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“Es wäre gut, mehr Unabhängigkeit und Selbstkritik zu beweisen”

[1]Mit der „Affäre Relotius“ hat nach Ansicht von Mathias Döpfner
(Interview der dpa im Wortlaut)
nicht nur der Spiegel ein Problem – der Fall gehe die ganze Medienbranche an. Der Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) fordert im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur eine schonungslose Aufarbeitung des Skandals und warnt vor falscher Branchensolidarität.
Sonst, so der Vorstandsvorsitzende des Medienhauses Axel Springer, drohe das Grundvertrauen in die Medien weiter zu erodieren.

Herr Döpfner, Harald Schmidt hat in einem FAZ-Interview unlängst gesagt, dass die Affäre um die Fälschungen von Claas Relotius im Spiegel die deutsche Bevölkerung “null” interessiere. Sehen Sie das auch so?
Mathias Döpfner:

Harald Schmidt ist Satiriker. Das kann er nur ironisch gemeint haben. Der Versuch, das zum Fälscherfall Relotius runterzuspielen, scheitert. Das Problem dieser Spiegel-Affäre liegt tiefer. Man sitzt auf dem hohen Ross und beschreibt in schöner, fast literarischer Sprache die Welt, wie sie sein soll. Haltung ist oft wichtiger als Handwerk, Weltanschauung wichtiger als Anschauung. In einem solchen Klima gedeiht Erfindung. Relotius hatte ja Vorboten. Wir erinnern uns an den Reporter, der Seehofers Modelleisenbahn anschaulich beschrieb, ohne in dem Keller gewesen zu sein, in dem Seehofer sie aufgebaut haben soll. Relotius verstand immer besser, welchen Sound man liefern musste, um Ressortleiter und Jurys von Journalisten-Preisen zu bedienen. Erfindung war da am Ende effizienter als Recherche. Und das interessiert die Bürger im höchsten Maße. Weil es Grundvertrauen erschüttert. Und zum Teil berechtigte Kritik an unserer Branche bestätigt. Aber: Wenn das jetzt ordentlich aufgeklärt wird, Konsequenzen jenseits der Bauernopfer gezogen werden und die Menschen nicht das Gefühl haben, dass es hier falsche Branchensolidarität gibt, dann birgt das Ganze auch eine große Chance zur Katharsis. Der Fall geht die gesamte Medienbranche an, nicht nur eine Zeitschrift.

Wie finden Sie den bisherigen Stil der Aufklärung?

Erstaunlich zurückhaltend. Offenbar wirkte das Argument, dass Relotius ja auch in anderen Publikationen von Zeit Online und Welt bis zum Magazin der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hat, wie eine Beißhemmung. Als wenn das die Sache weniger schlimm macht. Der Skandal wurde im Wesentlichen auf den Medienseiten und in den Feuilletons abgehandelt. Erstaunlich, wenn man das mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern des stern in den 80er Jahren vergleicht. Dieser Fall ist ja wesentlich schlimmer als die Hitler-Tagebücher. Der Name war zwar damals spektakulärer, aber der Vorgang beim Spiegel ist natürlich ein viel tiefergehender. Hier ist ein Klima geschaffen worden, in dem Relotius über einen langen Zeitraum mehr als fünfzig Texte im Heft und auf Spiegel-Online, darunter zum Teil fast komplett erfundene Geschichten, veröffentlichen konnte. Kontrollmechanismen haben wiederholt versagt. Inklusive der legendären “Dokumentation”, mit der Spiegel immer wieder geworben hat. Die gefälschten Tagebücher haben damals wochenlang die Nachrichten bestimmt. Bei den gefälschten Artikeln gab’s nach ein paar Tagen noch kleine Meldungen. Es wäre gut für die Branche, etwas mehr Unabhängigkeit und Selbstkritik zu beweisen.

Ist das eine Zäsur für die deutschen Medien?

Das Problem, dass einstweilen aus dem “Sturmgeschütz der Demokratie” ein “Luftgewehr der Fantasie” geworden ist, das muss der Spiegel lösen. Die Chance besteht, weil er das große Glück hat, dass seit Januar ein Chefredakteur amtiert, der mit dieser Sache nichts zu tun hat, also völlig unbelastet agieren kann. Wenn er das konsequent macht, kann auch der Spiegel sich davon erholen. Wenn nicht, und vor allem wenn die Medienbranche insgesamt zu schnell wegguckt und hier mit zweierlei Maß misst, dann kann das tatsächlich zu einer Zäsur werden. Denn es würde unser höchstes Gut, die Glaubwürdigkeit untergraben. Wie will man denn in Zukunft mit anderen Enthüllungen umgehen – von der Neuen Heimat bis zu “Dieselgate” – wo doch mit harten moralischen Maßstäben gemessen und schnell nach personellen Konsequenzen gerufen wird. Wer soll das denn noch ernst nehmen? Es steht hier also sehr viel auf dem Spiel.

