In seinem Buch Hooked versprach Nir Eyal zu verraten, wie man Produkte erschaffen kann, die süchtig machen“ – und hat damit ein Produkt geschaffen, das schnell zum Bestseller wurde.

Amazon, Netflix oder Facebook – viele digitale Angebote setzen dezidiert auf Mechanismen der Suchterzeugung. Vielleicht ein Traum fürs Marketing – aber auch einer für Verleger?

Viele digitale Angebote setzen ganz gezielt auf Mechanismen der Suchterzeugung. Michelle Manafy, Editorial Director bei Digital Content Next, hält dagegen: Kundenbindung („Loyalität“), nicht Sucht, sollte das Ziel von Medien sein. In einem Blogpost für das amerikanische Journalismus-Portal Niemanlab meint Michelle Manafy, Editorial Director des Online Publisher-Verbandes Digital Content Next, es könne gar keinen Zweifel daran geben, dass die Erzeugung von Sucht im Prozess einer Produktentwicklung erreicht werden kann. „Es gibt erprobte Techniken, die mit einer hohen Erfolgsquote Konsumenten erzeugen, die Ihr Produkt auf fast schon irrationale Weise begehren. Sie können aus dessen Nutzung sogar Befriedigung ziehen – und das ist sehr hilfreich, denn das wird das Begehren verstärken.

Das gleiche Prinzip wie bei Geldspielautomaten

Im Bereich Social Media zeigt Manafy beispielsweise auf die ausgefeilten Mechanismen der Ich-Bestätigung, die aus einem „Like“, der Gewinnung neuer „Follower“ oder einer „Erwähnung“ bestehen.

Nir Eyal – Sprecher: Dave Wright – Spieldauer: 4:47
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Push-Benachrichtigungen der entsprechenden Dienste nutzten geschickt das, schon in der Mitte des letzten Jahrhunderts entdeckte, Prinzip der variablen Belohnungen. Der rote Punkt bei Facebook oder das Benachrichtigungssymbol bei Twitter zeigt manchmal, aber bei Weitem nicht immer, eine verborgene Belohnung an, die nur durch einen Klick abgeholt werden kann. Das sei das gleiche Prinzip, nachdem Geldspielautomaten funktionierten, die notorische Suchterzeuger seien. „Eine Zum-Aktualisieren-nach-unten-ziehen-Aufforderung hat den direkten Beigeschmack eines Hebels an einem einarmigen Banditen.“

Likes sind ebenso wenig planbar wie Gewinnerlebnisse am Glücksspielautomaten. Auch die Kulturwissenschaftlerin Natasha Schüll, die ein Buch über Spielautomaten geschrieben hat (Titel: „Addiction by Design“), sieht die Parallele: „Facebook, Twitter und andere Unternehmen nutzen ähnliche Methoden, um Nutzer möglichst lange in ihren Apps zu halten“, zitiert die Süddeutsche Zeitung Schüll zu diesem Thema.

Auch Facebooks Ex-Topmanager Sean Parker kritisiert mittlerweile, dass die Gründer des Sozialen Netzwerks mit voller Absicht eine Suchtmaschine gebaut haben. Mit jedem Like, mit jedem Kommentar beute Facebook absichtsvoll die Psychologie des Menschen aus, um seine Nutzer gefangen zu halten. Das habe potenziell fatale Folgen für den Einzelnen und für die Gesellschaft.

Verlagsbranche: Treue Leser statt abhängiger Nutzer?

Entgegen der bei einigen Marketern verbreiteten Zielstellung, süchtigmachende Produkte herzustellen, sieht Michelle Manafy Verlage in der Lage, Angebote zu schaffen, die treue Leser erzeugen, keine abhängigen Nutzer.

Sucht basiere auf einer unausgeglichenen und nicht stabilen Beziehung. Treue Kunden kämen immer wieder freiwillig zurück. „Durch das Angebot von Qualitätsinhalten mit exzellenter Nutzungserfahrung zum vorhersagbaren und optimalen Zeitpunkt können Inhalte ein vertrauter Freund werden und nicht eine flüchtige Verblendung oder ein ungesunder Zwang.“ Statt seine Kunden als ‚Nutzer‘ zu betrachten, sei es eine bessere Geschäftsstrategie, sie stattdessen als ein Publikum zu begreifen.

Ein Publikum aus treuen Lesern ist für Manafy viel werthaltiger als eine Heerschar süchtiger Nutzer. „Es wird Sie an andere weiterempfehlen. Es wird sich für neue Angebote interessieren … Und, als ein zusätzlicher Pluspunkt, diese guten Gefühle werden sich auch auf die Werbung übertragen, die Sie ausspielen.“ – Und, zu guter Letzt, ist doch – und das bringt dann ja schließlich auch was …

Juni 2018 | Allgemein, Buchempfehlungen, Gesundheit | 1 Kommentar

1 Kommentar vorhanden zu “Soziale Netzwerke versus Verstand?.- Digitale Angebote setzen häufig auf Mechanismen der Suchterzeugung”

  1. Malte Schroeder sagt:

    Hallo Herr Gottschling,
    Sie muten uns Lesern (mit zum Beispiel diesem Beitrag) eine ganze Menge zu. Danke dafür! Herzlichen Dank, auch von meinem Hirn!
    Malte Schroeder

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