Wer in Russland von „nicht traditionellen sexuellen Beziehungen“ singt oder auch nur diesen Eindruck erweckt, muss damit rechnen, dass Konzerte verboten werden und weitere staatliche Repressalien drohen. Es ist vorgeblich immer der Begriff der ‚Unsittlichkeit‘, der bei den derzeit zahlreichen Konzertabsagen von Teenager-Bands und Rappern zum Tragen kommt. … Die Behörden stellen sich auf den Standpunkt, sie reagierten lediglich auf die Anrufe von „besorgten Eltern“, die fürchteten, ihre Kinder gerieten auf die schiefe Bahn, hörten sie „diese bösen, nach Fäulnis stinkenden Lieder“, wie Vertreter mancher Elterngruppen die Werke der Bands bezeichnen.Dem Staat gehe es darum, „die Oberhand über die Auslegung der ‚Moral‘ zu behalten“, dazu gehöre die unhinterfragte Akzeptanz dessen, was die Mehrheit für die Norm hält, Tabuthemen wie Sexualität kommen dabei nicht vor.“

Die neonblauen Haare hüpfen hin und her, das kindliche Gesicht schaut mit unschuldig dreinblickenden Augen in die Kamera und singt vom schüchternen Jüngelchen, das immer abseitsstehe und sich nicht traue, das Mädchen endlich zu küssen. Dazu ein paar Synthie-Pop-Klänge und gerappte Sätze. Im nächsten Lied, nun mit der Stimme eines jungen Mannes gesungen, heisst es: «Hol dein Notenheft heraus, und zerreiss es».

Es sind harmlose Zeilen über Probleme, die Jugendliche stets mit sich tragen. Erste Liebe, Schulsorgen, Elternstress. Russlands Teenager-Band Friendzona bezeichnet sich selbst als «Pop-Punk-Schülerkollektiv, durchtränkt von jugendlichen Tagträumen und dem Geruch billiger Zigaretten». Sie hat es mit dieser kindlichen Ironie innerhalb von wenigen Monaten zu Millionen Klicks im Netz gebracht – und hat es aus Sicht von Russlands Machtstrukturen übertrieben. Vier Konzerte der jungen Band sind in diesen Tagen abgesagt worden, in Sibirien genauso wie in der Nähe der Hauptstadt. Ob die landesweite Tour wie geplant stattfinden kann, ist ungewiss. «Dabei schreiben wir nur Lieder», säuselten die Jugendlichen in einer Videobotschaft auf der Chat-Plattform «Telegram», nachdem ihnen die Krasnojarsker Staatsanwaltschaft vorgeworfen hatte, zu «nicht traditionellen sexuellen Beziehungen», Alkoholmissbrauch und Suizid aufgerufen zu haben.

 „Besorgte Eltern“ machen mobil

 

Es ist stets der Begriff der «Unsittlichkeit», der bei den derzeit zahlreichen Konzertabsagen von Teenager-Bands und Rappern zum Tragen kommt. Da ist der Rapper Husky, der nach einem Auftrittsverbot in Krasnodar in Südrussland auf ein Auto gestiegen war, so vor seinem Publikum sang und wegen Rowdytums zu zwölf Tagen Haft verurteilt wurde (nach nur vier Tagen kam er frei). Da ist das Elektroduett IC3PEAK, dessen Sänger vor wenigen Tagen am Bahnhof der sibirischen Grossstadt Nowosibirsk in Handschellen von der Polizei abgeführt wurde, und auch die Sängerin Monetotschka (die kleine Münze), die sich gegen den Vorwurf wehren muss, in ihrem Lied «Der Hosenstall der Jeans» zu Vergewaltigungen aufgerufen zu haben.

Dez. 2018 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik | Kommentieren