Die einen sagen zu Pflanzenschutzmitteln so, die anderen so – Statistiken sind für Medien oft Futter für publikumswirksame Geschichten. Manchmal aber machen es sich Medien zu einfach bei der Verbreitung von Zahlen. Und offizielle Stellen üben sich ein wenig zu sehr in der Kunst der Verkürzung. Heraus kommt dabei dann möglicherweise ein Zerrbild. Ein Beispiel ist das Medienecho zur aktuellen Datensammlung des Umweltbundesamtes.
Das Umweltbundesamt (UBA) ist die zentrale Umweltbehörde der Republik und dem Umweltministerium unterstellt. Das UBA soll vor allem die Regierung wissenschaftlich unterstützen, dafür sorgen, dass Umweltgesetze vollzogen werden und die Öffentlichkeit über Umweltschutzthemen informieren. In letztgenannten Aufgabenbereich fällt das Veröffentlichen der Broschüren “Daten zur Umwelt”, deren jüngste Ausgabe zum Thema “Umwelt und Landwirtschaft” kürzlich erschienen ist. In der Broschüre wird angemahnt, dass viele Probleme der Landwirtschaft immer noch nicht gelöst sind. Beispiele sind Monokulturen, hohe Schadstoffbelastungen durch Massentierhaltung und der nach wie vor massive Einsatz von Pestiziden auf Äckern und Feldern.
Nun gibt es mit dieser “Steigerung” zwei grundsätzliche Probleme:
1. Der Vergleichszeitraum wurde vom UBA so gewählt, dass mit 1994 ein Jahr Startpunkt der Betrachtung ist, in dem ein besonders niedriger Absatz an Pflanzenschutzmitteln zu verzeichnen war. Umgekehrt hört die Statistik des Bundesamts 2015 auf, obwohl Zahlen für 2016 bereits vorliegen. Und 2016 ist laut dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wieder ein Rückgang beim Inlandsabsatz von Pflanzenschutzmitteln zu verzeichnen. Auf diese BVL-Zahlen bezieht sich auch das UBA. Das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung der Uni Essen hat das willkürliche Festlegen von Zeiträumen bei Pflanzengiftstatistiken vergangenes Jahr schon einmal zur “Un-Statistik” des Monats gekürt. Damals ging es um eine Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Grünen, laut der die Gesamtmenge der in Deutschland ausgebrachten Pflanzschutzmittel zwischen 2009 und 2015 um rund 4.600 auf 34.700 Tonnen gestiegen war.
2. Problem: Bei der aktuell vom UBA festgestellten Steigerung von 30.000 auf über 40.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel sind die so genannten inerten Gase mit eingerechnet. Das sind Mittel, die bei der Vorratshaltung (z.B. in Silos) eingesetzt werden, um die Ernte zu schützen. Häufig kommt dabei Kohlendioxid zum Einsatz. Mit Gift, das auf Feldern verspritzt wird, haben diese Gase jedoch wenig gemein. Nun ist der Anteil dieser Gase am Gesamtaufkommen der Pflanzenschutzmittel in jüngerer Zeit gestiegen, während die Menge an klassischen Herbiziden (wie etwa Glyphosat) seit 2012 eher gesunken ist (was nicht bedeuten muss, dass die Menge in den Folgejahren nicht wieder steigen kann). Beide Kritikpunkte wurden von der Lobbyvereinigung Industrieverband Agrar als “Statistik-Schwindel von Amts wegen” bezeichnet. Die Pressemitteilung eines Lobbyverbandes findet naturgemäß aber kein so breites Medienecho wie Zahlen eines neutral auftretenden Bundesamtes oder gar eines Artikels der dpa, der bei vielen Online-Medien sogar automatisch veröffentlicht wird.
In den Grafiken der UBA-Broschüre kommt die Thematik der inerten Gase auch zum Ausdruck, und zwar auf Seite 54. Solcherlei Feinheiten finden in dem dpa-Bericht und den folgenden Medienberichten freilich keine Erwähnung, ebensowenig wie in der Presseerklärung des UBA. Was beim breiten Publikum hängenbleibt ist die Schlagzeile, dass zu viel Gift auf den Äckern versprüht wird und die Menge an ausgebrachten Pflanzenschutzmitteln steigt, obwohl dies streng genommen gar nicht stimmt. Auf die Frage, warum die inerten Gase in die Gesamtmenge der Pflanzenschutzmittel eingerechnet wurden, meinte ein UBA-Sprecher, dass die Zahlen in der Broschüre ausführlich graphisch dokumentiert seien. Jeder könne sich dort ein “differenziertes Bild” machen.