H.-J.-SchoepsDer Nationalsozialismus, das Exil in Schweden und die Rückkehr von Hans-Joachim Schoeps (*30. Januar 1909 in Berlin; 1980 in Erlangen) in die einstige Heimat.

Schoeps war ein konservativer deutsch-jüdischer Religionshistoriker und Religionsphilosoph.

Er war ordentlicher Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Religions- und Geistesgeschichte der Universität Erlangen.

„Melius est, ut scandalum oriatur  Quam ut veritas relinquatur“  Heinrich Leo

 

 

War Hans-Joachim Schoeps tatsächlich ein „jüdischer Nazi“, jemand, der sich Hitler und seinen Paladinen schamlos angedient hat? 68er Studenten, einige Publizisten  sowie eine Reihe notorischer Schoeps-Kritiker  unterschiedlichster Couleur haben das bei verschiedenen Gelegenheiten immer wieder behauptet.

Etwa der Liedermacher Wolf Biermann, der anlässlich einer Preisverleihung in Hannover in seiner Dankesrede im Fall Schoeps über den „monströsen Fall eines Heil-Hitler Juden“ schwadronierte, von dem er meinte, dessen „Liebeswerben“ (sprich: Anbiederung an die Nationalsozialisten) sei vom „Führer“, einem – man höre und staune – „prinzipienfesten Idealisten“, so Biermann, zurückgewiesen worden.

Ein Kommentar erübrigt sich …

Die Äußerungen Biermanns sind derart abwegig und in ihrer Verkürzung teilweise so abstrus, dass man besser schweigend über sie hinweggeht. Besserwisserische Unterstellungen mischen sich mit grotesker Unkenntnis der historischen Sachverhalte. Wenn Wolf Biermann sich der Mühe unterzogen hätte, die einschlägige historische Literatur zu studieren, dann wäre ihm vielleicht aufgegangen, dass die Situation des deutschen Judentums zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 15. September 1935, dem Tag des Erlasses der Nürnberger Gesetze, sich vielleicht doch etwas komplizierter darstellt, als er sich das heute zusammenreimt beziehungsweise zusammenphantasiert..

In den ersten beiden Jahren des NS-Regimes war es noch keinesfalls klar, wohin einmal die Politik steuern würde. Noch hatten die Nazis sich nicht endgültig festgelegt. Die Juden erblickten in Hitler und den Nationalsozialisten eine Gefahr, glaubten aber, sie hätten es mit einer vorübergehenden Erscheinung zu tun. Selbst ein kritischer Kopf wie Albert Einstein war dieser Ansicht.  In den Jahren 1933 und 1934 konnte sich kaum jemand vorstellen, wozu das NS-Regime noch fähig sein würde. Wer das heute behauptet, weiß mehr als er wissen kann. Die Zeitgenossen konnten nicht einmal in Ansätzen ahnen, was auf sie noch zukommen würde.

Trotz aufziehender dunkler Wolken …

Im Lager des deutschen Judentums hat man die Absichten der neuen Machthaber zunächst falsch eingeschätzt. Man verkannte deren Absichten, die auf Dissimilation abzielten, auf Abgrenzung und Ausgrenzung also, darauf, den Juden nicht nur ihre Existenzgrundlage, sondern auch ihre „deutsche“ Identität zu nehmen. Bereits im Juni 1933 erkannte der greise Max Liebermann, der berühmte Maler und Graphiker, was die Nazis wollten. In einem Brief stellte er bekümmert fest, er sei aus dem Traum der Assimilation erwacht, den er sein Leben lang geträumt habe.  Aber mit dieser Feststellung war Liebermann jedoch zu dieser Zeit noch eine Ausnahme.

Trotz der sich am Horizont zusammenziehenden dunklen Wolken hielt man an dem Bekenntnis zu Deutschland fest. Die Mehrzahl der Juden verstand nicht, dass ihr Bekenntnis seitens Hitlers und der Nationalsozialisten nicht akzeptiert wurde. Man verschloss davor die Augen, wollte die Zurückweisung nicht wahrhaben, wohl insgeheim hoffend, im Deutschland Goethes und Schillers werde es so schlimm schon nicht kommen. Es war eine fatale Fehleinschätzung, eine Einstellung, die allerdings weit verbreitet war. Von den Biermanns und anderen selbster-nannten „Wahrheitsaposteln“ wird das nicht verstanden oder falls doch, dann bewusst und vorsätzlich fehl interpretiert.

Allgemeine Situation deutscher Juden zwischen 1933 und 1934

Bevor wir auf die Positionen von Hans-Joachim Schoeps im Einzelnen eingehen, wollen wir daran gehen, die allgemeine Situation zu beschreiben, in der sich die die Juden in den Jahren 1933 und 1934 befanden. Sie standen, das ist in der Forschung unbestritten, seit der sogenannten „Machtergreifung“ unter heftigem kollektivem psychischem Druck. Diffamierungen, Boykott und Ausschreitungen erzeugten Unsicherheit, schufen eine Atmosphäre der Angst. Das Gefühl der sozialen Isolierung ergriff fast jeden. In der Memoirenliteratur kann man heute nachzulesen, wie weh die Recht- und Wehrlosigkeit tat, wie bitter die gesellschaftliche Ausgrenzung empfunden wurde.

Wie passt nun aber die Person von Hans-Joachim Schoeps in das damalige Szenario? Stand er, so fragt man sich, nicht stellvertretend für all jene, die davon überzeugt waren, es werde so schlimm schon nicht kommen? Für diese Vermutung spricht, dass Schoeps in den Anfängen des Jahres 1933 noch fest daran glaubte, es gäbe für die Juden die Möglichkeit, mit den neuen Machthabern in irgend einer Form eine Art Bleiberecht auszuhandeln.

Schoeps dachte ähnlich wie Leo Baeck, der im Namen der Reichsvertretung der deutschen Juden auf dem Briefpapier der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Hitler am 29. März 1933 eine Denkschrift hatte zukommen lassen, in der er erklärte: „Wir wiederholen in dieser Stunde das Bekenntnis unserer Zugehörigkeit zum deutschen Volke, an dessen Erneuerung und Aufstieg mitzuarbeiten unsere heiligste Pflicht, unser Recht und unser sehnlichster Wunsch ist“.

Eine realistische Option war das nicht …

aber, das sei hier ausdrücklich vermerkt, zu diesem Zeitpunkt war nur bedingt erkennbar, was realistisch war und was nicht. Schoeps unterschied sich in seinen Ansichten insofern kaum von Leo Baeck und denjenigen in der Führung der damaligen „Reichsvertretung“ als auch er daran glaubte, es sei möglich, sich mit Hitler und den Nazis zu arrangieren.

Nachdenklich hätte Schoeps allerdings schon am Boykottag am 1. April 1933 werden müssen, jenem Tag, als SA-Männer und Hitlerjungen vor jüdischen Geschäften aufzogen und die Ladenbesitzer und die in diesen Läden ein- und ausgehenden Käufer anpöbelten. Als am 10. Mai die Studenten auf dem Berliner Opernplatz die Bücher ihnen nicht genehmer Autoren in die Flammen warfen, hätten ihm eigentlich die Augen endgültig aufgehen müssen, und zwar schon deshalb, weil zu den verbrannten Büchern auch Kafkas „Beim Bau der chinesischen Mauer“ gehörte, das er mit Max Brod zusammen ein Jahr zuvor herausgegeben hatte.

