In weiteren Rollen: der Hansdampf in allen Gassen Donald Rumsfeld (Steve Carell), Colin Powell (Tyler Perry) und . . . wer fehlt jetzt noch? Die Hauptfigur, der geheime Held des Possenspiels: Dick Cheney.

Der Kreis der Macht um den Vizepräsidenten, mit Cheney in der Mitte, rechts neben ihm Lynne Cheney (Amy Adams) und Donald Rumsfeld (Steve Carell)
Wie der Film «Vice» herausstellt, war er von 2001 bis 2009 das heimliche Epizentrum der Macht. Angefangen als Abgeordnetenreferent, arbeitete sich der Technokrat auf der Beamtenleiter nach oben, schaffte es gar in das Amt des Verteidigungsministers. Als wäre das Aufstiegsmärchen mit diesem Höhepunkt schon zu Ende, lässt zunächst auch McKay seinen Film mit harmonischen Bildern der Familie Cheney mit Hund vor einem Haus am See ausklingen.
Natürlich handelt es sich um ein fingiertes Happy End, das nur einen von vielen Gags dieses Dramas darstellt. Denn die eigentliche Party beginnt erst danach, genauer: als stellvertretender Präsident unter der Ägide von George W. Bush. Bereits vor seiner Ernennung zieht er den künftigen amerikanischen Regierungschef über den Tisch, indem er sich etwa die Ressorts Militär, Energiewirtschaft und Aussenpolitik unterstellt, Geheimdienstakten zuerst über den eigenen Tisch laufen und sich darüber hinaus an wichtigen Behördenschaltstellen Büros einrichten lässt. Auf diesem Wege avanciert der Stratege zum entscheidenden Strippenzieher in der Vorbereitung des Irakkriegs, den er, wie die Erzählung insinuiert, bewusst mit Fehlinformationen legitimiert.
Christian Bale verkörpert vor allem den späten Cheney als eiskalten Machtpolitiker, als selbstgefälligen Pragmatiker, als mephistophelischen Einflüsterer. Selten sieht man in seinem Gesicht starke Regungen. Wir begegnen einem Menschen, der am Ende ganz zur Institution, zum Sinnbild eines monochromen Machtapparats geronnen ist. Indem der Film zudem mehrfach auf den Angler Cheney verweist, werden wir ihm als einem Wartenden gewahr. Ausharren und im richtigen Augenblick zupacken, lautet die Handlungsmaxime des Protagonisten.
Als er im stillen Kämmerlein beispielsweise den Chefs der Energiekonzerne reiche Ölvorkommen im Irak zusichert, zeigt die Assoziationsmontage die Erlegung eines grossen Fisches. Brillant ist die Szene überdies, weil die Gesichter der Manager verpixelt sind und dadurch der Eindruck erweckt wird, wir würden gerade einer investigativen Reportage beiwohnen. Gekonnt implementiert McKay immer wieder Archivmaterial in sein Werk. Die inneren Zirkel des Weissen Hauses sollen eben authentisch wirken, wodurch das abgründige Treiben des Vizepräsidenten den Zuschauer nur noch fassungsloser macht. Hinterzimmerpolitik, klug eingefädelte Deals, Rechtsverdrehungen am Rande der Legalität und Lobbykampagnen – dies sind die Werkzeuge des gewieften Konstrukteurs Cheney. Demokratie ist für ihn nicht mehr als eine Frage der Auslegung.
Pointierte Bildvergleiche
Ästhetisch überzeugt das Biopic durch seine pointierten Bildvergleiche. Die für den negativen Helden so wegweisende «Theorie der einheitlichen Macht», also der Bündelung möglichst vieler Einflussmöglichkeiten in einer Hand, wird schnell gespiegelt in einer Sequenz mit Rittern, Pharaonenmaske und einer jagenden Raubkatze. Oder ein anderes Beispiel: Die Einführung Rumsfelds wird im Film begleitet von Aufnahmen einer Hand mit Springmesser. Klarer könnte man eine Figur als gefährlichen Haudegen wohl kaum charakterisieren. Durch derartige Inszenierungskniffe nimmt der Film bisweilen spielerische Züge an. So als befänden wir uns in einem grossen Sandkasten – nur eben mit den inzwischen legendären alten, weissen Männern.
Übrigens auch mit einer Frau, nämlich der von Amy Adams verkörperten Gattin Mary des Vizepräsidenten, deren Ehrgeiz dem ihres Mannes kaum nachsteht. Dass der Regisseur den Fokus auch häufig auf das Paar lenkt, hat seinen Grund: Dadurch erhält der Protagonist hinter seiner öffentlichen Fassade menschliche Züge. Gerade der Rückblick auf den jungen Cheney zu Beginn des Films, der, trinkend und prügelnd, anfangs sein Leben nicht auf die Reihe bekommt, sorgt für Nähe des Publikums zum Protagonisten von «Vice». Dieser ist keineswegs als Monster geboren, sondern in eine skrupellose Politwelt hineingewachsen.
Am Ende stellt er buchstäblich deren Pulsgeber dar; Washington erinnert an einen Organismus mit unzähligen Äderchen, die alle beim zweiten Mann im Staat zusammenlaufen. McKay wählt daher das schlagende Herz als wichtigste Metapher. Zur Ironie des Dramas gehört in diesem Kontext Cheneys eigene Herzschwäche. Mehrfach landet er mit Infarkten im Krankenhaus, bis zuletzt eine Organtransplantation notwendig wird. Selbst die Operation und der aufgeschnittene Körper lassen eine symbolische Ebene erkennen. So wie die Ärzte in das Innerste des Politikers vordringen, so vermittelt uns der Film einen Einblick in die Schattenwelt des US-Regierungsapparats: schonungslos und desillusionierend.
Abrechnung mit dem Machtzentrum
Solcherlei Abrechnungen mit Machtzentren der Vereinigten Staaten sind längst en vogue. Man denke nur an Serien wie «House of Cards» oder «The Boss». Dominiert hierin der Typus des rücksichtslosen Ego-Players, lassen sich in wenigen anderen Formaten, darunter «Designated Survivor» oder «Borgen», Gegenfiguren ausmachen. Dann ist von Präsidenten als aufopferungsvolle Idealisten die Rede, die sich gegenüber Demagogen vom Schlage Cheneys behaupten müssen. Dieser hat im Laufe der Jahre sämtliche Widersacher und Störer marginalisiert, so dass sein Einfluss letztlich durch keine Korrekturinstanz mehr begrenzt scheint. So gibt die letzte Sequenz, ein Interview zu den falschen Voraussetzungen für den Irakkrieg, einzig einen Sturkopf preis, dem jedwedes Einsichtsvermögen zu fehlen scheint.
McKays Film entpuppt sich als gestochen scharfes Gemälde einer verlogenen Kaste. Doch das Verdienst von «Vice» erweist sich als noch umfassender. Aus der Menge der Werke des inzwischen inflationären Genres Biopic ragt dieses weit heraus. Denn es gibt sich nicht mit der blossen Bebilderung einer Vita zufrieden. Es offenbart mit seinen zumeist ironischen-doppelbödigen Montagen eine Ästhetik des Politikers zwischen gesellschaftlicher Rolle und perfidem Geschacher von Partikularinteressen. Man muss dieses phantastische Stück kinematografisch aufgearbeiteter Zeitgeschichte mit seinen acht Oscar-Nominierungen ohne Zweifel zu den Spitzen dieses Jahrgangs zählen. Es zeugt von grossem Mut und aufklärerischem Selbstbewusstsein.