Jeder Mensch lügt mehrmals am Tag. Kinder fangen schon mit zwei Jahren an, das Flunkern zu üben. Aber: Nicht nur Menschen schwindeln – Tiere stehen den Zweibeinern im Lügen und Betrügen kaum nach. Die tierischen Motive für die alltäglichen kleinen Unwahrheiten und Übertreibungen sind dabei die gleichen wie beim Homo sapiens.
Feinde, Konkurrenten oder Beutetiere müssen ausgetrickst oder ein Sexualpartner gewonnen werden. Oder: Vorgeblich muß in Heidelberg hohen „Sanierungsbedarfs und Platzmangels“ wegen im Providenzgarten ein „Musikwissenschaftliches Institut“ neu gebaut werden! Muß? Müssen muß Oberkirchenrat Matthias Kreplin aus Karlsruhe noch einige Gespräche führen …
Wer besonders gut schwindelt und blufft, kann sich das Leben erleichtern oder sogar retten.
Gute Tarnung ist lebenswichtig
Beispiele für „lügende“ Tiere gibt es viele: Da wären Schmetterlinge, die versuchen, den Feind mit großen, drohenden Augen auf ihren Flügeln fernzuhalten. Diese Scheinaugen sehen für hungrige Vögel aus wie die Augen gefährlicher Tiere, denen sie lieber nicht zu nahe kommen sollten. Die Spannerraupe dagegen sieht aus wie ein abgestorbener Ast und fällt ihren Feinden somit kaum ins Auge. Eine Spezies der Glühwürmchen „lügt“ besonders dreist: Die Weibchen imitieren das Blinken anderer Leuchtkäferarten und locken damit Männchen an – die dann verspeist werden …
Auch die Strategie des „Totstellens“ ist im Grunde nichts Weiteres als eine lebensrettende Lüge. Viele Raubtiere reagieren nur auf zappelnde Beute und lassen leblose Tiere einfach liegen. Vor allem das Opossum beherrscht diesen Überlebenstrick perfekt. Männliche Schwalben haben da einen viel trivialeren Grund zum Flunkern: die Eifersucht. Kommt das Männchen zum Nest zurück und das Schwalbenweibchen ist nicht anwesend, stößt es einen Feindruf aus. Der falsche Alarm bewirkt, dass das Weibchen schnell zum Nest zurückkehrt. Mit diesem Trick halten die Männchen die Schwalbenweibchen gezielt vom Seitensprung ab.
Übertreibung und klassische Lüge
Eine ganz andere Methode wenden die Brüllaffen an: Ihr Geschrei ist bis zu zwanzig Kilometer weit zu hören und erweckt den Eindruck, die Affen seien groß und furchterregend. Hinter dem Gebrüll verbirgt sich jedoch eine Gruppe von Äffchen, bei denen die Männchen maximal neun Kilogramm schwer werden. Auch der Hahn hat sich etwas einfallen lassen – nicht zum Überleben, sondern um seine Fortpflanzung zu sichern. Dazu lockt er die Henne mit einem Futterruf, obwohl weit und breit kein Körnchen zu finden ist – eine richtig klassische Lüge also.
Pflanzenwelt ist keine Ausnahme
Auch bei den Pflanzen wird getäuscht, was das Zeug hält. Der fleischfressende Sonnentau lockt mit süßem Duft und glitzernden Tropfen, die wie Tau aussehen. Doch der Lockstoff entpuppt sich als zähes Drüsensekret, das wie Klebstoff wirkt. Die Fliege hat keine Chance zu entkommen. Sie klebt fest und wird verdaut. Einen anderen Trick hat eine Orchideenart auf Lager:
Sie duftet wie ein Wespenweibchen und lockt damit männliche Wespen zur Bestäubung an.
Kein schlechtes Gewissen beim Lügen
Natürlich ist der Begriff „lügen“ (eigentlich) nur anwendbar, wenn es sich um das Verbreiten einer Unwahrheit als bewusste Tat handelt. Dieses Verhalten ist im Tierreich besonders gut bei Rabenvögeln und Menschenaffen zu beobachten. Im Versuch verschweigen rangniedrige Affen ihrer Sippe beispielsweise den Fund köstlicher Nahrung, um sie anschließend – ausdrücklich gegen den artgemäßen Kodex – ungestört verspeisen zu können. Und andere töten, wann und wie sie können.
Über ein schlechtes Gewissen bei Tieren ist jedoch noch nichts bekannt und irgendwie brauchen sie auch gar keines: Wer kann seinem Hund länger als fünf Minuten böse sein, wenn er nach begangener Missetat mit großen Augen treuherzig dreinblickt? Zeigt er Reue, ist das nur ein erlerntes Verhalten, das ihm Herrchen oder Frauchen antrainiert haben. Die Debatte wissenschaftlich zusammengefasst:
„Es ist immer noch sehr in Frage gestellt, ob und inwiefern andere Spezies überhaupt fähig sind zu lügen; nicht zuletzt muß gefragt werden dürfen, was alles man unter lügen versteht. Also, mal zum Beispiel dieseFrage: Ist, dass Tiere sich gegenüber anderen Tieren tarnen, vergleichbar mit einer Lüge? Das ist schwer zu sagen.“
In der Tat: Einerseits nämlich hat unser Blick ins Tierreich gezeigt, dass Täuschung weit verbreitet ist. So gesehen, scheint das Lügen angeboren zu sein. Kinder lernen ja auch bereits spielend, dass es durchaus positive Konsequenzen haben kann, wenn man lügt und nicht erwischt wird – und dass es negative Konsequenzen haben kann, wenn man die Wahrheit sagt.