„Trotz alledem, trotz alledem“

Trotz aller immer deutlicher werdenden  Warnsignale arbeitete Schoeps mit einigen Freunden eine Denkschrift aus, die Vorschläge beinhaltete, wie man die rechtliche Lage der deutschen Juden im nationalsozialistischen Deutschland absichern könne. Diese Denkschrift, die bis in unsere Gegenwart Schoeps immer wieder Verdächtigungen und Unterstellungen eingetragen hat, war, wenn man so will, der verzweifelte Versuch von Schoeps und einigen seiner Freunde, auf etwas zu beharren, was von den Nazis in Abrede gestellt wurde, nämlich das Deutschtum der deutschen Juden.

Aufsatz als Lageanalyse

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Aufsatz von Schoeps, überschrieben „Das neue Gesicht der Politik“, der, weil er nicht mehr in Zeitschriften gedruckt werden konnte, privatim verbreitet wurde.  Der Text, eine Art Lageanalyse, versuchte den Unterschied zwischen völkischem und staatlichem Denken sowie zwischen autoritärem und totalitärem Staat herauszuarbeiten. Wer diesen Text zur Hand nimmt, sich bemüht, zwischen den Zeilen zu lesen, spürt, dass Schoeps mit Hitler und den Nazis damals nicht sehr viel im Sinn hatte.

Es sind typisch konservative Gedankengänge, die in diesem Aufsatz vertreten werden und Schoeps damalige Nähe zur Programmatik der „Volkskonservativen Vereinigung und zum „Herrenklub“  erkennen lassen.  So stellte Schoeps beispielsweise fest, es sei Hitler gelungen, Glaubenskräfte in den Menschen freizusetzen, sie aus der privaten Isolierung herauszureißen und die Massen an seine Person zu binden. Damit nahm er bestimmte Gedankengänge vorweg, die später von Eric Voegelin und anderen aufgenommen und geäußert wurden.

Lingua Tertii Imperii

Die Schoeps’schen Texte sind, um mit Victor Klemperer zu sprechen, in der Lingua Tertii Imperii
(= LTI) gehalten und müssen dem entsprechend gelesen und entschlüsselt werden. Wenn Schoeps beispielsweise in seinen Aufsätze und Reden von autoritärer Führung spricht, wenn er fordert, die deutschen Juden müssten sich in Hitlers totalitärem Staat eingliedern, dann identifizierte er sich nicht mit Hitler und dessen Regime, sondern war darauf aus, einen, wie er es nannte, „dritten Weg“ aufzuzeigen. Allerdings dürfte es ihm wohl schon damals gedämmert haben, dass seine Angebote von den NS-Machthabern nicht ernst genommen wurden.

Frommel, Fraenger Carlo Schmid und …

Wenig bekannt ist, dass Schoeps in den von Wolfgang Frommel geleiteten Mitternachtssendungen des Frankfurter Rundfunks und des Reichsenders Berlin 1933/34 unter einem Pseudonym mitarbeitete. Unter dem Namen Hans-Joachim Schulz wurden dort Beiträge von Schoeps gesendet, die camouflierte Stellungnahmen zum politischen Geschehen waren und Kritik aus konservativer Sicht an Hitler und den Nationalsozialisten äußerten. Neben Schoeps waren Autoren dieser Mitternachtssendungen Arnold Bergsträsser, Percy Gothein, Ernst Kantorowicz, Max Kommerell und auch der später in der deutschen Nachkriegs-SPD eine bedeutsame Rolle spielende Carlo Schmid .

Schoeps, die Nazis und die Zionisten

Die weltanschaulichen Gegner für Schoeps waren neben den Nationalsozialisten auch die Zionisten, für die Schoeps, wie die meisten deutschen Juden jener Jahre, nicht sehr viel übrig hatte. In seinem seiner Zeit viel beachteten Buch „Wir deutschen Juden“, das Schoeps als eine Gegenschrift gegen das Buch „Wir Juden“ des Berliner Rabbiners Joachim Prinz 1934 veröffentlicht hatte, kritisierte Schoeps die völkisch-biologische Konzeption des Zionismus, die er strukturell in die Nähe des Nationalsozialismus rückte. Schoeps polemisierte heftig gegen die von Nationalsozialisten und Zionisten betriebene „Dissimilationspolitik“, von der er meinte, sie sei vom deutschgesinnten Judentum zu bekämpfen.

„Zwischen Don Quijote und Hiob“

Das Presseecho auf Schoeps und seine Publikationen war auf jüdischer Seite geteilt. Im „Israelitischen Familienblatt“ räumte man zwar ein, dass er einen „positiv-jüdischen Standpunkt“ vertrete, erklärte aber gleichzeitig, er würde bei seinen Bemühungen wie ein „umgekehrter Goethescher Zauberlehrling“ wirken.  Rabbiner wie Ignaz Maybaum, Elie Munk und Leo Baeck wiederum nahmen zwar in vielfacher Hinsicht ähnliche Positionen wie Schoeps ein, unterschieden sich aber in wesentlichen Punkten von ihm.

Schalom Ben Chorin, der damals noch unter seinem ursprünglich deutschen Namen Fritz Rosenthal schrieb, meinte, Schoeps stünde, was seine politischen Überzeugungen betreffe, „zwischen Don Quijote und Hiob“ . Und andere Zeitgenossen wie beispielsweise der Pädagoge Ernst Simon , lehnten die Ansichten von Schoeps rundweg ab. Mit dessen Parole „Wider Assimilanten und Zionisten – als Juden für Deutschland“ konnten sie nichts oder nur wenig anfangen.

Von der bündischen Jugendbewegung bewegt? Geprägt?

Schoeps glaubte trotz der massiven Ablehnung, auf die er insbesondere in jüdischen Kreisen stieß, sich dennoch weiter für das Deutschtum der deutschen Juden einsetzen zu müssen. Er warb für ein Verbleiben der Juden in Deutschland, überzeugt, ein Arrangement würde sich finden lassen. Dabei fallen die von ihm in den Texten gewählten Formulierungen auf, die im jugendbewegt-bündischem Jargon jener Jahre gehalten sind. Da ist die Rede von der „tragischen Position“, in die man gestellt sei, aber es findet sich auch das trotzige Bekenntnis: „Auch wenn uns unser Vaterland verstößt, bleiben wir bereit für Deutschland“

Heute nur noch schwer nachzuvollziehen, sind Schoeps’  Überlegungen, die damalige liberale Führungsschicht im deutschen Judentum durch bündisch-soldatische Kräfte zu ersetzen. Seine Gründung „Deutscher Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden“,   der mit anderen rechten beziehungsweise konservativen Gruppierungen wie dem „Verband nationaldeutscher Juden“ und dem „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ eine ideologische Vorreiterrolle übernommen hatte, wurde allerdings in jüdischen Kreisen nicht sonderlich ernst genommen ebenso wenig wie seine Texte, die er in der Zeitschrift des „Vortrupps“   veröffentlichte..

„Rassenwunder der Gleichschaltung“ ?

