Heute werfen wir mal einen sagen wir mal ziemlich subjektiven Blick auf Glanz und Elend des deutschen „politischen“ Kabaretts. In der vergangenen Woche im ZDF einmal wieder “Die Anstalt“ angeschaut zu haben das, – dass nämlich auf dem Bildschirm etwas vorhersehbar Richtiges geschieht – war im Grundsatz zwar schön, aber wenn dann doch wieder nur vier Minuten Intelligenz auf 37 Minuten Kalauer kommen, ist man halt schon ein bissle enttäuscht. Oder? Da loben wir uns – heute gehört – Dvořáks „Stabat mater“ in der Heidelberger Peterskirche. Aber das ist ja jetzt nicht unser Thema …
Alsdann, bleiben wir bei dem unerfreulicheren solchen: „Politisches Kabarett“ ist, so geht das Narrativ, sei vor allem „Haltung“: gern gegen „die da oben“, oder was man dafür hält. Nun ist zwar Haltung als Botschaft alleweil Kennzeichen aller Kabarettistler, denn von ihnen sollen wir, soll ja der Mensch erfahren, wer er oder sie ist oder sein sollte. Das hochverehrte Publikum begibt sich daher, nach Maßgabe der Anordnungen der jeweiligen Produktionsfirma GmbH & Co. KG, in den Zuschauerraum, um die vorhersehbaren Versprecher und Metaphern des Künstlers einmal, also sozusagen sozusagen live zu erleben. Es gibt möglicherweise vorher ein paar gesponserte Apfelsäfte. Daher kennt die Begeisterung kaum Grenzen, wenn man es schafft, die Imitation von Horst Seehofer -„ich trete nicht zurück, ich habe noch großes vor, oder Angela Merkel zu erkennen und dabei gefilmt zu werden.
Das war aber schon immer so, wir erinnern uns, wie die Reiz-Reaktion-Verstoffwechslung in den Jahren 1960 bis 1970 funktionierte: Ursula Noack sagte, Ludwig Erhardt sei dick, Heinrich Lübke peinlich und Hans-Georg Kiesinger ein Nazi-Mitläufer. Das wussten auch vorher schon alle; es galt aber dennoch als „Tabubruch“. Dieter Hildebrandt versprach sich exaktemeng an den Stellen, die der Zuschauer hatte kommen sehen, und im Tabubruch des Ostdeutschen Fernsehfunks (DFF) durfte später ab und zu ein als Dachdecker verkleideter Künstler sagen, dass ihm das Dach auf den Kopf gefallen sei. Auf diesem Niveau dichtet Uwe Steimle bis heute.
Im Westen, an den Rändern der Aufklärung, dichteten ganz andere Lichtgestalten. Ho-Ho-Ho, sagte das hochverehrte Publikum, das mehrheitlich aus Lehrkörpern bestand und die Werktätigkeit der Frau in der DDR im Grundsatz eigentlich gar nicht so schlecht fand, jedenfalls solange man es nicht übertreibt. Also durchaus gern auch einmal der Baggerführer Willibald, oder „Sonntags“ – erinnern wir uns an Franz Josef – „in der kleinen Stadt“, aber immer auf dem Boden der fdGO (siehe Lebenszeit-Anstellung etc. pp.). Kabarett gnadenlos entlarvend wg. Starfighter, Flick und so weiter. FJS stellte zuverlässig Strafantrag wegen Beleidigung, was das Geschäft belebte. Draußen in der Kälte schlugen die Vampire Neuss und Teufel die Trommeln der Anarchie, aber die waren ja – leider – nicht kompatibel.
Hier + Jetzt
Was ist geblieben, an der Kunst? Der geniale Qualtinger zerfiel. Achternbusch und Ringsgwandl haben die Jugend hinter sich. Polt und Schramm zitieren Schramm und Polt. Daher jetzt Nuhr, Welke, Priol. Herr Mittermeier bringt seine berühmte Behinderten-Nummer, und Herr Sträter seine extrem witzige Mütze: Er sagt, dass er Fußpilz hat oder dass er Sauerkraut-Auflauf furzen muss. Das reicht für eine öffentlich-rechtliche 10-Minuten-Performance. Für die Intellektuellen unter dem prekariativen Publikum sitzen Malmsheimer Rether und Pelzig auf der Einwechselbank. Aber damit sind wir schon im Übergangsmodus zur Prunksitzung.
