der AfD noch klammheimlich verbreiteten – anstößigen Ziele auch dieser Partei fixiert. Ohne zu reflektieren, daß Artikel 21 Absatz 2 GG eine demokratieverträgliche Alternative bietet: das gewaltsame „Verhalten ihrer Anhänger“. Weil aber unsere „streitbaren“ Demokraten nichts davon wissen wollen, dass Militanz der einzig diskutable Grund ist, eine Partei zu illegalisieren, verfallen sie bei jeder Gelegenheit in begriffslose Verbotsschwafelei. Ihr Verständnis von Freiheit hält keiner wirklichen Belastungsprobe stand. Hier trifft sich der gute alte autoritäre Staat der 50er und 60er Jahre mit den antifaschistischen Ausgrenzungsreflexen (pardon, mit von uns) im Amt ergrauter Achtundsechziger. Es gibt viele Arten, eine Partei zu diskriminieren; die wenigsten davon sind in dieser Demokratie erlaubt. Darum ist es so wichtig, auch die Freiheit der AfD zu verteidigen:
Die Frage, wie weit legale Opposition gehen darf, betrifft die Freiheit aller.

Ja: Es ist, meint Jürgen Gottschling, die wirksame Denunziation des Faschismus von heute notwendig. Nicht seine zartfühlende Analyse! Aber, und zu guter Letzt:
„Sehr problematisch“ um in – vom derzeitigen mal zu schweigen – der Wortwahl von Ex-Innenminister Schily zu bleiben, war und ist nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, sondern die einen fassungslos machende tumbe  Gedankenlosigkeit der öffentlichen Reaktion dieses Bundesinnenministers, dem traditionell schließlich auch die Rolle eines Verfassungsministers zugewiesen ist. Schauen wir auch im Amt stehenden Politikern genau über die Schulter. Und hören wir genau hin, was sie wie sagen. Und, was sie dabei wirklich gedacht hätten haben können …

Wehret den Anfängen? Ja, genau das wollte ich gemeint haben dürfen!  Und zwar intolerant …

Feb 2019 | Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren