Tom Schilling als Gerhard Richter, der im Film Kurt Barnert heißt. © Buena Vista International

Die Spannung war immens.
Immerhin hat „Werk ohne Autor“,
der neue Film von Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck, bereits einige Vorschusslorbeeren erhalten: Er wurde nicht nur als
einziger deutscher Beitrag für den Wettbewerb der diesjährigen
Festspiele in Venedig ausgewählt, sondern auch zum deutschen Oscar-Kandidaten für den besten nicht-englischsprachigen Film gekürt. Gerade fand in Venedig die Weltpremiere des Donnersmarck´schen – um das vorweg zu nehmen großartigen – Werkes statt.

Nach dem Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“, für das Henckel von Donnersmarck 2007 den sogenannten Auslands-Oscar gewonnen hat, kehrt der 45-jährige Regisseur thematisch erneut zur deutschen Geschichte zurück. Für „Werk ohne Autor“ ließ er sich von der Biografie des gefeierten Malers Gerhard Richter inspirieren und erzählt von dem Künstler Kurt Barnert, der während der NS-Zeit aufwächst, in der DDR erste Erfolge feiert, dann aber in den Westen flüchtet. Dort versucht er in Düsseldorf Fuß zu fassen, wird aber von den traumatischen Erlebnissen seiner Vergangenheit verfolgt.

All das wird noch etwas komplizierter, aber nicht annähernd so kompliziert wie für Tom Schilling alias Gerhard Richter in „Werk ohne Autor“. Julian Schnabels Van-Gogh-Biografie ist sozusagen ein „Wie bleibe ich Künstler?“-Drama, Florian Henckel von Donnersmarcks Richter-Paraphrase hingegen ein „Was macht mich zum Künstler?“-Film – der „richtige Gerhard Richter“ soll in einem Interview gesagt haben, er fühle sich in diesem Film „nicht richtig dargestellt.“ Donnersmarck hat ihn – sicher nicht ohne Grund – „Kurt Barnert“ sein lassen. Künstlerische Freiheit eben:

Van Gogh heißt (von ihm waren ja auch keine finanziellen Ansprüche zu befürchten) van Gogh, Gerhard Richter aber bei Donnersmarck Barnert; Kurt Barnert – aus Geldgründen vermutlich; die vollen Rechte für den teuersten lebenden Maler des Universums wären wohl unerschwinglich gewesen. Joseph Beuys heißt Antonius van Verten, der „Nagelkünstler“ Günther Uecker heißt Günther Preusser – unser akademischer Rundschau-Beirat Clemens und ich hatten beim Filmgucken einen Mordsspaß mit dem  Herauskriegen von who ist wer?
Viel Spaß auch Ihnen, meine lieben Rundschau-Leser bei unter anderem diesem Spielchen …

Ansonsten jedoch kann man die Lebensläufe von Richter und Barnert nebeneinanderlegen und wird keine wesentlichen Unterschiede feststellen: geboren 1932 in Dresden, Studium an der dortigen Kunstakademie, Wandbildermaler des sozialistischen Realismus, Flucht in den Westen, Studium bei Beuys in Düsseldorf, Durchbruch mit der ersten Einzelausstellung.

An dieser Stelle endet Donnersmarck, denn dann hatte Richter seine Kunst gefunden, ist bei sich angekommen. Es gibt jede Menge Künstlerfilme, die meist verlaufen nach dem „Leiden für den Erfolg“-Muster, das heißt, der Held muss Hunger und Unverständnis überwinden, bevor er schließlich triumphiert (oder sich zerstört wie van Gogh in „At Eternity’s Gate“).

„Die Weltformel begriffen“ und gewußt, „wie alles zusammenhängt“

Es gibt nur wenige Filme, die sich für die Kunst selbst interessieren (wie Henri-Georges Clouzots „Picasso“), und einige wenige, die die Mechanismen der Mythenbildung untersuchen (wie Wolfgang Beckers „Ich und Kaminski“) – aber kaum einen, der wirklich wissen möchte, was die Welt des Künstlers im Innersten zusammenhält, warum er malt, wie er malt. „Werk ohne Autor“ ist solch ein Film.

Donnersmarck erzählt eine epische Bewusstwerdung, über fast 30 Jahre, durch einen heißen und einen kalten Krieg und beeinflusst von drei Systemen, dem Nationalsozialismus, dem Sozialismus und dem Kapitalismus. Das erste Bild von „Werk ohne Autor“ ist das Gesicht von Lars Eidinger, der mit gnadenloser Verachtung eine Besuchergruppe durch die „Entartete Kunst“-Ausstellung 1937 in Dresden führt. Zwei Stunden später dann werden wir noch eine Führung erleben, wenn Hanno Kofflers Günther Preusser den neuen Mitstudenten Kurt Barnert durch die Düsseldorfer Kunstakademie schleppt, vorbei an fröhlich vor sich hin werkelnden Nagelkünstlern, Tapetendesignern und Leinwandschlitzern.

Der Kontrast durch Wiederholung ist eines der Hauptgestaltungsmittel Donnersmarcks. Wir bekommen zwei Vorlesungen über den Sinn von Kunst (von Richters Dresdner Professor Heinz Lohmar und von Beuys in Düsseldorf), zweimal wird ein Formular links unten ausgefüllt (ein Todesurteil, eine Lebensrettung), zweimal schrubben Menschen Treppen (der Vater Barnert und der Sohn), zweimal fühlen sich Menschen vom Gebimmel einer Standuhr angezogen (Barnert und seine Tante).