Frauen-Kabarett
Es gab und gibt großartige Kabarett-Künstler. Und – hahaha – *Innen. Weil – mal eben zum Beispiel – ohne Karlstadt wäre Valentin nicht gewesen und ohne Schneeberger nicht Polt (und oder umgekehrt). Schwarzmann und andere können auch ohne Max+Moritz aus Nichts Bemerkenswertes machen, wenn sie gut drauf sind und einmal ein Lied schreiben, das nicht von Cellulite handelt.
Auch hier dominiert aber Kabarett 2.0. Wie wir wissen, hat der deutsche Humor der „Bettwurst“- und „Nichtsdestotrotz“- Generation sich mit Hilfe der ARD über Jahrzehnte zur so genannten „Comedy“ emporgearbeitet. Dies ist eine Kunstform aus den USA, deren für alle Zeiten gültige Definition man in dem Monroe-/Montand-Film „Let’s make Love“ (Machen wir’s in Liebe, 1960) in Gestalt eines kleinen Auftritts von Bob Hope erleben kann. Wenn man das Laufen auf den Innenknöcheln mit dem gefühlt einzigen Thema kombiniert, zu welchem Frauen im deutschen Humorgeschäft etwas Witziges sagen möchten – also entweder Vaginalausfluss oder die Sieben Zwerge – ist man relativ dicht dran …
Damit kommen wir nun unweigerlich zu Carolin Kebekus & The Screaming Sisters. Das Schreien als solches ist eigentlich eine Kommunikationsform für besondere Gelegenheiten. Es verliert wie alles an Wirkung, wenn es zum Standard wird. Aus nicht erkennbaren Gründen neigt eine Mehrheit weiblicher Humorinnen-Künstler dazu, 75 Prozent ihrer Wortbeiträge im Schrei-Modus zu performen. Die Gegenbewegung unter Leitung von Hazel Brugger bevorzugt den albernen Schräter-Modus geringstmöglicher Intonation zwecks Vortäuschung höchstmöglicher Hintergründigkeit. Vermutlich hat das mit Lampenfieber zu tun. Ich finde den unlustigen Depri-Sound oft einfach deshalb besser, weil er leiser ist.
Frau Kebekus jedenfalls schreit besonders viel und und zappelt dabei auch noch besonders hektisch herum. Sie ist überdies der Ansicht, dass sie besonders intensiv wirkt, wenn sie in einem Satz mit zehn Worten neun betont. Das zeigt ein zutreffend geringes Vertrauen in die Kraft des eigenen Gedankens. Das wiederum führt zu „paradoxen Reaktionen“, indem die Verfehlung des Ziels zum Anlass für immer noch schrecklichere Hervorbringungen genommen wird.
Apropos Gedanke! Hier kommt eine Kebekus-Inspiration aus der jüngsten „Anstalt“:
Oder, letztes Jahr, als die Pille danach zu haben war, hat Jens Spahn, unser Gesundheitsminister, gesagt: „Nein“, sagte er, „das kann man nicht machen, das sind ja schließlich keine Smarties“. Jens Spahn ist eh der Beste: Mann, schwul, und sagt mir, wie ich mich mit meiner Sexualität zu verhalten habe. Das ist ja, als würde mir’n blinder Veganer erklären, wie mein Mettbrötchen auszusehen hat.
Da ist das Publikum im ZDF begeistert und muss herzlich lachen. Wir hätte da Vorschläge für ähnlich lustige Hinweise von Uthoff/von Wagner in kommenden Folgen: „Frau, lesbisch, und will mir erzählen, welchen Arsch ich geil finden soll“; oder: „Muslima, Kopftuch, und sagt mir, wie man Zigeunerschnitzel brät.“ Ich bin sicher, dass alle das sehr lustig fänden.
Kleine Ergänzung zur Faktenlage: Die „Frauenärztin“ ist keine Frauenärztin, sondern Allgemeinärztin. Sie hat deshalb auch keine Kassenzulassung für die Abtreibungen, die sie anbietet. Auf Ihrer Homepage darf sie so viel Information verbreiten, wie sie will, nur halt nicht werben. Hierzu schrieb sie zwar nicht: „Hier super, zwei für eins, alles muss raus“ (Kebekus), aber doch immerhin: „Bitte Bargeld mitbringen“. Das scheint mir denn doch eher Richtung „Werbung“ zu gehen als Richtung Information.