Sind nationale Leitmedien für solche Fehler besonders anfällig? Wäre das in den Redaktionen einer Lokalzeitung oder Regionalzeitung vielleicht nicht passiert?

Vorneweg: Niemand sollte sagen “Bei uns hätte das nie passieren können.” Wer das glaubt, ist schon an sich gefährdet. Demut ist bei uns allen geboten. Aber es mag schon sein, dass die Bodenständigkeit einer Lokalzeitung für solche Auswüchse der Hybris weniger anfällig ist. Und ganz praktisch: vielleicht wäre in einer Lokalzeitung ein Ressortleiter näher am Reporter dran gewesen, hätte zum Beispiel seine Reise- oder Spesenabrechnungen im Detail angesehen und gemerkt, dass der Reporter gar nicht in dem Café Kaffee getrunken hat, das er in seiner Geschichte beschreibt.

Wie stehen Sie zu Aktionen wie den Twitter-Hashtag #Nazisraus? Nach dem Angriff auf den AfD-Abgeordneten in Bremen war eine ZDF-Reporterin, die den Hashtag getwittert hatte, heftig angefeindet worden. Unter Journalisten löste der Fall eine Welle der Solidarität für die Kollegin aus …

Wörtlich genommen ist der Gedanke des Satzes “Nazis raus” natürlich richtig. Aber das, was jetzt viele im Netz damit meinen, und die Haltung, die dem zugrunde liegt, finde ich höchst problematisch. Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ist immer falsch. Wer das verharmlost oder dafür Verständnis weckt, verlässt den rechtsstaatlichen Raum. Das ist in jedem Fall vollkommen inakzeptabel und ein Zeichen für die zunehmende Unfähigkeit, durch gute Argumente eine Partei zu entzaubern, die außer Zorn und Ressentiment nicht viel zu bieten hat. Journalisten sollten dafür besonders sensibilisiert sein. Durch solche Aktionen kristallisiert sich ein zunehmend intolerantes Meinungsklima und eine intellektuelle Unfähigkeit, mit anderen Meinungen sowie unterschiedlichen Auffassungen weltoffen und zivilisiert umzugehen. Es ist traurig, wenn sich ausgerechnet Journalisten so eine Haltung zu eigen machen und mit einem solchen Spruch obendrein den Nationalsozialismus verharmlosen, damit den Holocaust minimieren und ahistorisch kontextualisieren. Im übrigen: Nazis müssen nicht raus, also woanders hin, sondern ganz verschwinden. Aber nicht jeder, der eine andere Meinung hat, ist ein Nazi.

“Ich finde es geschickter, wenn Journalisten ihre Kreativität für ihre eigenen Plattformen nutzen und nicht mit ihren Tweets als Gratis-Dienstleister die Reichweite der Sozialen Medien steigern”

Sind Sie in den Sozialen Medien unterwegs?

Nein, das kostet zu viel Zeit, produziert zu viel negative Energie und zu wenig Erkenntnis.

Da widersprechen Sie vielen Journalismus-Strategen, die sagen,
dass man als Medienmanager drin sein müsse.

Journalisten müssen natürlich Soziale Medien als Informationsquelle und Rechercheinstrument benutzen. Aber die eigene Präsenz von Journalisten in sozialen Medien erscheint mir zunehmend problematisch. Die Idee, dass der Vertreter einer Medienmarke rein privat twittern oder auf Facebook posten kann, ist absurd. Kein Mensch kann das unterscheiden. Ein Chefredakteur oder Redakteur ist dort keine private Person. Deshalb wird viel zu schnell geschrieben, was am Ende der Marke abträglich ist. Am Ende dienen diese Aktivitäten allenfalls der Person, sehr selten dem von ihr vertretenen Medium. Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung, wenn nicht gar vollkommene Enthaltsamkeit. Außerdem haben Journalisten doch eine gute Plattform, um sich auszudrücken. Ihr Medium. Warum sollten sie Ihr wertvollstes Gut – ihre Erkenntnisse und Gedanken, ihre Inhalte – verschenken, um Twitter zu Exklusivnachrichten oder Kurzkommentaren zu verhelfen?