An ihre Stelle rückten weltliche Schwesternschaften sowie Absolventinnen der bereits ab dem 19. Jahrhundert an den Universitätskliniken eingerichteten Pflegeschulen. Während die Diakonissen sehr gut auch in ärztlichen Tätigkeiten ausgebildet waren und entsprechend selbstbewusst auftraten, hatten sich die weltlichen Krankenschwestern unbedingt den Weisungen des Arztes unterzuordnen. „Daher stammt das Selbstverständnis der Pflege als ärztlicher Hilfsberuf“, so Nolte. Aufopferungsvoll, duldsam, gehorsam und geringe Ansprüche an das Gehalt – dieses Berufsbild lockte seit Zeiten des Wirtschaftswunders immer weniger Bewerberinnen. Eine Akademisierung und damit auch Emanzipation der Pflege, wie sie in anderen Ländern teilweise schon Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte, blieb in Deutschland lange aus, passte nicht zum Image des ärztlichen Hilfsberufs. Das macht das deutsche Krankenhaussystem gleichzeitig unattraktiv für ausländische – meist besser qualifizierte – Pflegekräfte. „Da haben wir den Anschluss verpasst“, so Nolte.
Das sieht auch Professor Hasseler so. Sie sagt: „Das System ist noch über weite Strecken sehr arztzentriert. Und die Bereitschaft, daran grundsätzlich etwas zu ändern, ist bislang sehr gering.“ Die aus dem Fachkräftemangel resultierenden Risiken seien in der öffentlichen Debatte nicht ausreichend thematisiert. Beispiel Personalschlüssel: „Es gibt eine gute internationale Studienlage, die besagt, dass ab einem Betreuungsschlüssel von 1:8 das Komplikationsrisiko für die Patienten steigt. Ein anzunehmender Grund ist, dass die Pflegekräfte frühe Anzeichen für eine Verschlechterung im eng getakteten Stationsalltag nicht immer bemerken“, so Hasseler. Die ab 2019 geltenden Personaluntergrenzen für sensible Bereiche seien zwar ein guter und wichtiger Schritt. Sie liegen aber – außer bei Intensivstationen – allesamt über einem Verhältnis von 1:8. „Damit sind wir im internationalen Vergleich immer noch im schlechten Bereich.“
Woher aber mehr Pflegekräfte nehmen, wenn der Arbeitsmarkt leergefegt ist? Eine Lösung für den Nachwuchsmangel sieht sie u.a. in der wissenschaftlichen Qualifikation der Pflege hin zu einem Expertenstatus der Pflegenden, der dem der Ärzte gleichkommt, mit entsprechenden Einsatzgebieten und Gehaltsstufen für verschiedene Qualifikationsstufen. Das mache den Beruf an sich wieder attraktiv. Zudem sollten sich mehr Kliniken als bisher mit der Frage beschäftigen, was einen guten Arbeitgeber im Gesundheitswesen ausmache. Umfragen unter Pflegenden ergaben, dass zwar ein hohes Rückkehrpotenzial bestehe, dabei aber neben Sicherheit bei den Arbeitszeiten und Work-Life-Balance auch Weiterentwicklung und Teilhabe wichtige Themen seien. „Wir brauchen einen partizipativen Ansatz: Pflegende müssen bei Entscheidungen gleichberechtigt mitreden dürfen. Erst eine Aufweichung des bestehenden hierarchischen Systems kann in meinen Augen die Situation der professionelle Pflege in Deutschland nachhaltig verbessern und eine wirkliche interprofessionelle sowie qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für die Patienten ermöglichen“, betont die Pflegewissenschaftlerin.