[1]Der Psychologe Ahmad Mansour benennt die Probleme von Migration und Integration, bietet aber im Gegensatz zu Thilo Sarrazin Lösungen an. Dennoch findet er: „Integration ist auch eine Bringschuld der Zugewanderten“.
Der Psychologe und Islam-Experte Ahmad Mansour spart nicht mit Kritik an einem Teil der Muslime in Deutschland. Er warnt jedoch eindringlich davor zu pauschalisieren und „den Islam“ und „die Muslime“ anzuprangern, wie Thilo Sarrazin es in seinem neuen Buch macht. Im Gegensatz zu Sarrazin hat Mansour Lösungsvorschläge. Und er warnt vor den fatalen Folgen misslungener Integration.
In seinem Buch „Feindliche Übernahme“ wirft Thilo Sarrazin den Muslimen in Deutschland vor, sie betrieben eine schleichende Islamisierung durch Einwanderung und hohe Geburtenzahlen. Außerdem unterstelle er den Muslimen schlechte Sprachkenntnisse, ein Desinteresse an der deutschen Kultur, Reformunfähigkeit, Rückständigkeit, Wissensfeindlichkeit, Überheblichkeit, Integrationsunwilligkeit und Dialogunfähigkeit mit anderen Religionen.Hat er damit recht?
– wird Mansour gefragt: Nein, ist dessen Antwort – jedenfalls nicht in dieser verallgemeinernden und undifferenzierten Weise. Natürlich – so Mansour weiter, habe man Probleme miteinander. Es gäbe zwar unter Muslimen Gruppen, die patriarchalisch und bildungsfern seien, es gäbe natürlich auch Islamisten in Deutschland, die nicht zu unterschätzen wären. Aber auch, sieht er in Sarrazins Aussagen, „dass eine solche Verallgemeinerung, dass nämlich jeder Muslim eine Gefahr für Deutschland wäre, nichts anderes als Panikmache“ sei. „Sie ist nicht wissenschaftlich, nicht konstruktiv und bringt uns definitiv nicht weiter“.
„Wir müssen aus den Muslimen Demokraten machen“
Einige Statistiken wie die Geburtenzahlen bei muslimischen Flüchtlingen und Migranten sowie die höhere Kriminalitätsrate scheinen Sarrazins Thesen zu stützen … es komme aber immer darauf an, welche Statistik man nehme und was dann aus der Statistik gelesen werden will: „Wie gesagt, wir haben Probleme, aber wir müssen auch sehen, dass es unter den Muslimen eine ganz andere Gruppe gibt. Eine, die sich integriert, die auf Bildung setzt, die Zeit in die Erziehung ihrer Kinder investiert. All diese positiven Entwicklungen sieht Herr Sarrazin nicht. Wir müssen die Muslime differenziert und nicht als homogene Gruppe sehen. Was Herr Sarrazin nicht anbietet, sind Lösungen. Wie können wir kriminelle Migranten erreichen, wie können wir erreichen, dass es mehr Demokraten unter den Muslimen gibt? Es geht nicht um einen Kampf der Religionen oder Kulturen. Es ist ein Kampf zwischen Autoritären und Demokraten. Wir müssen aus den Muslimen Demokraten machen!“
„Integration auch als Bringschuld der Zugewanderten“
Nun fordert aber auch Mansour in seinem Buch „ein klares Bekenntnis der Zugewanderten zu den demokratischen Grundwerten“ und kritisiert darin dezidiert – aber eben nicht nur – „das Verhalten einiger Muslime in Deutschland“. Er schreibt: „Integration ist und bleibt auch Bringschuld der Zugewanderten“. Was also läuft seiner Meinung nach falsch mit der Integration in Deutschland?
Vor allem meint er, sei es die Kommunikation miteinander: „Wir sind unsicher beim Umgang mit anderen Kulturen. Diese Unsicherheit spüren diejenigen, die zu uns kommen und einige versuchen, das zu instrumentalisieren und auszunutzen. Damit Integration funktioniert, muss zunächst die Möglichkeit entstehen, klar zu kommunizieren, was wir von diesen Menschen erwarten. Eine der Sachen, die wir – nur mal eben zum Beispiel – erwarten können müssen, ist, dass jedes Mädchen in diesem Land zum Schwimmunterricht geht. Das ist keine Frage der Kultur, das ist eine Frage der Werte. Dazu gehört auch die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau“.
„Eine andere falsch laufende Sache ist die Definition von Integration“
Sehr oft treffe er Politiker und habe bei solchen Gelegenheiten das Gefühl, dass sie Integration als Erwerb von Sprache und Arbeit minus Kriminalität definierten. Nach dieser Definition sei Mohammed Atta, einer der Attentäter des Terroranschlags auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, in Hamburg hervorragend integriert gewesen. Es gäbe aber noch eine Dimension von Integration, die wir oft vergessen würden, nämlich die Werte. „Ich bin erst Teil dieser Gesellschaft, wenn ich das Grundgesetz und damit auch die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Religionsfreiheit und die Meinungsfreiheit als Bereicherung für mich und meine Familie begreife und danach lebe. Unsere Integrationskurse und unsere Politik sind derzeit nicht in der Lage, die Werte zu vermitteln“.