Im „Pariser Tageblatt“, dem Organ des deutschsprachigen Exils in Frankreich, erschien beispielsweise ein Artikel, in dem Schoeps als ein „Rassenwunder der Gleichschaltung“ bezeichnet wurde. Kritisiert wurde, dass Schoeps nicht erkenne, nicht erkennen wolle, dass die Assimilation in Deutschland gescheitert und der Weg von Lessing und Mendelssohn über Gabriel Riesser bis zu den „Grundrechten“ der Weimarer im Chaos und der Katastrophe zu einem Ende gelangt sei. Schoeps, so meinte man, trage durch seine Durchhalteparolen daran ein gerüttelt Maß Mitschuld.
Wieweit der Vorwurf des „Pariser Tageblatts“ damals berechtigt war oder nicht, mag dahingestellt bleiben. In den Jahren 1933 und 1934 war Schoeps wie Leo Baeck und andere zweifellos noch davon überzeugt, es sei möglich, mit Hitler und den Nationalsozialisten in Verhandlungen einzutreten. Schoeps’ persönliche Tragik war es, dass er erst spät erkannte, dass man nicht mit Menschen verhandeln kann, die nicht verhandeln wollen.

Unter der Erkenntnis, einer Illusion aufgesessen zu sein, hat Schoeps sein Leben lang sehr gelitten. In seinen „Erinnerungen“ bekannte er, es läge ihm schwer auf der Seele, „daß ich den Hunderttausenden, die dann ermordet wurden, nicht rechtzeitig zur Flucht um jeden Preis geraten habe. Es ist schwer, damit fertig zu werden“.

In „auswegloser Lage“ ein „Leben auf Abruf“

Zwischen dem Erlass der sogenannten „Nürnberger Gesetze“ im September 1935 und dem Novemberpogrom 1938 verschlechterten sich die Bedingungen zusehends. Die Lage wurde immer auswegloser. Jüdisches Leben in Deutschland war, wie es genannt worden ist, ein „Leben auf Abruf“. Die NS-Behörden verschärften die antijüdische Gesetzgebung und trieben die Arisierung jüdischer Geschäfte und Unternehmen weiter voran. Diejenigen, die noch gehofft hatten, der Spuk sei bald vorbei, mussten erkennen, dass die Nationalsozialisten sehr viel gefährlicher waren, als man zunächst angenommen hatte.

Schoeps ist nach 1935 zunehmend von seinen in den in den ersten Jahren des NS-Regimes eingenommenen Positionen abgerückt. Ein Zeitzeuge berichtete später, Schoeps hätte bei seinen Reden, die er bei seinen Reisen durch Deutschland in jugendbewegten Kreisen hielt, das NS-Regime heftig attackiert und das Wort vom „braunen Bolschewismus“ gebraucht und in Umlauf gesetzt. Die Position, die er jetzt bezog, war von der Sichtweise nicht gleichgeschalteter bündischer Gruppen der Jugendbewegung bestimmt.

Schoeps im Lager der Hitlergegner

Der US-Religionshistoriker Gary Lease, der an einer Schoeps-Biographie arbeitete, aber wegen seines frühzeitigen Todes nicht mehr dazu kam, sie zu vollenden, hat in diesem Zusammenhang auf die Debatte zwischen Günther Holtzmann, dem Begründer des „Schwarzen Fähnleins“ und Hans-Joachim Schoeps verwiesen. Letzterer, also Hans-Joachim Schoeps, hätte damals deutlich zu verstehen gegeben, wo er gestanden habe,  nämlich im Lager der Hitler-Gegner. Das, so Lease, unterschlagen die Schoeps-Gegner heute bezeichnenderweise, vermutlich weil es nicht in ihre Weltsicht passt.

In der Debatte mit Günther Holtzmann im Frühjahr 1935 bekannte sich Schoeps zum Preußentum und lehnte Rassismus und jede Form von Nationalismus entschieden ab. „Die letzten Tage“, heißt es in einem seiner damals verfassten Texte, „haben in mir die letzten Reserven jüdischer Substanz und jüdischen Selbstbehauptungswillen mobilisiert. Ich kann nicht mehr eine Sache vertreten, deren Kämpfer zum Ziel haben, so rasch und so weitreichend als möglich alles Jüdische abzustreifen, um nur ja als deutschvölkisch zu gelten …“

Wanderer zwischen den Welten

Bei manchen seiner Vortragsveranstaltungen berichtet Schoeps, hätten häufig Spitzel im Publikum gesessen, die jedes Wort notierten, das er von sich gab. Einer von diesen Spitzeln hatte sich unter dem Tarnnamen Erwin Bauer eingeschlichen. In seinen „Erinnerungen“ hat Schoeps ihn den „Mausgrauen“ genannt. Im Nachkriegsdeutschland stieg der „Mausgraue“ zu einem bedeutenden Verleger auf, der an seine einstigen Aktivitäten allerdings nicht mehr erinnert werden wollte. Es kam zu einer unerfreulichen juristischen Auseinandersetzung, in deren Gefolge Schoeps den „Mausgrauen“ nicht mehr beim Namen nennen durfte.

Schoeps wurde in den Jahren 1935 bis 1938 verschiedene Male  zu Gestapo-Verhören vorgeladen. Man unterstellte ihm Kontakte zu dem Schriftsteller Ernst Niekisch (die tatsächlich bestanden) und vermutete konspirative Beziehungen zu Otto Strassers „Schwarzer Front“ sowie zu anderen oppositionellen Gruppen, die unter Beobachtung standen. Die Gestapo war in fest davon überzeugt, es gäbe so etwas wie eine „jüdische Weltregierung“, die den Untergang Deutschlands systematisch plane. Schoeps, so glaubte man, sei ein Abgesandter dieser Regierung und würde in deren Auftrag handeln.

Schoeps im Kontakt zu Kreisen des deutschen Widerstandes

Dass Schoeps in Kontakten zu Kreisen des deutschen Widerstandes stand, ist vielfach belegt. In seinen „Erinnerungen“ kann man nachlesen, dass er beispielsweise im Auftrag von Rabbiner Leo Baeck, dem Präsidenten der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, Beziehungen zu Kreisen der „Bekennenden Kirche“ knüpfte. Schoeps reiste in den Jahren zwischen 1935 und 1938 kreuz und quer durch das Land, suchte kirchliche Vertreter auf, konferierte mit Männern des bürgerlichen Widerstandes und war bemüht, Brücken zwischen den verschiedenen Lagern zu schlagen.

Als er Ende November/Anfang Dezember 1938 vor einem größeren Kreis in Dahlem für die Schaffung einer jüdisch-christlichen Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus warb – Schoeps meinte später, das Treffen hätte im Niemöllerschen Pfarrhaus stattgefunden – wurde ihm einen Tag später bedeutet, in dem Vortragsraum sei vermutlich ein Mikrofon eingebaut gewesen und die Gestapo werte möglicherweise gerade die abgehörten Gespräche aus. Auf Grund der ihm zugekommenen Warnungen, sah Schoeps Gefahr im Verzug und kam zu der Überzeugung, es sei das Beste für ihn, Hitler-Deutschland unverzüglich zu verlassen.

Freiheit vs KZ

Hans-Joachim Schoeps ist am Abend des 24. Dezember 1938 vom Flughafen Tempelhof in die Freiheit nach Schweden geflogen. Ermöglicht worden war ihm die Flucht durch den damaligen Leiter Orientabteilung im Auswärtigen Amt, Werner Otto von Hentig (1886-1984). Dessen Fürsprache hatte er es zu verdanken, dass er Ausreisepapiere erhielt, um als Kurier des AA das Land zu verlassen. In seinen „Erinnerungen“ hat Schoeps die damaligen Vorgänge im Einzelnen beschrieben.

