Buddha Shakyamuni (Detail), westliches Tibet, 12./13. Jahrhundert. Museum Rietberg

Duftöle, Räucherstäbchen, Grüner Tee, Yoga, nicht verbissen – schon haben wir den Buddhismus. Hinzu kommt noch die obligate goldene Figur in Meditationssitz – und mit den sanftesten Gesichtszügen der Welt. Ist sie Mann oder Frau?

Einerlei, solche Fragen spielen keine Rolle für Buddha, der heute sozusagen in jedes Spa gehört und in fast jedem Lampengeschäft gekauft werden kann.

Neben Entspannung und Stille verspricht Buddha auch Erleuchtung, durch Verkitschung und Vermarktung jedenfalls lässt sich dieser Gott nicht in seiner Versenkung stören.

Zwar mahnen am Flughafen von Bangkok mittlerweile Plakate zu respektvollem Umgang mit der Religion der Thais. Aber Eiferer, die den Kommerz rund um ihre Heilsfigur unterbinden wollten? So etwas gibt es nicht. Jedem ist es freigestellt, wie er sein Stückchen Erleuchtung findet. Denn der Buddhismus ist eigentlich gar keine richtige Religion. Er kennt keinen zürnenden Gott, auch keinen gemarterten Gottessohn und schon gar keinen Hassprediger, der zur Vernichtung aller Ungläubigen aufruft. Er ist bloss ein Ismus.

 Religion ohne Gott

Vor allem aber und überhaupt ist der Gott des Buddhismus kein Gott. Buddha war ein Fürstensohn. Und seine Weisheit eine Lebensphilosophie, eine Lehre – die der Leere nämlich. Denn zu belehren gibt es eigentlich nichts und niemanden in dieser Quasi-Religion, die so tolerant ist, dass sie alle anderen Religionen neben sich bestehen lässt. Das zeigt sich etwa am Beispiel Japans, wo es mehr Buddhisten, Shintoisten und Christen gibt, als die Gesamtbevölkerung Köpfe zählt – schlicht aus dem Grund, dass man dort als Buddhist auch noch anderen Konfessionen anhängen kann. Buddhisten dürfen wir alle sein, Experten darin sein müssen wir nicht. Im Amida-Buddhismus zum Beispiel genügt es, ein paarmal täglich seinen Namen anzurufen.

Der Buddhismus nimmt sich nicht so wichtig wie andere Religionen. Er entledigt sich vielmehr der Gewichte. Und er ist vor allem das, was die Menschen aus ihm machen: ein Vehikel, ein Gefährt, das man besteigen kann, um etwas besser durchs Leben und ans Ziel zu gelangen. Der grosse und der kleine Wagen nennen sich die beiden wichtigsten Zweige des Buddhismus, Mahayana und Hinayana.

Und wohin soll es gehen? Erleuchtung ist das Ziel, verstanden als eine Art Erlösung vom Leid, das verursacht wird durch die Verstrickungen ins Weltliche, genannt Samsara. Ein Paradies gibt es auch, das Nirwana, wenn man will. Wobei der Begriff ganz einfach «Erlöschen» bedeutet. Wo wir unsere Erleuchtung finden, das dürfen aber auch kleine irdische Paradiese sein, etwa eine Meditationsschule auf dem Beatenberg oder eine Wohlfühloase in einem Luxushotel.

Buddhismus hat für uns immer auch ein bisschen mit Ferien zu tun – und mit Weltflucht. Denn an solch entrückten Orten sind wir ja für Augenblicke vor allem eines: ausserhalb unseres profanen Alltags, befreit von unseren täglichen Sorgen und Verpflichtungen. Ein Stück weit erlöst eben – mithilfe des Eskapismus.

Nächtliche Flucht des Prinzen Siddharta Gautama (Shakyamuni) aus dem Palast (Detail). Japan, Edo-Zeit, 18. Jahrhundert, Tusche und Farben auf Papier.
(Bild: © Nationalgalerie Prag)

Wie wir war auch der indische Prinz Siddharta Gautama alias Shakyamuni ein Eskapist, wenn man der Legende folgt. Als er den Fuss erstmals vor den Palast gesetzt hatte, in dem er behütet und in Saus und Braus aufgewachsen war, erschütterte ihn das Leid der Menschen so sehr, dass er sich in die Berge zurückzog, um über den Sinn des Lebens zu sinnieren.

Bedeutet Buddhismus demnach einfach Rückzug und Abwendung vom Leben? Wer sich nicht völlig frei macht von Wünschen, vom Streben nach Glück, der wird wohl nie frei sein von Leiderfahrung. Wer sich aber zu freuen verlernt, muss nicht trauern, wer nicht Lust erfährt, ist vielleicht freier von Schmerz, wer nicht die Fülle erlebt, kennt keinen Mangel. Man mag dem Buddhismus daher eine gewisse Lebensfeindlichkeit zuschreiben.

