Rechthaber*Inen und Fundamentalisten*inen haben es leicht, und entsprechend einfach sind auch ihre Lösungsvorstellungen. Sie glauben, ihr Standpunkt sei der richtige; der – was Wunder – einzig richtige.
Wer den Standpunkt teilt, ist Freund; wer den Standpunkt kritisiert ist Feind, Angreifer oder vom Bösen beseelt. Dies gibt ihm das Recht zu verfolgen, zu bestrafen oder zu vertreiben, was anders ist. Der Rechthaber drückt dies mit Worten oder mit seiner Haltung aus: Es hat keinen Sinn dem andern zuzuhören; denn der versteht nichts davon, ist dumm, beschränkt oder stur, unterentwickelt oder hier am falschen Platz. Oft taucht beim Rechthaber auch die Vorstellung auf, der andere wolle ihn absichtlich nicht verstehen oder habe gar Böses gegen ihn im Sinn.Wenn sie es mit Rechthabern zu tun haben, seien sie nun 3 jährig, vierzig oder siebzig,
zeichnet diese gerade aus, dass sie sich mit Vehemenz an ihren Standpunkt klammern. Im Umgang mit ihnen wird den Gesprächspartnern meist bald deutlich: Es sind ängstliche, unsichere Persönlichkeiten, ein Rechthaber ist nicht einfach ein böser oder egoistischer Mensch: Seine persönliche Sicherheit und die Wertschätzung, die er sich selber geben kann, ist direkt abhängig davon, dass sein Standpunkt nicht ins Wanken gerät. Jede Ritze, die ein Zweifel schlagen könnte, bedroht viel mehr als den geäusserten Standpunkt: Sie würde seine Persönlichkeit, seinen Selbstwert, seine innere Sicherheit erschüttern. Ist etwas nicht mehr so wie es sein muss, immer schon war, ja einfach „so ist und nicht anders“, so gerät er in Angst und Schrecken. Rechthaberei ist ein Defizit an Selbstsicherheit und innerem Halt, das sich umsetzt in ein Klammern an äußere Regeln und Leitplanken, die ihm das sind, was das Seil an steiler Felswand für den Schwindelanfälligen.
Rechthaber können sehr durchschlagskräftig sein, weil die existentielle Angst, die die Verteidigung des Standpunktes beflügelt, als grosses Gewaltpotential wahrgenommen und – je nach Kräfteverhältnis – entsprechend gefürchtet wird. Wer nicht mit sich reden lassen kann, kann nur gewinnen oder verlieren; und dies entscheidet sich allein an den Machtverhältnissen und nicht an Kriterien der sachlichen Richtigkeit oder dem besseren Argument.
In Diskussionen mit „Andersdenkenden“ fiel mir oft auf, dass unter Toleranz reines „laisser faire“ oder sogar Gleichgültigkeit verstanden wurde. Wenn sich wer wehrte, galt das als intolerant.
Wenn sich im Unterricht gähnende Leere oder Langeweile in der Diskussion breitmachte, kam meist heraus, dass niemand einen Standpunkt zu vertreten wagte, weil man gelernt hatte, „tolerant“ zu sein.
Toleranz meint aber etwas ganz anderes: Es heißt Aushalten! Aushalten von Spannungen, Aushalten von Gegensätzen, Aushalten von Unverständnis. Nur wer etwas aushalten kann, kann auch etwas aushandeln! Rechthaber halten die Spannung nicht aus, dass etwas auch anders ist oder anders sein könnte, als sie sich vorstellen. Wenn keine Spannungen ausgehalten werden, wird es aber bald einmal langweilig (falsche Toleranz) oder gewalttätig (Auslöschen des anderen Pols). Spannend ist das Leben doch gerade dort, wo nicht alles gleichförmig ist, wo zwei Andersartigkeiten aufeinanderprallen. Dann sieht man mehr und nicht nur beim andern, sondern auch bei sich selber.
Sehr geehrter Herr Feder, weshalb ich dies alles schreibe? Ich denke – nachdem ich vieles von Herrn Gottschling mit großem Vergnügen genossen und auch einige Ihrer Kommentare dazu gelesen habe, meine ich, dass Sie durchaus in die Schublade (!) Rechthaber hineinpassen. Oder, zum Beispiel haben Sie weiter unten nicht die Abhandlung über „Ironie“ gelesen? Dann wäre doch aber Ihre Klammer nicht vonnöten gewesen.
Mit freundlichen Grüßen
R. Buchmann Psychotherapeut SPV/ASP, St. Gallen – vs. FF