Von all den jungen Autorinnen, die gerade Irlands Literatur aufmischen, ist Lisa McInerney die populärste. Als Sweary Lady errang sie Kultstatus mit ihrem inzwischen abgeschalteten Blog „Arse End if Ireland“, auf dem sie von ihrem Leben als alleinerziehende Mutter in einer Sozialsiedlung am Rande von Cork erzählte. McInerney ist echte Workingclass. Für ihren ersten Roman „Glorreiche Ketzereien“ wurde sie mit Preisen überschüttet, unter anderem bekam sie den hochdotierten Baileys Women’s Prize.
Auch „Glorreiche Ketzereien“ spielt sozusagen am Arsch von Cork. Hier lebt der junge Kleindealer Ryan Cusack mit seinem Vater und seinen fünf Geschwistern in einem dieser armseligen Reihenhäuser, in deren Gärten ständig etwas brennt. „Sein Vater mochte vieles sein, aber bestimmt nicht verantwortungsvoll. Oder mutig. Oder rechtschaffen.“ Nein, Tony Cusack ist ein Säufer und ein ausgeprägtes Exemplar jener Gattung, die sich und andere immer wieder in die Grütze reiten. Der fünfzehnjährige Ryan ist zwar voller Liebe zu seiner superklugen und wunderschönen Freundin Karine D’Arcy (!), doch er schlägt nach seinem Vater ebenso wie nach seiner toten sizilianischen Mutter: Immer wenn es drauf ankommt, entscheidet er sich für die dümmste und verhängnisvollste Option.
Die Dinge geraten aus ihrem prekären Gleichgewicht, als die leicht verrückte Maureen einen Einbrecher erschlägt. Maureen ist die Mutter des Gangsterbosses Jimmy Phelan und nach vierzig Jahren aus London zurückgekehrt, wohin sie als Mutter eines unehelichen Kindes verbannt worden war. Immerhin nicht in die Wäscherei eines Magdalenenhauses. „Ich hab ihm eins drauf gegeben“, bekennt sie offenherzig.
„Mit dem Heiligen Stein
Ich wollte nicht die Oberhand verlieren, nur für den Fall, dass er der Nikolaus gewesen wäre.“ Der heilige Stein ist eine besonders scheußliche Devotionalie, und so verbucht der modern-pragmatische Jimmy Phelan den Toten auf das Konto von „Irlands künstlerischer Ignoranz“. Aber auch Jimmy hat seine sentimentale Seite. Er spannt ausgerechnet seinen alten Freund ein, den Unglücksraben Tony Cusack, um die Bescherung in der Küche seiner Mutter zu beseitigen.
„Glorreiche Ketzereien“ ist eigentlich kein Krimi, auch kein Thriller. Der Roman ist eine pechschwarze Komödie, die immer wieder ins Tragische kippt. Auf dieses Genre scheinen sich die Iren besonders gut zu verstehen. Lisa McInerney zumindest feuert ihren Witz aus allen Kanonenrohren, manchmal zielt sie etwas ungenau, bisweilen schießt sie auch übers Ziel hinaus. Aber einige Salven sind ziemlich gut platziert, etwa gegen die irische Version der Heiligen Dreifaltigkeit, „Priester, Nonnen und Nachbarn“, oder gegen die moderne Variante des alten Alkoholismus, „Gras, Koks und Ecstasy“. Im Original noch schöner: „Smoke, coke and yoke.“
Dass ausgerechnet die Stadt Cork in diesem Roman unscharf bleibt, ist etwas schade. Über sie heißt es in dem Roman nur, dass sie keine Notiz nehme und stets mit Höherem beschäftigt sei: „Die Wirtschaft, das Parlament und was immer von Irlands Eigenheiten sie diese Woche wieder an Europa verhökern.“ McInerney fokussiert sich ganz auf ihr verzweifeltes Personal, das einfach nicht auf den grünen Zweig kommt, ob es sich nun bemüht oder nicht.
Todtraurig sind etwa die Passagen, in denen die völlig verlorene Kinderhure Georgie ihren toten Junkie-Freund sucht oder einfach einen Ausweg aus ihrem beklagenswerten Leben. Hier zeigt McInerney, wie kraftvoll und einfühlsam sie schreiben kann, ohne sich in Pointen zu retten. Man muss heulen, wenn sich Georgie ihr Zimmer in Jimmys Bordell mit katholischen Glücksbringern verschönert. Ob es die Kirche freut, dass sich in manchen Vierteln von Cork das postkatholische Irland noch nicht durchgesetzt hat?