Diesen Film hätte es ohne eine Entdeckung des Journalisten Jürgen Schreiber nicht gegeben: dass Richters Tante Marianne Schönfelder im Zuge der Nazi-Euthanasiepolitik ermordet wurde und dass Richter später – unwissentlich – die Tochter des NS-Arztes Heinrich Eufinger heiratete, der für die Zwangssterilisierung seiner Tante mitverantwortlich war. Das ist der dramatische Strang, der sich durch „Werk ohne Autor“ zieht, der zweite rote Faden neben der künstlerischen Selbstfindung Richters.

Donnersmarck macht mit dem von Richters Leben vorgegebenen Material, was er kann, auch nimmt er sich Freiheiten, was er darf – schließlich gibt es keine offizielle Biografie. So baut er Barnerts Schwiegervater zu einem funkelnden Schurken aus (seit „Das Leben der Anderen“ war Sebastian Koch nicht so gut, man muss ihn zwanghaft Türen schließen und eine Kerze ausblasen sehen), er erweckt Beuys’ Vorlesungen in Düsseldorf zu eindrücklichem Leben (Oliver Masuccis dritte saftige Rolle nach seinem Hitler in „Er ist wieder da“ und seinem rheinischen Neureichen in „Herrliche Zeiten“), er verwickelt Barnerts Frau (Paula Beer) in ein Sterilisierungsdrama (schreckt aber dann davor zurück, es effektiv auszuspielen).

Die wichtigste Geste in „Werk ohne Autor“ ist die vor die Augen gelegte und wieder weggenommen Hand: Die Mutter versperrt dem Fünfjährigen die Sicht, als die sich heftig wehrende Marianne zu den Geisteskranken abtransportiert wird, Kurt jedoch schiebt die Hand beiseite, eingedenk Mariannes Wahlspruch: „Nie wieder wegsehen“.

„Alles, was wahr ist, ist schön“

Und das bleibt auch das Motto des Malers, möchte er doch „das Richtige, das Wahre“ erkennen und somit zur Kunst finden: „Alles, was wahr ist, ist schön.“ Auf solchen Umweg begiebt sich Donnersmarck mit einem ähnlicher Kunstbegriff wie bei seinem van Gogh, den er mit Gauguin darüber diskutieren läßt, dass das Sichtbare verfremdet werden müsse, um den Menschen die Augen für das Unsichtbare zu öffnen. Dass Kurt Barnert sein Leben lang ein beobachtender statt ein handelnder Mensch ist, bleibt aber gleichzeitig ein Problem im Medium Film, das zwar durchaus beobachten kann, von seinen Helden aber abverlangt, dass sie aktiv werden.

Sein Drang nach populärem Kino führt Donnersmarck auch zu Verkürzungen. „Deine Bilder werden unsere Kinder sein“, deklariert Elizabeth Seeband in Tränen, nachdem sie erfahren hat, dass sie keine Kinder zur Welt bringen kann. Das klingt sehr drehbuchpathetisch, wie auch ihr Satz, mit dem sie ihrem Vater vorwirft, er habe „seine eigene Blutlinie ausgelöscht“.
Donnersmarck war vorgehalten worden, „Das Leben der Anderen“ sei trotz gründlicher Recherche mit westlichem Blick erzählt. Dasselbe gilt hier für die DDR-Episode: Den kapitalistischen Kunstzirkus, wo „nur Kohle zählt“, schildert er lediglich mit mildem Spott.

Es hat in diesen Wochen den Anschein, als entstünden zwei diametral entgegengesetzte Filmkanons über die Geschichte des zweiten Deutschland. Auf der einen Seite die weiter von der Kalten-Krieg-Perspektive geprägten Filme von Westregisseuren (Michael „Bully“ Herbigs „Ballon“, Donnersmarcks „Werk ohne Autor“), auf der anderen der zwar kritische, aber nicht verdammende Blick von Ostregisseuren wie bei Andreas Dresens „Gundermann“ und Andreas Goldsteins „Adam und Evelyn“, der in der Autorenfilmreihe das Publikum beeindruckte.

„Ich glaube an die Freiheit der Kunst“,

hat Henckel von Donnersmarck in Venedig gesagt. Und: „Die Kunst, die die Nationalsozialisten und Kommunisten wollten, konzentrierte sich stark auf das Handwerk und eine politische Botschaft.“
Im Deutschland der Nachkriegszeit jedoch habe man etwas Neues gewollt
und den handwerklichen Aspekt über Bord geworfen.

In Heidelberg läuft der Film im GLORIA-Kino
16.00 und 20.00 Uhr
Hauptstraße 146 – Kartentelefon: 06221 25319

Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“ :  Trailer

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 Das Buch zum Film

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„Werk ohne Autor“
Florian Henckel von Donnersmarck
ISBN: 3518469150
EAN: 9783518469156
‚Suhrkamp Filmbuch‘.
Originalausgabe – 18 €
Mit farbigen Abbildungen.
Suhrkamp Verlag AG
2. Oktober 2018 – kartoniert – 200 Seiten

 

Henckel von Donnersmarck

Leseprobe

 

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Okt. 2018 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau, Senioren, Film | Kommentieren