Schoeps hat nach seiner Flucht aus Deutschland sieben Jahre im Exil in Schweden verbracht. Das erste, was er nach seiner Ankunft in Stockholm tat, war ein Besuch des Utrikesdepartment, um dort klarzustellen, dass er kein Kurier des AA, sondern ein Emigrant sei. Er hielt daraufhin eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die zunächst jeden dritten Monat, später halbjährlich verlängert werden musste. In seinen „Erinnerungen“ bemerkt Schoeps, dass ihm Schweden nach den Erlebnissen in Deutschland damals vorgekommen sei wie ein „einziges großes Sanatorium“. Er habe sich dort so gefühlt, als ob er sich in Ferien befände und Hitler ihn aus der Weltgeschichte beurlaubt habe.

Burg Waldeck war und ist überall …

Wenig bekannt ist, dass es in den Jahren 1939 bis 1941 in Stockholm einen Kreis Bündischer gab, die sich um Schoeps scharten, sich regelmäßig trafen, „Heimabende“ organisierten, zusammen Fahrtenlieder sangen und diskutierten. Neben Schoeps gehörten dem Kreis an: Paul Leser  (Freischar), Gerd Salten  (Freischar), Kurt Bender  (Nerother), Willi Jacobs (Freischar), Hai Frankl (Nerother) und Heinz Goldstein (Kameraden).   Der Kreis veröffentliche hektographierte Rundbriefe, die auf geheimen Wegen nach Deutschland geschmuggelt und deren Lektüre heute einiges über die Befindlichkeit der Mitglieder dieses Kreises aus Deutschland vertriebener Jugendbewegter in jenen Jahren aussagen.

Besondere Aufmerksamkeit verdient ein „Rundbrief“ („Deutscher Vortrupp im Exil“), datiert vom August 1939. Schoeps beschreibt hier noch einmal die Umstände seiner Flucht aus Deutschland, auch dass er auf einer von der Reichskanzlei aufgestellten Liste von Juden gestanden hätte, die „ihren Pass niemals bekommen sollten“. In überaus scharfen Worten geißelte er Nazi-Deutschland, von dem er meinte, es werde von einer Bande von Verbrechern regiert: „Hitler ist nicht Deutschland. Auf deutschem Boden steht heute eine braune Besatzungsarmee. Die nationalsozialistische Behandlung der sog. Judenfrage ist nicht die Antwort, die Deutschland auf das Judentum zu geben fähig ist“.

Die Jahre in Schweden nutzte Schoeps zu intensiven wissenschaftlichen Studien. Einem Kollegen gegenüber bekannte er einmal, das Letztmotiv seiner Arbeit im schwedischen Exil sei ein Gefühl der „Langeweile“ gewesen, des „Nichtausgefülltseins“. Nicht wissend, was er sonst hätte tun sollen, habe er seine Tage damit verbracht, in Bibliotheken und Archive zu sitzen, Bücher zu studieren, in Kellern verstaubte Aktenkonvolute zu durchforsten und sich mit Personen und Problemen der deutschen und der schwedischen Wissenschaftsgeschichte zu beschäftigen, zumal des Barockzeitalters, das ihn damals besonders interessierte.

Kraft durch Freude …

Die Themen, die Schoeps sich in der Zeit des Exils vornahm, haben ihm jedenfalls, so erinnerte er sich später, sehr viel Freude bereitet. Die wissenschaftliche Beschäftigung sei im Übrigen in der damaligen angespannten politischen Situation, in der man nicht wusste, was noch alles auf einen zukommen würde, „ein wunderbares Mittel der Nervenberuhigung“ gewesen. In seinen „Erinnerungen“ heißt es, er habe in den siebeneinhalb Jahren seines Aufenthaltes in Schweden dreizehneinhalb Kilogramm Papier beschrieben – „so viel wogen die Manuskripte, die ich bei meinem Rückflug nach Deutschland mitnahm, um daraus in den nächsten zehn Jahren sieben dicke Bücher zu veröffentlichen“.

Arbeit macht frei!Den Spruch lasse ich mir von den Nazis nicht nehmen (J. G.)

Aus dem Berg von mitgebrachten Manuskripten entstanden im Verlauf der folgenden Jahre zahlreiche bedeutende Bücher u.a. „Theologie und Geschichte des Judenchristentums“ (1949), „Aus frühchristlicher Zeit (1950) und „Philosemitismus im Barock“ (1952). Jahre später bemerkte er in einer „Selbstdarstellung“ seines wissenschaftlichen opus, dass das Buch „Philosemitismus im Barock“, ihm am meisten Arbeit bereitet, aber auch sein interessantestes gewesen sei.

Seine in der Karolinska Bibliothek in Uppsala verfassten Studien über religiöse Querdenker und Außenseiter wie zum Beispiel jene über Anders Pederssohn Kempe, Oliger Pauli und Johann Kemper würden, so Schoeps, wissenschaftliches Neuland erschließen. Dass „Philosemitismus im Barock“ ein gutes Buch sein müsse, merkte er später ironisch an, könne man schon aus der Tatsache ersehen, dass von ihm weniger als 300 Exemplare verkauft worden seien.  Das, so Schoeps, sei ein schlagender Beweis, einen besseren könne es eigentlich nicht geben.

„Andacht vor dem Geringfügigen“

Bei seinen Studien in Schweden hätte er sich damals, so Schoeps, Jakob Grimms hintergründig Definition der Wissenschaft als der „Andacht vor dem Geringfügigen“ zu Eigen gemacht. Im Nachhinein klingt das so, als ob Schoeps seine wissenschaftliche Tätigkeit in Schweden im Rückblick vor sich selbst noch einmal rechtfertigen wollte. Das war vorgeschoben und vermutlich von Schoeps anders gemeint, denn die Zeit in Schweden war wohl, was die Ausbeute seiner wissenschaftlichen Arbeit betraf, die ertragreichste in seinem Leben.

Mendelssohn ? Picasso !

Schoeps, der in Schweden eine Mendelssohn-Nachkommin heiratete, fristete mit seiner Frau unter schwierigsten Umständen sein Leben. Mit Stipendien der Kirche hielt er sich mehr schlecht als recht über Wasser, seine Ehefrau Dorothee war gezwungen, als Dienstmädchen zu arbeiten und die zwischenzeitlich geborenen Kinder mussten bei schwedischen Bauernfamilien in Dalarna untergebracht werden.

Schoeps hatte kaum Kontakte, nur ein paar wenige so u.a. zu einigen schwedischen Theologen wie Anton Friedrichsen und Gösta Lindeskog sowie zu dem Historiker Hugo Valentin in Uppsala. Lindeskog, selbst ein Außenseiter in der schwedischen Wissenschaftslandschaft, war es, der Schoeps die Möglichkeit verschaffte, Vorträge vor wissenschaftlichen Vereinigungen zu halten  und in der schwedischen Fachpresse judaistische und religionswissenschaftliche Aufsätze zu veröffentlichen.

Ansonsten lebte Hans-Joachim Schoeps mit seiner Frau weitgehend isoliert und mehr oder weniger auf sich selbst gestellt. Der Durchschnittsschwede konnte nur wenig mit dem Typus Emigranten anfangen, wie er einer war. Im deutschsprachigen Exil schätzte man ihn nicht besonders. Er fand zwar Anschluss an Exilorganisationen wie den „Freien Deutschen Kulturbund“ (FDKB), wo er aber, wie es heißt, nur eine wenig beachtete Außenseiterrolle spielte.

