[1]Die 2013 von Klaus Tschira
(1940 – 31. März 2015) gegründete und von seiner Stiftung mit Mitteln ausgestattete Heidelberg Laureate Forum Foundation (HLFF) ist gerade wieder in Heidelberg zu Gast – die HLFF organisiert das Forum auch diesmal. Es bietet – wie bisher –
(Bild: © Clemens Puppe) ausgewählten Nachwuchswissenschaftlern der Mathematik und Informatik die einzigartige Möglichkeit, die bedeutendsten Wissenschaftler ihres Fachbereiches zu treffen. In Vorträgen, Gesprächen und bei gemeinsamen Ausflügen lernen sich die Wissenschaftlergenerationen intensiv kennen und schätzen. Erfahrungen wie diese sind für junge Forscher von unermesslichem Wert, liefern sie doch Inspiration und Motivation für wissenschaftliche Höchstleistungen – in (wem das heute noch was zu sagen hat) Gundolf’schem „lebendigen Geist“.
Das alljährlich mittlerweile bereits über 60 mal stattfindende Lindauer Nobelpreisträgertreffen, das Preisträger und junge Nachwuchsforscher zusammenbringt, mag Pate für die Idee von Klaus Tschira gestanden haben, in Heidelberg eine solcherweise entstandene Lücke zu schließen, als in Lindau weder Mathematiker noch Informatiker vertreten sind; dies, weil es schlicht und einfach keinen Nobelpreis für diese Fächer gibt. Das Heidelberg Laureate Forum ergänzt seit nunmehr fünf Jahren eigenständig dies Lindauer Treffen – hervorragend organisiert, mit vielen Möglichkeiten Kontakte zu knüpfen, sowie einer gelungenen Mischung aus fachlichen Diskussionen und informellem Rahmenprogramm.

„Come together“ – nach den Vorträgen in der Mensa: Khyla aus Cambridge, Matej aus Prag und Francesca aus Milano
Neben führenden Wissenschaftlern aller mathematischen Fachgebiete macht es den beteiligten bereits ins Alter gekommenen Mathekoryphäen und den jungen „noch nicht ganz Mathegenies“ – letztere in einer großen Bandbreite vertreten von „gerade Abitur gemacht bis hin zu Juniorprofessoren“ – sichtlich Freude und Vergnügen hier zu sein.
„Vergnügt sein muß ja auch sein dürfen, neben natürlich dem immer wieder auch bei der Arbeit voneinander lernen.“
Was will die Stiftung, wie sind die Veranstaltungen konzipiert?
Das Veranstaltungskonzept beinhaltet für die Preisträger und Nachwuchswissenschaftler der Mathematik und Informatik eine bunte Mischung aus Fachvorträgen und Aktivitäten zum Vernetzen und Kennenlernen. Daneben gibt es ein Begleitprogramm, das sich an alle Interessierten der Rhein-Neckar-Region wendet.
Für das HLF 2019 startet die Bewerbungsphase für die Nachwuchswissenschaftler im Herbst 2018. Sie werden durch die preisverleihenden Organisationen gemeinsam mit der KTS, dem HITS, dem Mathematischen Forschungszentrum Oberwolfach und dem Schloss Dagstuhl – Leibniz-Zentrum für Informatik ausgewählt. 200 internationale Nachwuchswissenschaftler bekommen damit in jedem Jahr aufs Neue die – hochinteressante – Chance, auf Koryphäen der Mathematik und Informatik zu treffen.
Aufzeichnungen der Vorträge des Forums von zurück bis zur „Opening Cermony 2013″ (noch mit dem zwei Jahre später verstorbenen Stifter Klaus Tschira am Mikro) und, aktuell die „Opening Ceremony am Sonntag, dem 23. September 2018 mit daran anschließend allen Vorträgen – das wird zeitnah vervollständigt – stehen im Medienarchiv [4] zur Verfügung.
Wir sind auf dem Heidelberg Laureate Forum vertreten durch ein Redaktionsmitglied [5]
und das Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Rundschau Prof. Dr. Clemens Puppe [6].
