Versuchte man in einigen Jahren nachzuvollziehen, wie eigentlich die Dämme brachen, wie die rechten Verdrehungen und Verschwörungsvermutungen, ihre Verachtung und ihre Mems ihren Weg in das Herz der seriösen, bürgerlichen Presse fanden, dann sollte unbedingt ein Artikel von Stefan Aust zum umfangreichen Anschauungsmaterial gehören. Er ist am Freitag online und am Montag in der gedruckten „Welt“ erschienen. Er war ganz außerordentlich erfolgreich, weil er ganz außerordentlich anschlussfähig ist für die rechte und rechtsradikale Szene. Selbst eine Internetseite wie „Jouwatch“, die sich der rechten Hetze gegen etablierte Medien verschrieben hat, hat ihn ausdrücklich empfohlen.

Galoppierender Rinderwahn

Der Text will ein Plädoyer sein für Vernunft und für Ernsthaftigkeit; er hält sich offenbar für eine unsentimentale Auseinandersetzung mit den Problemen Deutschlands im Jahr 2018 und ihren Ursachen, ehrlich und schonungslos (den anderen gegenüber). Aber schon die Überschrift verrät das behauptete hehre Anliegen für eine billige Pointe mit ollem Merkel-Spottwort: „Mutti aller Probleme“.

Dass Merkel und ihre Flüchtlingspolitik an allem Schuld sind, ist die eine These des Textes. Die zweite lautet: Alle sind verrückt geworden. Aust hat dafür im Schrank abgegrabbelter Metaphern eine vom Anfang des Jahrtausends gefunden und schreibt: „Es drängt sich der Verdacht auf, als sei in diesem Lande der kollektive, parteiübergreifende, galoppierende Rinderwahn ausgebrochen.“

Das ist tatsächlich der letzte Satz und das Fazit seiner mehr als 20.000 Zeichen langen, nun ja, Analyse dessen, was in Deutschland alles falsch läuft. Ach was, Deutschland? „Absurdistan“!

Das ist ein Sound, der bei den Wutbürgern ankommt, egal wie muffig und hohl die Begriffe sind. In einem Leserbrief wird ein Leser zwei Tage später in der „Welt“ die Formulierung vom galoppierenden Rinderwahn aufnehmen und schreiben, dessen Ausbruch sei ja „leider kein Verdacht mehr“.

Aufgemacht wie eine Pegida-Kachel

Es ist schwer, die Perfidie all der Zeilen davor angemessen zu würdigen, die verantwortungslose Lust, mit der alle Ressentiments und Verschwörungstheorien der Rechten bedient werden. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet das berühmte Foto von der Kanzlerin, die ein Selfie mit einem Flüchtling macht, den Artikel illustriert. Es mag inflationär gezeigt worden und so abgenutzt sein wie die Sprachbilder des Stefan Aust, aber es verkörpert all das, worauf sich der Hass auf Merkel projiziert. Die „Welt“ reproduziert diesen Hass, vor allem in Kombination mit der Zeile „Mutti aller Probleme“.

Der ganze Artikel wirkt in seiner Aufmachung wie ein rechtes Mem; eine Social-Media-Kachel von oder für Pegida.

Viele Versatzstücke aus der seit drei Jahren geführten Diskussion finden sich wieder in Austs Text, der in einem erstaunlichen Maß daraus besteht, alte Artikel von sich zu zitieren, um zu beweisen, dass er es immer schon gewusst hat, dass aus dem „Traum von den endlich mal guten Deutschen“ ein „Albtraum“ werden würde.

Falsche Zahlen

Aust wiederholt nicht nur sich selbst, sondern auch bekannte Irrtümer und Verzerrungen. Er schreibt über die Asylbewerber, die 2015 und 2016 ins Land kamen:

Die Prozentzahl der eingereisten Männer unter 30 betrug gut 65 Prozent, in diesen beiden Jahren zusammen also rund 800.000. Das ist deutlich mehr als die Zahl der Soldaten unter Waffen von Bundeswehr und DDR-Volksarmee zusammen – 1988 etwa 650.000.

Der Vergleich mit Soldaten, das implizite Bild von einer Flüchtlingsarmee ist das eigentlich Perfide an diesen Sätzen, aber auch die schlichten Zahlen sind falsch. Von den 1,16 Millionen Asylbewerbern, die in den beiden Jahren einen Erstantrag in Deutschland stellten, waren laufBAMF nur 575.000 Männer unter 30. Das entspricht einem Anteil von knapp 50 Prozent. Und darin sind auch Kinder und Jugendliche enthalten. 16- bis 30-jährige Männer machten nicht zwei Drittel, sondern ein Drittel der Asylbewerber aus. In absoluten Zahlen: 390.000.

Man täte Aust wahrscheinlich unrecht, wenn man ihm unterstellte, die falschen Zahlen seien ein Versehen, gleichwohl scheint sein Text stellenweise von einem gewollten Willen zur Verdrehung geprägt.

Sep. 2018 | Allgemein, Junge Rundschau, Politik, Zeitgeschehen | Kommentieren