Wer, wie was, warum …

Das gilt auch für die „Deutsche Vereinigung von 1945“, einer Gegengründung zum „Freien Deutschen Kulturbund“, dem hauptsächlich einige rechts eingestellte Sozialdemokraten angehörten. Schoeps arbeitete in dieser Gruppierung ebenfalls mit, weil er das vom „Kulturbund“ vertretene antifaschistische, sprich kommunistische, Programm ablehnte . Aber auch hier galt er als jemand, von dem man nicht recht wusste, wie und wo man ihn einordnen sollte. War er jemand, der dazu gehörte oder war er ein Außenstehender, jemand, dem man nicht recht trauen konnte?

„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh‘ ich wieder aus“

Schoeps, der sich gleichermaßen als Jude und Preuße definierte, legte besonderen Wert darauf, dass man ihn politisch im konservativen Lager verortete. Damit, das war ihm durchaus bewusst, verkörperte er etwas für die meisten Zeitgenossen Unverständliches, weil Unzeitgemäßes, etwas, was nicht in das sozialdemokratische beziehungsweise kommunistisch geprägte Milieu des Stockholmer Exils jener Jahre passte. Im „Freien deutschen Kulturbund“ aber auch in der „Deutschen Vereinigung“ empfand man ihn deshalb als Fremdkörper, als jemanden, mit dem, wie schon gesagt, man nichts oder nur sehr wenig anzufangen wusste.

Vergeblich waren die Bemühungen von Schoeps, seine Eltern aus Berlin nach Schweden nachzuholen. Es gelang ihm zwar im Februar 1942 mit Hilfe der schwedischen Kirche eine Einreisegenehmigung für seine Eltern zu erhalten, doch Sven Hedin, der bekannte Forschungsreisende, an den er sich hilfesuchend gewandt hatte, weil er gehört hatte, dieser habe Kontakte zu hohen NS-Funktionären, die man unter Umständen nutzen könne. Aber auch Sven Hedin konnte nicht viel ausrichten. Wie wir heute wissen, sah dieser das wohl auch nicht für unbedingt notwendig an.

Die Einen haben nichts gesehen, die Andern habens nicht geglaubt …

Wie die meisten Schweden wollte auch Sven Hedin nicht an die Gerüchte über Deportationen und schon gar nicht an das Vorhandensein von Vernichtungslagern glauben.  Die Folge war, dass er nichts für seine Eltern tun konnte und aus der Ferne deren Deportation miterleben musste. Er hat sehr darunter gelitten, als er erfuhr, dass sein Vater an einer nicht behandelten Urämie in Theresienstadt starb und seine Mutter einige Zeit später nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet wurde. Ein erhaltener Brief von Leo Baeck, nach dem Krieg geschrieben, legt davon Zeugnis ab.

Was soll aus den Deutschen werden?

Trotz aller Schreckensnachrichten aus Deutschland, trotz des Wissens vom gewaltsamen Tod seiner Eltern, ist Schoeps Liebe zu Deutschland im schwedischen Exil nicht in blinden Hass umgeschlagen. Im Gegenteil. 1944 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Joachim Frank (Frank war der Mädchenname seiner Mutter) ein Buch „Vad skall det bli av tyskarna?“ (Was soll aus den Deutschen werden?), in dem er versuchte zu erklären, wie alles gekommen sei, die Deutschen für die NS-Verbrechen nicht kollektiv haftbar gemacht werden dürften und, dass sie besser seien als ihr Ruf.

Hitler, so Schoeps in diesem Buch, sei nicht gleich Deutschland. In dem Buch, dem er das Motto des Freiherrn vom Stein „Deutschland kann nur durch Deutschland gerettet werden“ vorangestellt hatte, formulierte Schoeps eine Reihe von Einsichten, die erst in jüngster Zeit von den Historikern aufgenommen und thematisiert worden sind. So entwickelte er die These vom Nationalsozialismus als politischer Religion , womit er einer der Ersten war, der einen Zusammenhang zwischen Christentum und Nationalsozialismus vermutete.

Schoeps war fest davon überzeugt, dass man Deutschland nach dem Krieg wieder im den Kreis der Völkergemeinschaft als gleichberechtigt aufnehmen werde. Er glaubte nicht, wie das die meisten taten, die aus Hitler-Deutschland hatten flüchten müssen, dass Deutschland der Hort des Bösen und die Deutschen unbelehrbare Monster seien. In „Vad skall det bli av tyskarna?“ plädierte er nicht nur dafür, der deutschen Jugend eine Chance zu geben sondern trat auch dafür ein, dass die vor den Nazis geflüchteten Juden in das Nach-Hitler-Deutschland zurückkehren sollten.

Ob er Schoeps dabei geblieben wäre, wenn er vom ganzen Ausmaß der NS-Verbrechen Kenntnis gehabt hätte? Vielleicht  hätte er dann nicht vorbehaltlos die Rückkehr jüdischer Flüchtlinge in die einstige Heimat befürwortet? Für ihn selbst stand allerdings die Rückkehr außer Zweifel. In Schweden wollte er nicht bleiben. In dem Land sah er keine Zukunft für sich und seine Familie. Trotz der sieben Jahre, die er in Schweden verbracht hatte, war ihm das Land fremd geblieben, bekannte er in seinen Erinnerungen.

Und, aber dann?

Unmittelbar nach Kriegsende versuchte Hans-Joachim Schoeps, wieder in das von den Alliierten besetzte Deutschland einzureisen. Er machte dabei die Erfahrung, „dass es ebenso schwer war, wieder nach Deutschland hineinzukommen, wie seinerzeit aus dem Land heraus“.  Unter einem Vorwand gelang es ihm schließlich, im Herbst 1946 die für Deutschland notwendigen Einreisepapiere zu erhalten. Die amerikanischen Besatzungsbehörden,  auf der Suche nach vertrauenswürdigen nicht NS belasteten Personen, boten ihm an, nach dem sie ihn auf Herz und Nieren geprüft hatten, eine der damals in Gründung befindlichen Tageszeitungen zu übernehmen. Zur Auswahl standen für ihn damals die Zeitungen von Hanau, Offenbach und Darmstadt.

Journalist ? Was Wunder: Nein danke …

Hätte Schoeps das Angebot angenommen, wäre er vermutlich schnell zu Einfluss und Reichtum gelangt. Das war jedoch nicht das, was er wollte. Er lehnte ab. Seine Zukunft sah er nicht im Journalismus und schon gar nicht im Geldverdienen, sondern in der Wissenschaft. Wovon er träumte, war ein Lehrstuhl an einer deutschen Universität, und zwar einer vom Zuschnitt desjenigen seines Lehrers Joachim Wach an der Leipziger Universität. Das gestaltete sich allerdings komplizierter, als er sich das zunächst gedacht hatte.

Die Universität Marburg war schließlich bereit, auf Grund seiner bisherigen Publikationen Hans-Joachim Schoeps zu habilitieren. Im Habilitationsvortrag, der am 12. Februar 1947 stattfand, behandelte Schoeps das Thema „Der Nihilismus als Phänomen der Religions- und Geistesgeschichte“. Das gewählte Thema war eine bewusste Anspielung auf die zurückliegenden Jahre und der Versuch einer religionswissenschaftlichen Erklärung des NS-Phänomens.