Was muss Deutschland leisten, damit Integration besser gelingt?
„Wir müssen klar benennen, was wir von den Menschen, die zu uns kommen, erwarten. Das hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern mit Entschiedenheit und Rechtsstaatlichkeit. Falsche Toleranz verhindert diese klare Sprache. Und wir müssen die Menschen belohnen, die sich integrieren wollen. Es kann nicht sein, dass Menschen – wie zum Beispiel in Bayern – unabhängig von Integrationsleistungen abgeschoben werden, weil sie aus dem falschen Land kommen. Wir müssen aber auch diejenigen sanktionieren, die nach Deutschland kommen, diese Gesellschaft verachten und Parallelgesellschaften aufbauen. Dazu gehört im Extremfall auch die konsequente Abschiebung von schwer Kriminellen. Denn diese Gesellschaft und ihr Rechtsstaat darf nicht als schwach wahrgenommen werden. Sie muss im Rahmen der Gesetze entschieden auftreten“.
Was kann jetzt sofort unternommen werden?
Das Allerwichtigste sei, auch im Hinblick auf die Ereignisse in Chemnitz, die Debatte in der Mitte der Gesellschaft zu führen. In Chemnitz spiegle sich etwas wider, was in dieser Gesellschaft seit mehreren Jahren zu beobachten ist: eine Polarisierung. Auf der einen Seite Rechtsradikale, die Jagd auf Menschen aufgrund ihrer Herkunft machten. Auf der anderen Seite Linke, die der Meinung wären, über bestimmte Themen dürften wir nicht reden, denn in dem Moment, wo darüber gerdet werde, bedienten wir die Rechten.
„Das ist eine polarisierte Gesellschaft, die ich aus Israel kenne. Die Folgen dieser Polarisierung können sehr gefährlich sein, wenn es unseren Politikern nicht gelingt, die Mitte der Gesellschaft zu aktivieren und die vorhandenen Probleme differenziert zu benennen. Wir haben Probleme mit kriminellen Flüchtlingen. Wir haben Probleme mit der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Wir haben Probleme mit Islamisten. Die dürfen wir jetzt nicht verschweigen, nur weil Sarrazin darüber schreibt. Was wir aber auch tun müssen: Wir müssen Lösungen und Konzepte zum Umgang damit anbieten. Das vermissen viele und das halte ich zunächst für das Wichtigste“.
Nun geriet aber auch Mansour einiger Thesen wegen in seinem Buch in die Kritik – nicht zuletzt deshalb, weil er Muslime und deren Verhalten hierzulande kritisiere. Wie geht er damit um?
„Differenziert“ meint er: „Die meisten zu uns kommenden Menschen sind hier, weil sie für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft haben wollen. Was viele aber nicht begreifen, ist, dass diese Errungenschaften ein Produkt der Aufklärung sind. Aufklärung ist Meinungsfreiheit, Religionskritik. Zur Aufklärung gehört, Autoritäten infrage zu stellen und vor allem mündig zu sein. Man kann aber nicht mündig sein, wenn man seinen Glauben buchstabengetreu ausübt. Man kann nicht mündig sein, wenn man an einen Gott glaubt, der nur bestrafen will. Man kann nicht mündig sein, wenn die Familie bestimmt, wie ein Individuum zu leben hat. Wir müssen klarmachen, dass das miteinander verbunden ist, dass Menschen hier nur ankommen, wenn sie begreifen, dass nicht jede Kritik an Muslimen islamfeindlich ist. Kritik zu äußern, hat nichts mit Rassismus zu tun, wenn sie differenziert geäußert wird. Kritik an Autoritäten – dazu gehören auch Religionen – ist Teil von Europa, Teil der DNA dieses Kontinents“.
Ich denke, dass sich gerade jetzt entscheidet, ob wir auf die nächsten Jahre optimistisch oder pessimistisch schauen können. Wenn die Politik begreift, dass jetzt die Zeit zum Handeln ist, dass jetzt die Zeit ist, Konzepte zu liefern, dass jetzt die Zeit ist, die Debatte weg von den Rändern und in die Mitte der Gesellschaft zu verlagern, dann bin ich in der Tat sehr optimistisch, dass wir das schaffen können. Wenn wir aber weiter eine passive Politik haben, die nur reagiert, die nicht in der Lage ist, konsequent aufzutreten und diese Debatte für sich zu beanspruchen, dann werden wir in den nächsten Jahren harte Zeiten erleben“.
Mansours Buch ist ein Plädoyer für Offenheit, für Mut und für Selbstbewusstsein.
Es ist schonungslos. Und es macht Hoffnung.
Ahmad Mansour: Klartext zur Integration. Gegen falsche Toleranz und Panikmache,
S. Fischer Verlag, 304 Seiten, 20 Euro
Blick ins Buch [2]
[3]Ahmad Mansour, geboren 1976, ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus. Anfang 2018 gründete er Mind Prevention (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention).
Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz sowie den Carl-von-Ossietzky-Preis.