Leitartiklern von links bis rechts ist in diesen Tagen keine Metapher und kein Wort zu groß, um vor dem Abgrund zu warnen, in den Deutschland angeblich gerissen werde, falls der Streit in der Union tatsächlich zu einem Bruch zwischen CDU und CSU führe.
Das Land taumle
ins politische Chaos?
Und, weil es – außer Merkel –
niemanden von weltpolitischem Format gebe, werde Europa mit hineingerissen.
Derlei Alarmrufe sind allenfalls – ein wenig – mehr
als gar nicht übertrieben.
Wenn es schon die Regierenden nicht tun, vielleicht sollten dann wenigstens die Kommentatoren einen kühlen Kopf bewahren. Und unabhängig von dem erbitterten Machtkampf zwischen Berlin-Mitte und Bayern einfach mal schauen, was sich die Bürger dieses Landes eigentlich wünschen. Sieht man sich die jüngsten Umfragen an, aus denen „Bild am Sonntag“, „Spiegel Online“ und andere Medien zitieren, ergibt sich ein ziemlich klares Bild:
57 Prozent der Deutschen fordern einen restriktiveren Kurs in der Flüchtlingspolitik und wollen, dass es Migranten und Flüchtlingen erschwert wird, nach Deutschland zu kommen, weil das Land mit ihrer Zahl und ihrer Integration überfordert sei.
61 Prozent unterstützen die Position der CSU, Flüchtlinge, deren Fingerabdrücke bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, an der Grenze zurückzuweisen.
58 Prozent wollen, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt.
68 Prozent denken, dass die Flüchtlingsthematik nur gemeinsam mit den anderen EU-Ländern zu lösen ist.
Alsdann: Merkel soll weitermachen, aber:
in der Asylpolitik den harten Kurs der CSU übernehmen und diesen durch Verhandlungen auf europäischer Ebene durchsetzen. Die Voraussetzungen sind nach dem gestrigen Gipfeltreffen in Brüssel noch nicht besonders gut, aber auch gar nicht so schlecht.
Das spannendste Ergebnis der Umfragen:
54 Prozent der Befragten sind dafür, dass sich CDU und CSU künftig getrennt im gesamten Bundesgebiet zur Wahl stellen und gegeneinander antreten.
Der politische Umbruch in Deutschland ist in Wahrheit also größer, als es der Asylstreit suggeriert. Er wurzelt auch in einer entkräfteten Union, einer SPD mit Auflösungserscheinungen und einer kontinuierlich erstarkenden AfD. Jede Wendung, jede neue Provokation, jede Verletzung im Streit innerhalb der Bundesregierung speist sich aus diesen Wurzeln und vertieft sie zugleich.
Wie kommt man da raus? Wenn sich politische Koordinaten verschieben, lassen sich Weichen neu stellen. Vielleicht so: Die CSU löst sich von der CDU, tritt bundesweit an und vertritt die Interessen konservativer, empörter Bürger, die bislang aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik der etablierten Parteien die AfD unterstützen. Sie bindet also den rechten Rand – bleibt anders als die AfD und in bester Franz-Josef-Strauß-Tradition aber strikt den demokratischen, europäischen Grundprinzipien der Bundesrepublik verpflichtet. Und meidet natürlich jede rassistische und geschichtsrevisionistische Hetze.
Die Grünen gehen ein Bündnis mit der leise ergrünten CDU ein. Ohnehin gibt es nicht mehr viel, was die beiden Parteien trennt. Unter Anhängern der Grünen genießt Angela Merkel schon jetzt den Status einer Seligen, wenn nicht den einer Heiligen.
Die FDP schwört dem Liebäugeln mit rechten Parolen ab, besinnt sich auf ihre liberalen Wurzeln und tut ansonsten das, was sie seit Jahrzehnten am besten kann: Mehrheiten beschaffen.
Und die SPD? Nimmt sich endlich der Sorgen und Nöte der „kleinen Leute“ an. Will also nicht mehr nur gewerkschaftlich organisierte Facharbeiter, Lehrer und Beamte vertreten, sondern auch die Niedriglöhner der Dienstleistungsgesellschaft; die Paketzusteller, Friseure, Kassierer, Zeitarbeiter und Selbstständigen. Schärft die SPD ihr Profil in diese Richtung und wird zur neuen Vorkämpferin für Gerechtigkeit, steht auch einer Wiedervereinigung mit der Linken nicht mehr viel im Wege.
o könnte es – vielleicht – gehen. Es wäre ein grundlegender Umbruch des deutschen Parteiensystems. Und wie immer bei solchen Szenarien ist es vermutlich viel zu theoretisch, viel zu einfach gedacht. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Und drittens muß bezweifelt werden dürfen, dass sich die CSU-Spitzen derzeit überhaupt dafür interessieren, was nach dem 14. Oktober geschieht.