Im Folgenden soll nicht auf den weiteren Verlauf von Schoeps’ Universitätskarriere im Nachkriegsdeutschland sondern auf seine persönlichen Erfahrungen eingegangen werden, die er nach seiner Rückkehr machte. In seinen Erinnerungen beschreibt er, was er antraf, wie er Kontakte anknüpfte und Freunde aus jugendbewegten Zeiten aufsuchte. Nicht alle konnten ihm in die Augen sehen, aber bei vielen war das Bedürfnis vorhanden, sich auszusprechen.

Bündisch ? Heute weiß kaum noch wer, was das war. Aber …

Beeindruckend ist sein Bericht über ein Treffen Pfingsten 1947 im Kloster Altenberg bei Wetzlar, an dem etwa 80 Menschen teilnahmen, die sich zu den Idealen der Jugendbewegung bekannten. Vertreten war einstige Wandervögel, der Freideutsche Bund, die Deutsche Freischar, die Sozialistische Arbeiterjugend und einige kleiner Bünde. Auf der Tagung waren die Anwesenden bemüht, getreu dem Gelöbnis vom Hohen Meißner 1913, mit letzter innerer Wahrhaftigkeit Rechenschaft über ihren Lebensweg in den letzten 14 Jahren abzulegen. Leicht ist das nicht allen gefallen.

Noch Jahre später, als er seine „Erinnerungen“ niederschrieb, war Schoeps tief beeindruckt von dem Geist, der damals beim Treffen im Kloster Altenberg aufbrach.  In der Runde saßen Kämpfer der Internationalen Brigade in Spanien, ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager, jüdische Deutsche, die aus der Emigration zurückgekehrt waren, neben Menschen, die sich gläubig in die Formationen der Nationalsozialisten eingereiht hatten. Sie alle, berichtet Schoeps, „wuchsen nun im Laufe der von tiefem Ernst getragenen Erklärungen und Bekenntnisse zu einer brüderlichen Gemeinschaft zusammen“. Die gemeinsame Herkunft aus dem Geist der Jugendbewegung überbrückte, so Schoeps, „die Gegensätze der Einzelschicksale.“

Die These sei hier gestattet, dass es Begegnungen dieser Art wie die im Kloster Altenberg waren, die Schoeps zu bestätigen schienen, dass seine Entscheidung richtig war, nach Deutschland zurückzukehren. Wie er später erklärte, war es ein Kreis von Menschen, einige tausend im ganzen Land, die menschlich einander eng verbunden, ein „seelisch-geistiges Klima“ schufen, das ihm und anderen das Gefühl vermittelte, Deutschland sei nicht untergegangen, ein Neuanfang deshalb durchaus möglich.

Wie man sich doch täuschen kann: „Politik wird immer weniger …“

Auf der Suche nach Gleichgesinnten reiste Schoeps, durch die westlichen Besatzungszonen, hielt Vorträge auf Tagungen der Freideutschen und stellte sich Diskussionen, in denen er dafür eintrat, aufeinander zu zugehen und all denen die Hand zu reichen, die willens waren, gemeinsam ein neues Deutschland aufzubauen. „Wenn ich richtig sehe“, diagnostizierte Schoeps in einer seiner Reden die Lage, „treten wir auch in Deutschland in eine Epoche ein, in der eine „Entmetaphysierung des Politischen“ sich vollzieht. Politik wird immer weniger aus Weltanschauung betrieben als von sachlichen und fachlichen Notwendigkeiten aus …“

Auffällig ist, dass Schoeps in seinen Reden und Debattenbeiträgen bemüht war, nicht nach rückwärts sondern nach vorne zu blicken. Sprach er über die Zeit des Nationalsozialismus, dann blendete er nicht absichtlich sondern eher unbewusst bestimmte Fragen aus und versuchte die den Nationalsozialismus betreffenden so zu beantworten, dass sie den Gegenüber nicht allzu sehr schmerzten. Im Rückblick fragt sich allerdings, ob seine Behauptung Deutschland sei von einer totalitären Macht überrollt worden, nur vorgeschoben war, um nicht die Verantwortung des Einzelnen für das Geschehene thematisieren zu müssen.

Nazis Verführte – das haben so manche nur allzugerne vernommen

Sieht man sich diesen Sachverhalt genauer ein, dann zeigt sich, dass Schoeps besonders die Frage beschäftigte, ob dem Einzelnen, dem Normaldeutschen also, die Schuld für das NS-Unrecht angelastet werden könne oder nicht. Die Mehrzahl der Deutschen, die sich mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatten, hielt Schoeps für Verführte, die sich von der „Revolution des Nihilismus“ (Hermann Rauschning) hätten überrumpeln lassen. Es war eine These, die so formuliert war, dass sie entlastete. Die meisten Nachkriegsdeutschen haben denn auch verständlicherweise diese Ansichten geteilt.

Mit Schalom Ben Chorin in Jerusalem, mit dem er in einem freundschaftlichen Diskurs seit Anfang der dreissiger Jahre verbunden war, diskutierte Schoeps in Briefen diese Thematik. So heißt es in einem Brief, den Schoeps 1946 an Ben Chorin schrieb: „Der Gedanke einer ‚Gesamtschuld’ als Politikon für sehr durchsichtige Zwecke verwandt, ist äußerst bösartig: So etwas gibt es nicht – weder juristisch noch politisch, noch metaphysisch. Die 70 Millionen kann man nicht zur Verantwortung für die Gräuel der Naziführer, ihrer Helfer und Helfershelfer heranziehen. – Millionen haben nicht dagegen protestiert. Richtig. Aber konnten sie protestieren?“

In der ersten Nachkriegszeit war Hans-Joachim Schoeps jemand, dem man Vertrauen entgegenbrachte. Für die orientierungslos Gewordenen war er nicht nur Lehrer sondern sogar so etwas wie eine Art Beichtvater, zu dem man hinpilgerte, um sich seine Probleme von der Seele zu reden. Er hatte, wie er selbst einmal bekannte, Verständnis für die aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten, meist Jüngere, die an ihrem zerbrochenen Weltbild litten und sich nicht mehr in der Nachkriegswelt zu Recht fanden.

Für die Generation der 20-jährigen, zumeist heimgekehrte Frontsoldaten, durch den Krieg Gezeichnete also, verkörperte Schoeps ein Deutschland, das nicht mehr existierte. Authentische Zeitzeugen, die glaubhaft über das Deutschland der Weimarer Republik hätten berichten können, gab es damals nur wenige, in der Regel waren es Überlebende der Lager oder Rückkehrer wie Schoeps. Um sie scharte man sich, von ihnen erhoffte man sich Auskunft darüber, was in Deutschland in die Katastrophe gestürzt hatte.

Von denjenigen, die als Nazi-Funktionäre oder als „Mitläufer“ Stützen des Regimes gewesen waren, war keine Aufklärung über die Ereignisse der Jahre zwischen 1933 und 1945 zu erwarten. Dieser Personenkreis, von dem geschätzt wird, dass er ungefähr 6 Millionen Menschen umfasste, schwieg. Die meisten hatten Schwierigkeiten, damit fertig zu werden, dass Hitler und die Nazis von der Bildfläche verschwunden waren. Mit der von den Alliierten gebrachten neuen Freiheit konnten sie nicht viel anfangen.

