Der Chef der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim ist so etwas wie der oberste Demoskop der Republik. Mit seinem Institut befragt er die Bürger nach ihren politischen Neigungen, ergründet ihre Wünsche und Nöte. Merkel und ihre Leute vertrauen ihm, weshalb sie nicht nur Wahlkampfstrategien, sondern häufig auch konkrete Entscheidungen nach seinen Empfehlungen ausrichten. Eine Mehrheit der Deutschen hat nichts gegen die Abschaffung der Wehrpflicht? Dann lasst es uns tun! Den meisten Bundesbürgern geht es so gut wie nie zuvor? Dann lasst uns alle Probleme verdrängen und verkünden, dass wir in Deutschland gut und gerne leben!
Zur langfristigen Positionierung ihrer Partei hat Jung
der Kanzlerin eine Strategie vorgeschlagen:
“Die AfD als Chance für die Union“, stammt aus dem Jahr 2015
und ist (noch?) im Internet abrufbar.
Jung argumentiert so: Der Union sterben ihre traditionellen Wähler weg, rund eine Million sind es alle vier Jahre. Neue Wähler finde die Union aber nur in der politischen Mitte – also sei es sinnvoll, dass die CDU sich auch programmatisch dorthin wende. Er taxiert die politische Mitte auf “bis zu 80 Prozent der Gesamtbevölkerung“. Auf Anhänger eines klaren Rechtskurses braucht die CDU seiner Meinung nach keine Rücksicht zu nehmen: Die wählten ohnehin die AfD und seien für die Union verloren. Das wiederum sei gar nicht schlimm, weil dadurch zugleich eine linke Mehrheit aus SPD, Grünen und der Linken verhindert werde. Wie praktisch!
Der positive Effekt für die Union
komme “aber nur zum Tragen, wenn die CDU und die CSU eine geschlossene und eindeutige Abgrenzung von der AfD vornehmen“, schreibt Jung. “Dabei würde eine zu intensive Auseinandersetzung mit der AfD nur zu deren Aufwertung führen. Ein weitgehendes ‘rechts-Liegenlassen“ verspreche den größeren Effekt. Jeder Ansatz einer Kumpanei hingegen beschädige die Chancen der Union, sich als die alternativlose Partei der politischen Mitte weiter zu etablieren. Wenn also die Union in Bezug auf die AfD einen kühlen Kopf bewahre, sich von ihr klar abgrenze und sich gleichzeitig intensiv um die Lösung der anstehenden Probleme kümmere, ohne populistische Positionen zu bedienen, könne sie an Glaubwürdigkeit gewinnen.“
Dieser Beitrag hat entscheidend dazu beigetragen,
in welcher politischen Lage wir uns gegenwärtig befinden. Angela Merkel hat den Rat ihres Demoskopen nahezu 1:1 befolgt. Sie hat die CDU programmatisch in die gesellschaftliche Mitte geführt, der SPD viele Wähler abgeknöpft und ihre Macht über Jahre gefestigt. Wer auf Landesebene Erfolg haben will, tut es der Kanzlerin nach – siehe Annegret Kramp-Karrenbauer (bis vor kurzem im Saarland), Daniel Günther (Schleswig-Holstein) und Volker Bouffier (Hessen).
Zugleich hat Merkel es in Kauf genommen,
dass rechts der Union die AfD erstarkt – hat diese aber getreu des Herrn Jungs Rat weitgehend ignoriert. Anders als beispielsweise Herr Seehofer und Herr Söder, die sich zeitweise ihre gesamte politische Agenda von der AfD aufdrängend ließen und monatelang nur noch über Flüchtlinge und Migration sprachen. Bei der Mehrheit der Wähler kommen die CSU-Häuptlinge mit diesem Themendogma und ihrer verbalen Radikalisierung nicht an. Die persönlichen Umfragewerte für Herrn Seehofer sind in den Keller gerauscht, die Werte der CSU fallen vor der Landtagswahl in Bayern von einem historischen Tiefstand auf den nächsten. Der Kurs der CDU ist offenkundig erfolgreicher.
Anders sieht es dagegen in Ostdeutschland aus:
Dort hat die AfD die CDU in den Umfragen gerade als stärkste Partei abgelöst, wie der Sonntagstrend des Emnid Instituts zeigt.
Womit wir beim „Punkt“ wären:
Offenkundig ist die Strategie Jungs und damit auch die von Frau Merkel in Westdeutschland präzise aufgegangen – und in Ostdeutschland kolossal gescheitert. Über die Gründe könnte man lange nachdenken …
Ein nicht gerade eben unwichtiger Punkt zu diesem Thema:
Die überwältigende Mehrheit der Deutschen sagt, dass es in ihrer Gegend mit Flüchtlingen keine großen Probleme gebe.
Und zwar sowohl im Westen wie im Osten. Das sind die Fakten, und die lassen wir jetzt einfach mal so stehen. Vielleicht liest das ja auch der eine oder andere CSU-ler.