Deutschland, „gespalten“
Herr Appenzeller, ein Autor mit einem großen Namen, hat das Folgende herausgefunden: Diese Welt wird regiert von Politikern, denen die Sorgen der Bürger fremd sind. Viele von Ihnen haben nie das erlebt, was man als die Ungewissheit eines Brotberufs benennen könnte. Die Angst, arbeitslos zu werden. Die Sorge, ob das Geld bis zum Monatsende reicht. Zweifel, ob die Rente am Lebensabend auskömmlich sein wird. Die Furcht vor zu viel Einwanderung (…)
Aus all dem generiert der Analytiker die Diagnose, dass „Deutschland gespalten“ sei zwischen Volk und „Regierenden“. Was für eine erbärmliche Vereinfachung! „Wenn sich die Parteien mehr um sozialpolitische Gerechtigkeitsthemen kümmern würden, könnten sie dem Populismus entgegenwirken“ (Appenzeller). Welchen Populismus meint er: Seinen eigenen oder den der jeweils anderen? Welche „sozialpolitischen Gerechtigkeitsthemen“ sind gemeint? Rente, Niedriglohn, Kommunikation, Wohnen, Bildung, Vermögensverteilung? Welche Vorschläge und Lösungen hat etwa Herr Appenzeller dazu, und um welches Nicht-„Kümmern“ konkret geht es? Wie hoch ist eigentlich die „Rente“ des „Spaltungs“-Kritikers Appenzeller? Welchen Brotberuf kennt er, außer dem des Redens, Schreibens und „Leitens“; wieviel Brot hat er im Leben gebacken? Was unterscheidet sein eigenes werktätiges Wirken von dem einer Bundestags-Abgeordneten aus Brandenburg oder eines Ministers im Saarland? Was sagt er zur „Spaltung“ der deutschen Geldvermögen?
Unter den Texten zur angeblichen Lage Deutschlands im Jahr 2018 scheint mir dieser symptomatisch falsch: Die vorgeblich anti-populistisch gerichtete Kritik hat nichts zu bieten außer einem Populismus des Besserwissens, einer Klage des Zu-kurz-Kommens, wie sie das Deutsch-Nationale seit 150 Jahren mit „Sinn“ erfüllt.
Es gibt vermutlich viele „Spaltungen“ in Deutschland. Die wahrscheinlich am wenigsten entscheidenden davon sind solche zwischen „den Politikern“ und „dem Volk“ – Seriosität würde überdies erfordern, dass man sagt, wer „die Regierenden“ sind, die man beschuldigt, keinen Brotberuf und keine Rentenlücke und keine Angst zu kennen. Sind es die Abgeordneten der Bezirke, Staatssekretäre und oder Referatsleiter? Die Landtagsabgeordneten und ihre Lebens- und Ehepartner? Welches Politbüro ist gemeint? Wie hoch ist die Rentenerwartung des Bezirksbürgermeisters von Neukölln oder der Anstaltsleiter der JVA´s allüberall?
Eilige Meldung
Der Berliner Schriftsteller Ferdinand von Schirach, so meldet der DLF, ist gerade mit dem „Ricarda-Huch-Preis“ ausgezeichnet worden: für seine aufklärerische Enthüllung der Psychologie des Verbrechens. Wir missgönnen Herrn Schirach die 10.000 € wirklich nicht – andere kriegen viel mehr für viel weniger. Jedoch möchte dennoch einmal angemerkt sein, dass in wenigen „Dramatiker“-Oevres so wenig Neues, Wahres oder Wichtiges über die „Psychologie des Verbrechens“ erfahren werden kann wie im Panoptikum des Künstlers Schirach, der, bildlich gesprochen, meist auf einer Mauerkrone zwischen Großvater S., vorgetäuschtem Mandantenverrat und Karl May balanciert und für Enthüllungen der Art, dass der Mörder zum Frühstück ein Käsebrot aß, demnächst noch mit der Neu-Isenburger Hemingway-Medaille „Fliegenfischen heute und morgen“ ausgezeichnet werden wird.
Von Schirach – wir – natürlich wissen das – ist natürlich kein Kabarett, sondern Wirklichkeits-Dramatik der Tiefe: Ja, dachte Müller, heute muss es sein. Er würde dem Regierenden ein weichgekochtes Ei an den Kopf werfen und von dem Security-Mitarbeiter in den Bauch geschossen werden. Im Notarztwagen würde er dann offenbaren, dass er der uneheliche Sohn von Dagmar Berghoff und Rudi Dutschke ist. Dann würde ein Zwerg aus dem Busch springen und ihn in ein großes Schloss bringen.
Und Lidya, eine wunderschöne Königstochter würde ihm einen Preis verleihen.