«Töte!», sagt der Meister zu seinem Schüler, worauf dieser erschrickt, denn eine Todsünde ist es auch im Buddhismus, jemanden des Lebens zu berauben. Gemeint ist aber nicht Mord, sondern vielmehr, seine Leidenschaften zum Schweigen zu bringen. Und tatsächlich scheint der äusserst harte Weg, den jemand wählt, der in das Kloster des japanischen Eihei-Tempels, eine der strengsten buddhistischen Schulen überhaupt, eintritt, in gewissem Sinn auf ein Abstumpfen aller Sinne zu zielen: Durch physische Agonie stundenlanger Mediationssitzungen, durch Mangel an Schlaf, durch magere Mahlzeiten, durch einen rigiden Stundenplan körperlicher Arbeit soll der Schüler aber von seinem Selbst loskommen.

Irgendwann kehrte Shakyamuni von den Bergen zurück. Ein berühmtes Gemälde des chinesischen Zen-Malers Liang Kai zeigt den leidgeprüften Asketen, wie er aus dem Schatten einer grauen Felswand tritt. Das Haupt ist nicht wie üblich in solchen Darstellungen mit einem Nimbus umfangen: ein entscheidendes Merkmal dieser Tuschemalerei. Denn kehrt Shakyamuni gar nicht deshalb zurück in die weltlichen Niederungen, weil er endlich die Erleuchtung erlangt hat? Hat er vielmehr eingesehen, dass seine Übungen vergebens waren?

Wer so überlegt, verstrickt sich bereits wieder in logisch-diskursives Denken. Im Zen-Buddhismus gibt es aber kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch. Die Erleuchtung mag also in der Einsicht bestanden haben, dass bloss stures Festhalten an Meditation und Selbstkasteiung nichts bringt.

Buddha und Sexualistät?

Die sogenannte Grüne Tara, eine weibliche Buddhafigur des Mitgefühls, China, Ming-Dynastie, feuervergoldete Messinglegierung, rechts die durchleuchtete Figur mit Weihegaben. (Bild: Museum Rietberg), Legat Martha und Ursula Wirz)

Es kommt allein auf die Einstellung an, auf unsere Denk- und Verhaltensweisen. Alles Leid, aller Schmerz, alle Begierden und auch der Tod sind nun einmal untrennbar mit dem Leben verbunden. Wer das Unabänderliche als das nimmt, was es ist, der bleibt gelassener angesichts von Schicksalsschlägen, leidet vielleicht etwas weniger und ist damit der Erlösung einen Schritt näher.

In der Ausstellung des Museums Rietberg «Nächster Halt Nirvana – Annäherungen an den Buddhismus» erzählen Kunstwerke aus Indien, China, Japan, dem Himalaja und Südostasien von den Anfängen des Buddhismus in Indien und seiner Verbreitung bis in die heutige Schweiz.

Es gibt Mönche, die beim Holzhacken Erleuchtung fanden. Was zählt, ist, nicht vor dem Leben zu fliehen, sondern gerade im Alltäglichen das Heil zu suchen. Und wenn diese «Erleuchtung» auch nur darin besteht, ganz bei der Sache zu sein. In jeder Verrichtung – zum Beispiel auch im Schreiben dieses Artikels – kann man schliesslich aufgehen wie ein selbstvergessenes Kind beim Spielen. Wenn das nicht ein Stück weit Erlösung ist?

Solche Erlösung findet der Buddhismus selbst im Sex. Welche Religion kann Vergleichbares bieten? Es gibt Buddha auch in weiblicher Form (Tara), und in der tantrischen Auslegung wird dauernd meditierend kopuliert. Wunderschöne feuervergoldete Plastiken von vereinten Paaren aus Tibet führen es uns vor Augen.

Denn dass man sich enthalten und sich vom anderen Geschlecht nicht ablenken lassen soll, ist auch nur eine Sache der Auslegung. Der Zen-Meister jedenfalls, der einer buddhistischen Anekdote gemäss eine junge Frau über einen Fluss getragen hat, beging allein in den Augen seines verdatterten Schülers bereits ein Sakrileg. Als dieser ihn viel später auf dem Weg darauf ansprach, erwiderte er: „Ich habe das Mädchen am anderen Ufer abgesetzt, du trägst es noch immer mit dir herum.“ Die Dinge so nehmen, wie sie sind, kommt doch durchaus einer Bejahung des Lebens gleich: dessen, was ist, wie es eben ist.

Buddhismus ist die toleranteste „Religion“ der Welt
Heilslehren gibt es viele, auch der Buddhismus ist eine solche. Und obwohl im Westen viele nicht mehr länger einer Religion anhängen, ist seine Popularität ungebrochen. Das mag damit zu tun haben, dass er eigentlich eine Lebensphilosophie ist und damit eben nur ein Ismus – der allerdings toleranteste aller Ismen.

In der Ausstellung des Museums Rietberg in Zürich „Nächster Halt Nirvana
Annäherungen an den Buddhismus“ erzählen Kunstwerke aus Indien, China, Japan,
dem Himalaja und Südostasien von den Anfängen des Buddhismus in Indien und seiner Verbreitung
bis in die heutige Schweiz.

Bis 31. März 2019, Broschüre: Buddhismus -Abc, Fr. 10.00

Dez. 2018 | €uropa | Kommentieren