Entstehung

Unterzeichnung der Gründungsurkunden: Hinten, von links nach rechts: Nils Chr. Stenseth (Präsident der Norwegian Academy of Science and Letters), Fabrizio Gagliardi (Vorsitzender der ACM Europe), Ingrid Daubechies (Präsidentin der International Mathematical Union), Helge Holden (Vorsitzender des Abel Board), Øivind Andersen (Generalsekretär der Norwegian Academy of Science and Letters), Detlev Rünger (Deutscher Botschafter in Norwegen)
vorn: Andreas Reuter (Geschäftsführer HITS), Klaus Tschira (Gründer und damaliger Geschäftsführender Gesellschafter)
Das Heidelberg Laureate Forum ist eine gemeinsame Initiative der Klaus Tschira Stiftung (KTS) [8] und des Heidelberger Instituts für Theoretische Studien (HITS) [9]. Die KTS und das HITS wurden von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940 – 2015) ins Leben gerufen. Ziel der Initiative war es, Mathematikern und Informatikern ein ähnliches Netzwerktreffen zu ermöglichen, wie es die Lindauer Nobelpreisträgertagung seit vielen Jahrzehnten bietet.
Dieser Gedanke wurde 2011 mit Vertretern von „Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach“ [10], „Schloss Dagstuhl – Leibniz-Zentrum für Informatik“ [11] und mit einigen der Laureaten diskutiert. Da alle diese heutigen Partnereinrichtungen und Personen die Idee positiv aufnahmen, schlossen im Frühjahr 2012 KTS und HITS mit den preisverleihenden Institutionen einen Kooperationsvertrag: Die Norwegian Academy of Science and Letters (Abelpreis) [12], die International Mathematical Union (Fields-Medaille) [13]und die Association for Computing Machinery (ACM A.M. Turing Award) [14] erklärten ihre Unterstützung für ein jährlich stattfindendes Forum, das dem Austausch der Preisträger mit Nachwuchswissenschaftler dient. Als Veranstaltungsort wurde Heidelberg auserwählt. Das HLF wird da auch künftig jährlich stattfinden.
Für Banausen, Mathemuffel und andere Nichtlaureaten:
Ist ja nicht mal Nobelpreiswürdig – Warum also Mathematik?
Wer eine formale Antwort haben will, stelle sich folgendes Szenarium vor: Die Rundschau geht nochmal – ganz im Sinne von Klaus Tschira, der von Wissenschaftlern immer verlangt hat, in schnörkellosen Thesen Wissenschaft verständlich zu machen – mit Ihnen zur Schule und die Mathe-Jungwissenschaftler versuchen sich als unsere Lehrer, die dann gleich mit jener These beginnen:
Da beißt die Maus keinen Faden ab: „Mathematik ist ein wesentlicher Teil unserer Kultur“
[15]
[16]Mathematik also wäre als Teil der Kultur, um ihre Geschichte, um Mathematik als Kunst und um Kunst ein Ergebnis von – Mathematik? Alsdann, so könnte Mathematik auch mit dem Geschichts- oder dem Kunstunterricht kombiniert werden; Mathematik ist in der Tat ein wesentlicher Teil unserer Kultur: Die Menschheitsgeschichte beginnt mit geometrischen Mustern und dann mit Zahlen, lange vor den Anfängen von Schrift.
Mathe ist voller großer Rätsel, schwieriger Probleme, großer Entdeckungen, wunderbarer Strukturen. Wir könnten erzählen vom Ikosaeder, vom Wettbewerb um die Formeln für die Gleichungen dritten Grades: x^3-6x^2+11x-6=0 – oder von Geschichten um die Gauß’sche Glockenkurve. Lernte man Mathematik kennen als eine Wissenschaft, die von bemerkenswerten Menschen vorangetrieben wurde? Euklid, Gauß, Euler, Weierstraß, Hilbert, Noether, Gödel (sein Gottesbeweis [17]) vs. (Hawkins [18]), Grothendieck, Hirzebruch, Wiles, Tao – diese Namen müsse man doch mal gehört haben! Mathematik sei doch schließlich eine Wissenschaft, die von (sic) Menschen betrieben werde.
Und überhaupt …
Mathematik produziert Kunst, die Schönheit der Formen und die Schönheit der Formeln! Und die Heldengeschichten vom Kampf mit den ganz großen Problemen, etwa um Fermats Letzten Satz oder das Keplersche Problem. Und die großen Rätsel, die uns weiter beschäftigen, die Goldbach-Vermutung zum Beispiel.