Guten Abend, gute Nacht …

Um es an einem nach vollziehbaren Beispiel zu verdeutlichen. Wenn sich die Mehrzahl der Deutschen bis Kriegsende mit dem bis dahin üblichen „Heil Hitler“ begrüßt hatten, so mussten sie sich jetzt erst an die neue Zeit gewöhnen, an Grußformeln, die fast schon vergessen waren, wie „Guten Morgen“ oder „Guten Tag“. Das fiel manchen sichtlich sehr schwer. Der „Heil-Hitler“-Gruß war den meisten in Fleisch und Blut übergegangen. Ein Umdenken war nur mit mancherlei Verrenkungen verbunden.

Meist zeigte man sich peinlich berührt und wandte sich ab, wenn die Rede auf die Verbrechen des NS-Regimes oder auf das eigene Versagen kam. Schlechtes Gewissen und Schuldgefühle schufen das, was wir uns angewöhnt haben, die „Kultur des Verdrängens“ zu nennen. Offiziell hatte zwar mit dem Sieg der Alliierten eine neue Ära begonnen, aber der Nationalsozialismus lebte fort und war nach wie vor tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Rückkehrer wie Schoeps haben das in den Jahren nach 1945 zunächst verkannt, vielleicht auch nicht erkennen können.

Ob es je wieder zu einem jüdischen Leben im Nachkriegsdeutschland kommen würde, daran zweifelte Schoeps, ähnlich wie Leo Baeck und andere Überlebende auch, die das als ausgeschlossen ansahen. Als skandalös empfand Schoeps es, dass sich kein Rabbiner in den Vereinigten Staaten, England oder Palästina bereit fand, sich der Überlebenden, der „verwaisten Herde“, wie Schoeps sie bezeichnete, seelsorgerisch anzunehmen. Er selbst sah es als seine Aufgabe an, „die Beter aus Israel mit den Betern aus der Christenheit zusammenzuführen“,  in der Hoffnung, so den Boden für einen Neubeginn in Deutschland bereiten zu können.

Seilschaften – gestern und heute

Irritierend ist, dass Schoeps die Augen davor verschloss, dass alte NS-Seilschaften im Nachkriegsdeutschland nach wie vor Einfluss hatten – in der Politik, in der Justiz und vor allem aber an den Universitäten, wo NS-Belastete nach wie vor auf den Lehrstühlen saßen und so taten, als ob das, was geschehen war, sie nichts anginge. Schoeps sah das wohl, wollte das aber nicht zur Kenntnis nehmen. Insgeheim befürchtete er wohl, wenn er das täte, dass er dann weder vor sich seine Rückkehr begründen noch für einen Neuanfang in Deutschland plädieren könne.

Résumé :

Eingangs wurde bereits die Frage gestellt, wie die Haltung von Hans-Joachim Schoeps in den Jahren 1933 und 1934 gegenüber dem NS-Regime im Rückblick zu bewerten ist? War er tatsächlich, ein „Heil-Hitler-Jude“, wie das Wolf Biermann unterstellt hat? Auf Grund der gesichteten Texte und Briefwechsel lässt sich das eindeutig mit „Nein“ beantworten. Wenn Biermann und andere dennoch heute dieser Ansicht sind, beweisen sie damit nur, dass sie historische Texte nicht lesen können und sich von Vorurteilen bei ihren Wertungen leiten lassen.

Schoeps war kein Parteigänger Hitlers und schon gar nicht ein „jüdischer“ Nazi, was Letzteres im Übrigen auch ein Widerspruch in sich wäre. Ein Jude konnte schon deshalb kein Nationalsozialist sein, weil nur ein „Arier“ „Volksgenosse“ sein konnte. Der „Jude“ war für die Nationalsozialisten der personifizierte Feind. Schoeps musste schon aus diesem Grund im Lager der Hitler-Gegner stehen.

Manche Äußerungen von Schoeps, das sei zugestanden, haben für Verwirrung gesorgt. Wenn er beispielsweise in seinen Texten eine „soldatischen Haltung“ der Bevölkerung forderte, wenn er von der Notwendigkeit eines „autoritären Staates“ in der Krisensituation sprach und die Einführung des „Führerprinzips“ als notwendig ansah, löste das zwangsläufig Missverständnisse aus und erweckte den Verdacht, wem solche Formulierungen über die Lippen kommen, sympathisiere mit den Ideen der Nazis.

„Bereit für Deuschland“

In seiner 1970 erschienenen Dokumentation „Bereit für Deutschland!“ bemerkte Schoeps in dem dazu verfassten Vorwort, er hätte nicht mit den Nazis paktiert, auch nicht deren Nähe gesucht, sei aber, wozu er sich auch vier Jahrzehnte später noch immer bekenne, „für das Deutschtum der deutschen Juden eingetreten“. Das war – zugegebenermaßen – eine Aussage, die bewusst so formuliert war, dass sie Attacken auslösen und Schoeps zur Zielscheibe machen musste.

Die Worte klingen in den Ohren der Heutigen, nach all dem, was geschehen ist, wie Worte aus einer anderen Welt. Einige der von Schoeps vertretenen Ansichten, zu denen, wie schon gesagt, insbesondere sein Beharren auf das Deutschtum der deutschen Juden gehörte, sind heute nur noch schwer nachvollziehbar und den Nachgeborenen kaum noch verständlich zu machen. Die Geschichte ist über die von Schoeps einstmals vertretenen Weltanschauungspositionen hinweggegangen.

In den fünfziger Jahren begann sich Hans-Joachim Schoeps, zunehmend für anthropologische und historisch-politische Problemstellungen zu interessieren. Der Verfasser wagt die These, dass viele nach 1945 entstandene Werke von Hans-Joachim Schoeps nicht nur Auseinandersetzungen wissenschaftlicher Art waren, sondern auch als Auseinandersetzungen mit der NS-Vergangenheit gelesen werden müssen. Letzteres mag überraschend sein, ergibt aber durchaus Sinn, vor allem denn, wenn man bedenkt, dass ihn dieses Thema  in den 50er und 60er Jahren umgetrieben hat.

Sein Buch „Was ist der Mensch“  beispielsweise, erschienen 1960, kann zum einen als eine anthropologische Studie gelesen werden, aber auch als ein Erklärungsversuch begriffen werden, warum es im 20. Jahrhundert so und nicht anders gekommen ist. Schoeps hatte sich in diesem noch heute lesenswertem Buch nicht nur mit den Antworten großer Deuter in der Zeitenwende (Karl Marx, Sören Kierkegaard, Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche, Franz Kafka) auseinandergesetzt sondern auch kultur-anthropologische Fragestellungen erörtert – unter anderem verhandelte Schoeps hier das Problem der Homosexualität sowie des unter Zwangsvorstellungen und Neurosen leidenden Menschen. Beides waren Themen, deren Behandlung man von ihm nicht erwartete.

Noch deutlicher kann die These von der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit festgemacht werden an einer Studie von Schoeps, die sich mit dem Problem der „Weichenstellung“ („Der Weg ins deutsche Kaiserreich“) in der deutschen Geschichte auseinandersetzte. In der Einleitung zu dieser Untersuchung fragte Schoeps, ob die sogenannte Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 zwangsläufig war. Schoeps bezweifelte das im Rückblick und nahm damit eine bis heute nicht von allen Historikern geteilte Position ein.

