Früher kollabierten Demokratien oft schnell, laut und spektakulär. In drei Viertel der Fälle, in denen demokratische Ordnungen während des Kalten Kriegs zusammenbrachen, geschah dies aufgrund eines Putsches. Dass die Armee oder andere Akteure mit Gewalt die Macht an sich reissen, kommt zwar auch heute noch vor. Wesentlich häufiger gehen Demokratien aber langsam und schrittweise zugrunde – so langsam, dass es vielen Bürgern nicht einmal auffällt.
Zunächst geht alles ganz demokratisch zu. Autoritäre Führer wie Hugo Chávez in Venezuela, Recep Tayyip Erdogan in der Türkei oder Viktor Orban in Ungarn kamen in freien Wahlen an die Macht. Erst nach und nach fingen sie damit an, die Demokratie zu untergraben. In allen drei Ländern bestehen die demokratischen Institutionen formell nach wie vor weiter, auch wenn die Justiz längst unter der Kontrolle der Regierung ist, Oppositionelle mit fadenscheinigen Begründungen aus dem Weg geräumt und ins Gefängnis gesteckt und Wahlen systematisch manipuliert werden.
Obschon im Titel des Buches von Demokratien in der Mehrzahl die Rede ist und die Autoren auf Beispiele aus aller Welt eingehen, zielt ihre Analyse doch vor allem auf die USA ab. So haben sie untersucht, wie sich Autokraten in verschiedenen Ländern verhielten, bevor sie an die Macht kamen. In allen Fällen stiessen sie auf vier typische Merkmale: Die späteren Machthaber stellten die demokratischen Spielregeln infrage, weigerten sich, ihre Gegner als legitime Mitstreiter anzuerkennen, tolerierten Gewalt oder riefen sogar zu Gewalt auf, und sie zeigten sich bereit, die Grundrechte von Kritikern, etwa gewisser Medien, zu beschneiden. Donald Trump, so Ziblatt und Levitsky, erfüllt alle vier Punkte.
Aus Sicht der Autoren ist allerdings nicht Donald Trump die Wurzel des Übels. Sie betrachten ihn vielmehr als Symptom einer Entwicklung, die bereits seit längerer Zeit im Gang ist: die extreme Polarisierung der amerikanischen Politik und, damit einhergehend, eine schleichende Erosion demokratischer Normen.
Die amerikanische Demokratie war in der Geschichte mehrmals unter Druck. Zum Beispiel in der Zeit des Bürgerkriegs, während der 1930er Jahre, als Präsident Franklin D. Roosevelt mit zweifelhaften Methoden seine Macht auszubauen versuchte. Oder in den 1950er Jahren, als Senator Joseph McCarthy seine Hetzjagd gegen angebliche Kommunisten initiierte. In allen Fällen hielten die demokratischen Institutionen den Angriffen stand.
Womit, nämlich deren Rolle, die Autoren institutionalistische Theorien relativieren, welche die Institutionen als Schlüssel für den Erfolg und das Überleben von Demokratien betrachten. Nach Ansicht von Levitsky und Ziblatt können Institutionen und Prinzipien wie Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Checks and Balances nur überleben, wenn sich die einflussreichen Politiker und die politischen Parteien hinter sie stellen und sie verteidigen – und, das betonen die Autoren als entscheidend, nur dann, wenn sich die Verteidiger der Demokratie an die demokratischen Spielregeln halten.
Offenkundig darf diesem Buch zunächst unterstellt werden, sich zu sehr mit Donald Trump und den Ereignissen in Amerika zu beschäftigen (mit seiner doch (noch?) auch besonderen Ausprägung der Demokratie, des Wahlsystems und der vorhandenen Lücken durch Besetzung der Exekutive und der Jurisdiktion durch einzelne, „mächtige Menschen“; dennoch aber gelingt es den beiden Autoren, nicht in einen allgemeinen Aufschrei emotionaler Empörung zu verfallen, sondern die Ereignisse in Amerika der letzten Monate und Jahre weitgehend als überaus griffiges Beispiel für einen grundlegenden, weltweiten Prozess und eine allgemeine Anfälligkeit der Demokratie als politischer Form aufzudecken.
„All dies sollte uns gefeit machen gegen einen Zusammenbruch der Demokratie, wie wir ihn anderswo erlebt haben“ gilt eben nicht unverbrüchlich, so stark die freiheitlichen Kräfte auch einmal gewesen sein mögen.
Sondern selbst in einer historisch breiten und robust aufgestellten Demokratie wie in Amerika kann die „demokratische Krise“ vernichtend wirken.
Noch vielleicht nicht durchgehend, aber die eindeutigen Vorboten, gerade was die Abwendung von „Fakten“ als Grundlage demokratischer Entscheidungen angeht, sind längst massiv am Horizont zu sehen. Und treten täglich klarer in das ganz reale Leben ein.
Konkurrenten werden zu Feinden stilisiert, die freie Presse eingeschränkt oder von der politischen Leitung her ausgehöhlt, als unglaubwürdig erklärt und somit als „Kraft der Kontrolle“ in ihren Grundfesten erschüttert, bis dahin, Ergebnisse von Wahlen nicht anzuerkennen.
Wer hätte gedacht, dass einerseits die gewählten Volksvertreter selbst mit aller Macht jene Staatsform bedrohen (und das vorher sogar ankündigen, wie bei Trump geschehen), die sie an die Macht gebracht hat und wer hätte gedacht, dass die „Wähler“, das anscheinend mit Mehrheit, zumindest mit großer und lauter Minderheit, dies so zu wollen scheinen – haben wir Leser aber – und davon ist nichts zu lesen, über soziale Medien in die „rechte Richtung“ gelenkt wurden.
Der „Tod der Demokratie“ eben nicht durch einen „Staatsstreich“ oder einen „Angriff von außen“, sondern durch innere Kräfte selbst. Was die Autoren in wenigen Absätzen am Beispiel Venezuelas aufzeigen und dies sodann auf die USA verständlich und fundiert übertragen.
„Die offene Diktatur ist zwar weltweit nahezu verschwunden“,
aber die „verdeckte Diktatur“ der Oligarchie und der Rücksichtslosigkeit im Blick auf die eigene Position ist als Entwicklung seit nicht geringer Zeit deutlich auf dem Vormarsch. Jemand wie Trump ist dabei also nicht „überraschend neu“ und „singulär“ ein „Phänomen“, sondern das folgerichtige Ergebnis einer seit langem vornaschreitenden Krise der politischen Kräfte. Als ein allmähliches „bewusstes Schwächen“ demokratischer Normen.
Detailliert beschreiben die Autoren dabei jene „Normen“ und „Haltelinien“, die Stück für Stück überschritten und ausgehöhlt wurden, wenden den vierstufigen „Test“ für „antidemokratische Einstellungen“ mit eindeutigem Ergebnis auf Trump an, zeigen das Versagen der politischen Parteien auf, ziehen Parallelen zum Europa der 1900er und zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts und kommen zu einem sehr besorgniserregenden Ergebnis. Zumindest für jene Leser, denen an der Demokratie und der Freiheit, die diese mit sich bringt, etwas liegt.
Eine überaus empfehlenswerte Lektüre, vor allem, wenn man das Werk über die konkrete Untersuchung der USA hinaus versteht und die allgemeinen Tendenzen (fast) überall in den Staaten damit als reale Bedrohung der Demokratie einzuordnen versteht.
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Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-421-04810-3
Erschienen: 29.05.2018 – DVA