Die anderen bedrängen unsere Werte und unsere Demokratie – aber wir sind stärker, denn wir sind viele: Die Haltung ist am Freitagvormittag spürbar, als im Historischen Museum die „Frankfurter Erklärung der Vielen“ verlesen wird. „Wir grenzen uns ab gegen alle Versuche, Pluralismus und Vielfalt einzuschränken“, heißt es darin. Es ist der Moment, in dem sich Kunst, Kultur und Wissenschaft gemeinsam erheben für Toleranz und Freiheit, nicht nur in Frankfurt. Zeitgleich folgen Kulturschaffende und Forscher auch in 14 anderen Städten dem Beispiel, das Berlin, Hamburg, Dresden und Nordrhein-Westfalen bereits im November gegeben haben.
„Frankfurt versteht sich als Teil dieser Bewegung“, sagt Sophie Osburg, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Goethe-Uni und eine der Organisatorinnen. Die 55 erstunterzeichnenden Frankfurter Institutionen – von der Alten Oper bis zum Theater Grüne Soße, vom Haus am Dom bis zu Radio X – stünden für eine pluralistische Gesellschaft und gegen eine rechtsgerichtete Vereinnahmung von Kunst, Kultur und Wissenschaft.
Die Situation in Frankfurt sei zwar nicht vergleichbar mit anderen Städten, in denen systematisch versucht werde, kulturelle Gemeinsamkeit zu verunmöglichen, betont Sophie Osburg. Doch gehe es darum, solidarisch zu sein gegen jede Form menschenfeindlichen Verhaltens: „Frankfurt ist eine diverse und vielfältige Stadt, die es als solche zu erhalten gilt.“ Und mehr: „Die Frankfurter Erklärung ist auch eine Einigung darüber, wie wir in der Stadt miteinander arbeiten wollen“, sagt sie. Nötig sei eine Selbstverpflichtung zur Weiterentwicklung.
Dass es dazu durchaus Anlass gibt, zeigt sich, als die vielen Teilnehmer der Zeremonie – es sind weit über 100 – in Gruppen über einzelne Gesichtspunkte sprechen. Am Tisch mit dem Schild „Antisemitismus/Rassismus/Homophobie“ kommen schnell Beispiele aufs Tapet. Da geht es um einen Shitstorm, den die Bildungsstätte Anne Frank im Zuge der Buchmesse erlebte, als Rechte Veranstaltungen kaperten und die Bildungsstätte dazu Stellung nahm. Da berichtet das Jüdische Museum vom starken Anstieg verbaler Gewalt, da registriert man allenthalben eine Verrohung der Sprache – und inflationär: den als Schimpfwort verwendeten Begriff Jude.
„Es geht darum, Haltung zu zeigen und sichtbar zu sein“
sagt Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD), die die Versammelten als „liebe Viele!“ begrüßt. „Die rassistischen Angriffe können nur dadurch abgewehrt werden, dass die kulturellen Angebote für alle da sind. Wir müssen sie jeden Tag verteidigen.“
Hartwig nennt Ungarn und Polen als Beispiele dafür, in welcher Geschwindigkeit Kulturpolitik zerstört werden könne. Und hierzulande: „Die Identitäre Bewegung hat ganz besonders die Kulturpolitik im Visier, weil sie Teilhabe für alle ermöglicht. Für sie sind wir keine politischen Gegner, sondern Feinde.“ Die Stadträtin begrüßt ausdrücklich, dass sich „die Vielen“ in Frankfurt zusammengetan haben. „Ich möchte Sie ermutigen, dranzubleiben“, sagt sie, ehe sich Erstunterzeichner Nummer 56 zu Wort meldet, der Verein „Kultur für alle“: Die Erklärung müsse unbedingt in viele weitere Sprachen übersetzt werden. Ist in Arbeit, lautet die Antwort.
Gastgeber Jan Gerchow, Direktor des Historischen Museums, freut sich über den Anlass. „Das passt, auch weil wir beschlossen haben, unsere Arbeit mehr auf die Diversität in dieser Stadt zu beziehen“, sagt er.
Dieser Punkt, Vielfalt und Diversität, steht im Zentrum der Erklärung, vor allem in der Abgrenzung gegen rechts. So beginnt der Text mit den Worten:
„Nach dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem Zivilisationsbruch durch den Nationalsozialismus, und der Unterdrückung des freien Denkens durch menschenfeindliche Ideologie leben wir heute in Deutschland in einer demokratischen Gesellschaft im offenen Austausch miteinander und der Welt. Diesen offenen Geist unserer Gesellschaft gilt es zu bewahren und weiterzuentwickeln.“
Zur Sache
Der Text der Frankfurter Erklärung und sämtliche Unterzeichner.
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