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“Gefährlichste Waffe gegen Demokratie”: Facebook und “Gelbwesten”

[1]Die Proteste der so genannten Gelbwesten in Frankreich erreichten am Wochenende einen neuen, gewaltsamen Höhepunkt mit über 130 Verletzten in Paris. Der französische Medienwissenschaftler Frederic Filloux analysiert in seinem Blog „Monday Note“, wie Facebook die gewaltsamen Ausschreitungen befördert.
Facebook sei die „gefährlichste Waffen gegen Demokratie, die jemals erfunden wurde“, so Filloux.

Die “Gelbwesten” sind eine lose Gruppe von Demonstranten und Randalierern, die gegen die Politik von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron protestieren. Macron protegiere ihrer Meinung nach Reiche und Eliten und betreibe eine abgehobene Politik. Entzündet hatten sich die Proteste an einer neuen Steuer auf Benzin und Diesel und den daraus resultierenden, deutlich gestiegenen Tankkosten in Frankreich. Die “Gelbwesten” sind keine hierarchisch organisierte Gruppe, sondern agieren dezentral ohne erkennbare Führung. Ihr Erkennungszeichen sind gelbe Verkehrswarnwesten.

Unter der Überschrift “How Facebook ist fueling the French populist rage [2], erklärt Frederic Flloux, wie die “Gelbwesten” Facebook nutzen, um Proteste zu organisieren und die öffentliche Debatte zu vergiften. “Nearly all the people I talked to admitted to relying on Facebook to get informed in real-time on the unfolding events. In France, 63 percent of internet users are on Facebook”, schreibt er. Bereits vor zwei Wochen seien über 1.500 Facebook-Events mit Bezug auf die “Gelbwesten” in Facebook erstellt worden. Zu den zahlreichen Facebook-Gruppen kommen viele Live-Übertragungen von den Protesten und “Gelbwestlern” hinzu. Dabei haben sich, so Filloux, einige Protagonisten der “Gelbwesten” zu so etwas wie Influencern entwickelt, die in klassischen Medien   eine Bühne bekommen. Als Beispiel nennt er Maxime Nicolle, der unter dem Pseudonym Fly Rider auf Facebook aktiv ist und derzeit dort über 80.000 Abonnenten hat. Seine Live-Übertragungen von “Gelbwesten”-Protesten werden laut Filloux von tausenden Zuschauern verfolgt. Mittlerweile sind längst die traditionellen Medien aufmerksam geworden und interviewen “Fly Rider” regelmäßig für TV-Nachrichten und er taucht in Zeitungsberichten auf. Filloux: “Right now in France, traditional TV is trailing a social sphere seen as uncorrupted by the elites, unfiltered, and more authentic.”

Facebook habe hier den klassischen Medien die Führungsrolle abgenommen. Hinzu kommt die große Bedeutung, die der vor einiger Zeit veränderte Algorithmus Facebook-Gruppen zuweist. Facebook hat seinen Algorithmus so verändert, dass Inhalte von klassischen Medien weniger häufig in den Timelines der Nutzer auftauchen, Beiträge aus Facebook-Gruppen dafür mehr. Dies hat zur Folge, dass man auch bei nur wenigen Interaktionen innerhalb einer Gruppe mit Inhalten dieser Gruppe regelrecht geflutet wird. Wer Mitglied einer “Gelbwesten”-Gruppe wird und auch nur einen Beitrag “liked”, bekommt so auf Facebook extrem viele Inhalte aus dieser Gruppe angezeigt. Eine sich selbst verstärkende Filterblase, so Filloux. Umgekehrt dringen traditionelle Medien auf Facebook nicht mehr zu den Nutzern durch, wenn sie etwa Fake-News aufdecken, die in “Gelbwesten”-Gruppen verbreitet werden.

Was Facebook-Chef Mark Zuckerberg mit den Veränderungen am Agorithmus verändern wollte, nämlich die Qualität von Interaktionen und Kommunikation verbessern, wird hier ins Gegenteil verkehrt.

Filloux bezeichnet Facebook als “the most threatening weapon to democracies ever invented”. Das Social network sei von Populisten und Parteien für deren Zwecke eingespannt worden, habe rund ein Dutzend Wahlen weltweit beeinflusst und eine Reihe von Populisten an die Macht gebracht. Der Medienwissenschaftler nennt die Beispiele Donald Trump in den USA, Rodrigo Duterte auf den Philippinen und Jair Bolsonaro in Brasilien. Letztgenannter habe eine treue Gefolgschaft über WhatsApp aufgebaut, das hundertprozentig zu Facebook gehört. Sollte Facebook also verboten werden? Nein, meint Filoux. Das würde nur noch schlimmeren Plattformen den Weg bereiten. Er plädiert allerdings für eine deutlich stärkere Regulierung des weltgrößten Social Networks bis hin zur Zerschlagung. Facebook, WhatsApp und Instagram sollten nach Meinung von Filloux wieder getrennt werden. Das, so gibt er zu, könnte noch eine ganze Weile dauern. In der Zwischenzeit sei mit weiteren Schäden zu rechnen.