Hinter jedem Wetterbericht, in Bahnfahrplänen
und Chipdesign – und im All – steckt Mathematik
[19]Die Rolle der Mathematik in der modernen Welt – das ist Teil (nicht nur) der Menschheitsgeschichte. Physik ist nicht denkbar ohne Mathematik, beide haben sich über Jahrhunderte als siamesische Zwillinge entwickelt. Vielleicht bestehe ja überhaupt der gesamte Kosmos aus Mathematik:
Mit dieser Behauptung provozieren nicht nur Mathematiker, sondern auch Physiker. Es ist schon erstaunlich, wie wenig die Natur sich verrechnet. Ob der Lauf der Planeten um die Sonne (hier im Bild ist das Band der Milchstraße am Himmel zu sehen), der Fall eines Apfels oder die Gestalt eines Bergkristalls, all das kalkuliert sie präzise. All das gehorcht Gesetzen, deren Grundlage die Mathematik ist. Die Natur tanzt nach ihrer Pfeife. Je tiefer man in naturwissenschaftliche Zusammenhänge eindringt, umso „mathematischer“ wird es.
Gräbt man sich durch Biologie und Chemie bis ins Bergwerk der Physik vor, stößt man auf ein dichtes Gestrüpp aus Formeln, Gleichungen und Konstanten. Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben – das jedenfalls hat Galileo einst sinngemäß gesagt.
[20]Und, dass Sir Michael Atiyah (Fields Medaillen Gewinner 1966, heute 89 Jahre) die Riemannsche Vermutung, das wichtigste ungelöste Problem der modernen Mathematik, wirklich bewiesen hat, wie er in seinem Vortrag im Heidelberg Laureate Forum – nicht nur sinngemäß, – behauptet, das bezweifeln zwar eigentlich alle Experten; aber das ist vielleicht auch gar nicht so wichtig, denn es geht ja um Inspiration für die jungen Leute, und davon hatte er reichlich zu bieten. Ein spritziger, unterhaltsamer und lehrreicher Vortrag. Wenn die Todd-Funktion wirklich alle von ihm behaupteten Eigenschaften hat, und wenn die überraschende Verbindung zur „Feinstrukturkonstante“ α aus der Quantentheorie tatsächlich besteht, ja, dann folgte wohl die berühmte Riemannsche Vermutung.
[21]Zuvor hatte der Beitrag von John Hopcroft (Gewinner des Turing Preises, 1986), eine informative und unterhaltsame Einführung in die künstliche Intelligenz und insbesondere ins maschinelles Lernen geboten („deep learning“). Wir wissen nun, dass die besten Maschinen Muster und Bilder mit einer geringeren Fehlerrate als Menschen erkennen können, haben allerdings auch erfahren, dass man sie – bislang noch jedenfalls – leichter an der Nase herumführen kann und durch Manipulation einiger Pixel etwa ihnen eine Katze für ein Auto vormachen kann. Was sie jedenfalls noch nicht können ist, was Hopcrofts Tochter im zarten Alter von zwei Jahren ohne Probleme schaffte: Sie konnte nach nur einmaligem Betrachten in ihrem Bilderbuch ein wirkliches Feuerwehrauto richtig als ein ebensolches benennen. Das war aber natürlich auch nicht irgendjemandes Tochter ….
Sollte nicht – vielleicht tun das Schüler und Studenten ja heute –
jeder lernen, dass sehr viel komplizierte Mathematik im Wetterbericht steckt, in den Bahnfahrplänen, in Chipdesign und in der Telekommunikation? Das ist Allgemeinwissen, auch wenn die Mathematik dahinter für die Schule zu kompliziert ist, man sie in Mathematik auch nicht alle erklären kann: Man kann davon erzählen: Mathematik ist interessant!
