Der Papiercontainer wartet schon …

Journalisten sollten keine Geschichten nach Hause bringen, die – wie „im Fall Claas Relotius“ –
larger than life seien:
Zu allererst nämlich haben Journalisten keine Künstler zu sein, sondern eher ordentliche Handwerker.
Zweitens: Sie müssen der Wahrheit dienen und nicht dem eigenen Ruhm.
Drittens: Sie haben eine Aufgabe. Sie sind die von Karl Kraus sogenannten ‚Kehrichtsammler der Tatsachenwelt‘, die dokumentieren, nachfragen und zweifeln. Daraus entstehen dann zwar keine Texte wie Discokugeln, die nach allen Seiten glitzern. Aber dem Ansehen des Journalismus und der Aufgabe, die er in der Gesellschaft hat, hilft die solide Geschichte mehr als Texte, die zu schön sind, um wahr zu sein. Aufgerollt und aufgelesen:

Der Fall CR wird zum kunstgewerblichen Überbleibsel

In der SZ ahnt Annette Ramelsberger, wie viel Schaden der Fall Claas Relotius dem Journalismus insgesamt zugefügt hat.

In der FR sieht Daniel Kothenschulte im Reportagestil des Spiegel allerdings eher das kunstgewerbliche Überbleibsel des einst bewunderten ’new journalism‘. Und noch etwas: Im ‚Spiegel‚-Kanal auf Facebook findet sich noch immer ein Werbevideo, in dem Relotius seine Reportage ‚In einer kleinen Stadt‘ über Trump-Wähler im Mittleren Westen der USA ankündigt. ‚Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen dort froh waren, dass jemand aus Deutschland kam und ihnen zuhört‘, transportiert das kolonialistische Klischee des deutschen Weltverstehers.“

In der taz fallen Anne Fromm und Rene Martens übrigens auch noch einige andere Namen ein, wenn es ums Fabulieren oder Zuspitzen und mangelnde journalistische Fairness geht. Aber bei den Reportern des Spiegel, meinen sie, gab es durchaus ein System: „Die Geschichtenerzähler beim Spiegel, intern werden sie ‚Märchenfraktion‘ genannt, bekamen auch personell über die Jahre mehr Einfluss. Klaus Brinkbäumer, der im Sommer abgesetzte Chefredakteur, stand für das große Erzählen. Auch Ullrich Fichtner gehört zur Reporterfraktion. Das Schönschreiben wurde hausintern mehr prämiert als die Recherche, bemängeln einige im Haus. Dafür gab es Journalistenpreise – aber mit dem Fall Relotius jetzt vielleicht auch die Quittung.“

Auch in der NZZ attackiert Rainer Stadler die Schönschreiber und Großerzähler: „Sie zeugen von einem naiven Realitätsbegriff, an den sich die Branche wider besseren Wissens klammert.“

In der Welt spricht Christian Meier mit Spiegel-Chefredakteur Ullrich Fichtner über den Fall.

Auf ZeitOnline rekapituliert Holger Stark ausführlich den Knall, der zudem aber
„auch den Journalismus an sich berührt“.

Und im Schweizer Buchjahr kommt auch Borderliner Tom Kummer zu Wort, der selbstverständlich viel Verständnis für Relotius aufbringt: „Ich erlebe ihn nur als Projektionsfläche dieser redaktionellen Selbstenthüllungs-Orgie, die mir natürlich bekannt vorkommt und die mit zum Schlimmsten gehört, was ich je gelesen habe.“

Wir,
wir haben uns ja beredt bereits zu alledem geäußert: Wie das alles hätte so gewesen sein können.
Und, hernach kann ja jeder sowieso alles (noch) besser gewußt haben.
Armes – wie heißt er doch gleich – Schwein, dieser …

Dez. 2018 | Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Zeitgeschehen, Was sonst noch geschah | 1 Kommentar