Im Klartext heißt das, Hitler und die Nationalsozialisten sind nach Ansicht von Schoeps nicht vom Himmel gefallen, aber reiner Zufall sei es auch nicht gewesen, dass sie im Januar 1933 an die Macht kamen und das Land mit einem Terrorregime überzogen. Wolle man wirklich begreifen, was in jenen Tagen geschehen sei, müsse man nach Ansicht von Schoeps weit in die Geschichte zurückgehen. Für ihn war nicht der verlorene Erste Weltkrieg die entscheidende Weichenstellung sondern das Jahr 1866, jenes Jahr also, in dem Bismarck im Krieg gegen Österreich die kleindeutsche Lösung durchsetzte. Schoeps hat die Entscheidung als den eigentlichen Sündenfall der neueren deutschen Geschichte angesehen.

In seinem Buch „Unbewältigte Geschichte“ (1964) analysiert Schoeps Stationen deutschen Schicksal seit 1783 und konstatiert, dass ein Volk, dass mit seiner Vergangenheit ins reine kommen will, sich zu seiner Geschichte mit allen ihren Aktiv- und Passivposten zu bekennen habe. Für die Hitlerjahre gelte, dass man den Zeitraum geistig verarbeiten müsse, nur dann, so der der Schluss den Schoeps zog, „lerne man die Aufgaben der eigenen Gegenwart besser zu verstehen“.

Auch die Tagungen der von Hans-Joachim Schoeps gegründeten „Gesellschaft für Geistesgeschichte“ haben sich immer wieder von verschiedenen Blickwinkeln aus mit den Wandlungen des Zeitgeistes und des Lebensgefühls der letzten beiden Jahrhunderte befasst. Dabei fällt auf, dass – gleichgültig ob eine Tagung sich mit der Aufklärung, den Auswirkungen der Französischen Revolution oder mit dem Thema Utopien und ihre Folgen befasste – die Debatten immer wieder um die Frage kreisten, ob es so etwas wie eine Zwangsläufigkeit im Geschichtsverlauf gebe, und damit verbunden, ob der Weg vom 18. Jahrhundert zu Hitler und dem Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert vorgezeichnet gewesen sei.

Schoeps – ein in der Wolle gefärbter Konservativer ?

In den Nachkriegsjahren erwarb sich Schoeps den Ruf, ein in der Wolle gefärbter Konservativer zu sein. Dass er in diesen Ruf kam, dazu hatten nicht nur seine eigenen Äußerungen und  Texte beigetragen, sondern auch der Umstand, dass sich in seinem Umfeld „falsche Freunde“ wie Kurt Ziesel, Armin Mohler, die Gebrüder Hepp und andere sammelten. Er stimmte mit deren Ansichten nur bedingt überein, fühlte sich aber vermutlich geschmeichelt, von ihnen umworben zu werden.

Seine Jahre in Erlangen hat Schoeps als Jahre der Verbannung verstanden. Wohlgefühlt hat er sich im Fränkischen nicht. Es war nicht die Welt, die er sich erträumte, schon deshalb nicht, weil die Erlanger Universität die erste Universität in Deutschland war, die für die Nazis optierte. Studentenschaft und Professoren hatten sich bereits vor 1933 gleich geschaltet.  Schoeps wusste das, hat das aber nie weiter thematisiert. Manchem Kollegen die Hand zu geben, dürfte ihm allerdings nicht ganz einfach gefallen sein.

Das Eine, was man will, das Andere …

In seinen Erlanger Jahren hoffte Schoeps auf einen Ruf anders wohin, am liebsten nach Berlin, der Stadt seiner Jugend. Dieser Ruf kam aber nicht, was zum einen damit zusammenhing, dass er als unbequem galt, zum anderen weil sein Lehrstuhl die Bezeichnung „Religions- und Geistesgeschichte“ trug, was ein Unikat in der deutschen Universitätslandschaft der Nachkriegszeit war. Hätte er geahnt, als er 1947 nach Erlangen ging, dass die von ihm gewählte Lehrstuhlbezeichnung ihn de facto unberufbar machte, hätte er sich vermutlich für eine klassische Lehrstuhlbezeichnung entschieden. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen.

Dass er nicht aus Erlangen wegkam, darunter hat Schoeps sehr gelitten. Als man ihm den Bayerischen Verdienstorden verlieh, dürfte ihm endgültig klar geworden sein, dass die Weichen endgültig gestellt und er aus Erlangen nicht mehr wegkommen würde. Spöttisch-resignativ bemerkte er deshalb nach dem Verleihungsakt in München, durch den er in einen erlauchten Kreis anderer Ordensträger aufgenommen wurde: „Ich bin jetzt ein Duz-Freund von dem Schauspieler Beppo Brehm“.

Wie ist also die Position von Hans-Joachim Schoeps im fränkischen Erlangen zu bewerten? Schoeps ist in den Jahr-zehnten seines Aufenthaltes in Erlangen kein Franke geworden, sondern er blieb das, was er immer war: ein jüdischer Preuße, oder vielleicht präziser noch ein Unzeitgemäßer und Außenseiter, den es ins Bayerische verschlagen hatte und sich zu etwas bekannte, was es eigentlich nicht mehr gab.

Als er am 18. Januar 1951, anlässlich des 250. Geburtstages des Staates Preußen in Erlangen einen öffentlichen Vortrag mit dem Titel „Die Ehre Preußens“  im Kollegienhaus der Universität hielt, löste das zwar keinen Skandal aus, war aber doch ein vielbeachteten Ereignis, weil Schoeps etwas aussprach, was andere nicht auszusprechen wagten.

„Maverick“ oder doch lieber „libertin“ ?

Schoeps hielt sich selbst für so etwas wie einen „maverick“ , wie die US-Amerikaner sagen, oder besser noch, für einen „libertin“. Wenn er Letzteres bemerkte, schwang ein gewisser ironischer Unterton mit. Mit dieser Selbstbezeichnung oder sagen wir besser mit dieser Selbststilisierung wollte er ganz sicher nicht zum Ausdruck bringen, dass er ein Anhänger eines ausschweifenden Lebenswandels sei, wofür der Begriff bekanntlich auch steht, sondern er wollte damit sagen, dass er sich in der Rolle eines Freidenkers sah, etwa vergleichbar der des Dichter -Philosophen Cyrano de Bergerac (1619-1655), von dem wir wissen, dass er die Freiheit des Denkens überaus schätzte und sich sein Leben lang redlich bemühte, ein Ärgernis zu sein.

Sei’s also drum

Wir können uns der Selbstdefinition von Hans-Joachim Schoeps anschließen. Wenn wir auf dieser Konferenz anlässlich des Gedenkens an ihn keine andere Bezeichnung für ihn gefunden haben als die des „maverick, des „Außenseiters“ oder des „libertin“ und „Freidenkers“, so können wir es bei einer dieser Beschreibungen belassen. Falsch liegen wir damit keinesfalls. Hans-Joachim Schoeps würde, wäre er noch unter uns, eine solche Etikettierung, nicht als ironische Anspielung sondern als Lob empfinden.

Hans-Joachim Schoeps war mir in jungen Jahren für viele Jahre ein guter Freund, wir waren zusammen auf  langen Reisen, ich verdanke ihm viel und denke an ihn.  Jürgen Gottschling

Jan 2019 | Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Politik, Sapere aude, Senioren, Wissenschaft | Kommentieren