Wenn Ihnen all diese Schlagworte so gar nichts sagen: Haben Sie Mathematik dann jemals kennengelernt? In den – meisten jedenfalls – Schulbüchern finden Sie nichts von alledem. Und, wenn es eine Aufgabe gegeben hätte: „Nennen Sie drei berühmte Mathematiker“, hätten Sie versagt? Oder „Nennen Sie ein ungelöstes mathematisches Problem“ – was fällt Ihnen da ein? Riemann? Genau! Aber hier in Heidelberg allenfalls der Altar gleichen Namens im Kurpfälzischen Museum …
[22]Nun denn, im Alltag brauchen wir ja gar nicht viel Mathematik. Die Grundrechenarten, Prozente und Zinsen, elementare Geometrie: All das findet sich schon in dem Kleinen Rechenbüchlein von Adam Ries 1522, mit dem die deutschen Kaufleute das Rechnen gelernt hatten, damit unabhängig wurden von den Rechenmeistern, die fürs Vor- und Nachrechnen der Rechengeschäfte saftige Gebühren nahmen (wie heute nur die Notare für Rechtsgeschäfte). Das war die Basis für den wirtschaftlichen Aufschwung im 16. Jahrhundert und gehört auch heute noch zur Grundausstattung jedes Erstsemestrianers.
Seit Adam Riesens mathematiertem Kopf (Bild © Neue Rundschau-cp) sind noch die Wahrscheinlichkeiten und Interpretationen von Grafiken, Statistiken, sowie deren Tücken und Fallstricke dazu gekommen.
Die Kurvendiskussion ist ein Prototyp für die Analyse von Zusammenhängen
Hinführung zu Mathematik als Wissenschaft:
Da lernen wir dann wie Mathematik funktioniert, das saubere und wasserdichte Argumentieren, die Gesetze der Logik, der Beweis auf Widerspruch, die vollständige Induktion. Wasserdicht argumentieren, sorgfältig formulieren, aber auch mit Fehlern und mit Rundefehlern und mit begrenzter Rechengenauigkeit umzugehen:
[23]Das sind Fähigkeiten, die man nicht nur für ein Mathematikstudium braucht, sondern auch für den Einstieg in die Rechtswissenschaften oder in die Medizin, sie sind Teil der Studierfähigkeit. Die „Kurvendiskussion“ ist nichts, was wir etwa im Alltag brauchen könnten, jedoch ist sie allemal ein Prototyp für die Analyse von Zusammenhängen, und eine hervorragende Trainingseinheit für das Verständnis von „notwendigen“ und von „hinreichenden“ Bedingungen. Jeder Anwalt und jeder Arzt sollte damit argumentieren können!
Abstrakteste Formeln werden Kunst
In der Schule freilich wurde und wird immer noch kein Fach schon von den Lehrplänen auf Haut und Knochen reduziert wie die Mathematik. Überblickswissen, Panorama, Geschichten, Perspektiven – bleiben alle im Werkzeugkasten stecken! Die wahre Schönheit, die in den Zahlen und Figuren steckt, ist eben nur zu sehen, wenn man die ganze Mathematik vermittelt, weit über dies Wissen hinaus. Mathematik ist schwierig, das gehört dazu, das macht Mathematik auch interessant und spannend. Und man muss nicht alles verstehen, um zu sehen, dass Mathematik etwas Besonderes ist.
Zu guter Letzt sei eine erfreuliche Nachricht all jenen „kundt und zu wissen“ gebracht, welche, zum ersten mal vielleicht, oder auf jeden Fall wieder kommen wollen: Nachdem das Heidelberg Laureate Forum in der wissenschaftlichen Welt längst etabliert ist, haben die preisverleihenden Institutionen den Kooperationsvertrag mit der HLF-Stiftung gerade – auf unbestimmte Zeit – verlängert. Nachdem diese Veranstaltung (eigentlich) lediglich fünf Jahre lang ausprobiert werden sollte, ist nun für alle Laureaten und natürlich für alle, die es werden möchten, diese Tagung zur dauerhaften Institution in Heidelberg geworden. cle/tno
Mathematik hat viele Zugänge
und genauso viele gute Motivationen gibt es dafür,
mehr sehen und wissen zu wollen.
Einen Zugang bietet – alle Jahre wieder:
Das Heidelberg Laureate Forum:
Alle aktuellen Vorträge finden Sie – zeitnah – hier
Danke – auch dafür – an das Organisationsteam des Forums
Und nun – zu guter Letzt jetzt –
eine auch für Mathemuffel verständliche Rede,
die uns dies Fach näher bringt.