Die türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan saß bis Ende 2016 ein halbes Jahr in Haft in der Türkei. Seit Herbst 2017 lebt sie in Frankfurt am Main. Bei einer Veranstaltung erklärt sie, warum das Leben am Main für sie eine Herausforderung ist.
Es war die Frage, die sie am meisten fürchtete, sagte Aslı Erdoğan in ihrer Exilstadt Frankfurt am Main.

Die Frage einer jungen französischen Kulturschaffenden nämlich, wie die Europäer reagieren sollen auf diese Türkei, die Schriftsteller und Journalisten einsperrt, vom Militär über die Presse zur Justiz alles gleichschaltet. Soll man als deutsche Theatergruppe noch in Istanbul gastieren, sich dort als französischer Verlag noch an einer Buchmesse beteiligen?

„Ich habe keine Antwort. Es ist so schwer zu sagen: Boykottiert die Türkei! Es ist mein Land! Es würde doch viel mehr als Erdogan das Theater treffen, eine Buchmesse, die nicht mehr in der Türkei stattfindet, trifft am meisten die Schriftsteller oder die Verleger. Auf der anderen Seite ist die Lage sehr ernst und eine strenge Reaktion ist geboten.“

Aslı Erdoğan sieht sehr müde aus. Die 51 Jahre alte türkische Schriftstellerin leidet unter der Exilsituation – daraus macht sie keinen Hehl, spricht von einem „Exil-Schock“. Seit September 2017 lebt sie in Deutschland, um einer weiteren Verhaftung in der Türkei zu entgehen. Das Regime wirft ihr die Unterstützung der Kurden vor.

Gewollt war der Aufenthalt nicht

„Ich weiß, warum sie mich ins Gefängnis geworfen haben. Ich weiß, welcher Zeitungsartikel sie zornig gemacht hat. Es war der Artikel, den ich über Cizre geschrieben habe. Die von Kurden bewohnte Stadt, in der türkische Militärs im Februar 2016 viele Zivilisten töteten. Während ich den Artikel schrieb, wusste ich: Nichts wird sich ändern. Es ist eigentlich zu spät. Die Leute waren tot, die Stadt war niedergebrannt. Ich wusste, es wird sich nichts mehr ändern. Aber ich schrieb den Artikel.“

Nein, antwortete Aslı Erdoğan auf die Frage von Jürgen Boos, des Chefs der Frankfurter Buchmesse, ob sie das bereue. Das Gefängnis habe sie verändert, sie müsse darüber schreiben, könne es aber auch nach mehr als sieben Monaten Exil in Frankfurt am Main noch nicht. Mehrere Monate saß Asli Erdogan 2016 im türkischen Knast. Nach ihrer Entlassung erhielt sie lange ihren Pass nicht zurück.

Doch zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Oktober konnte Aslı Erdoğan nach Frankfurt am Main reisen. Großer internationaler Druck hatte es möglich gemacht. Seitdem finanzieren die Stadt Frankfurt und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ihren Aufenthalt in der Mainmetropole. Gewollt war er nicht, sagt die türkische Schriftstellerin. Die Arbeiten, die sie angefangen hatte, seien noch in Istanbul:

„Ich hatte nicht geplant, nach Deutschland zu kommen und mich hier niederzulassen. Ich wollte nur drei Tage zur Buchmesse bleiben. Und jetzt sitze ich hier immer noch mit demselben Mantel. Doch dann begann ich zu realisieren, dass ich für lange Zeit hier bleiben muss. Ich überlegte, dass ich Deutsch lernen müsse und auch Frankfurt zu verstehen habe. Aber es war ein Exil-Schock.“

Ohne den Sound ihrer Muttersprache

Der noch nicht überwunden ist. Dass sie nun schon mehr als ein halbes Jahr in Frankfurt am Main lebt, kommt Aslı Erdoğan jedoch noch sehr unwirklich vor. Sie habe keine ständige Angst mehr, sagt die Schriftstellerin. Doch eine gewisse Furcht vor dem langen Arm des türkischen Regimes verleugnet sich nicht. Auf die Frage, warum sie vor einigen Jahren aus Brasilien, wo sie eine Zeit lang lebte, wieder in die Türkei zurückgekehrt sei, obwohl sich die politische Lage dort seit einem Jahrzehnt ständig verschlechtert habe, antwortet Aslı Erdoğan:

„In Brasilien entdeckte ich, dass ich mein Türkisch verliere. Ich begann, Grammatikfehler zu begehen. Ich wollte meine Muttersprache nicht verlieren. Ich glaube, ich beherrsche ein gutes Türkisch. Ich arbeite mit der Musik und dem Rhythmus der Sprache.“

Wie lange kann sie in Frankfurt am Main ohne den alltäglichen Sound ihrer Muttersprache auskommen?

Prognosen, wie lange das Exil dauern wird, kann und will Aslı Erdoğan ebenso wenig geben wie Einschätzungen dazu, wie sich die Lage in der Türkei mittelfristig entwickeln könne. Sie sei eine Beobachterin und könne nun seit vielen Monaten nicht mehr vor Ort verfolgen, was die Menschen denken und wie sich die Dinge möglicherweise verändern. Dass das ein persönliches Problem für sie ist, machte Aslı Erdoğan gestern Abend in Frankfurt am Main sehr klar:

„Ich habe Geschichten von Opfern erzählt. So gut und machtvoll ich konnte. Und dies hat mich langsam in eine sehr politische Rolle gebracht.“

Diese Rolle hat sie nun erst einmal verloren. Das macht Aslı Erdoğan sehr melancholisch. Nein, der „Exil-Schock“ ist für diese beeindruckende Frau noch nicht vorbei.

Apr 2018 | Allgemein, Feuilleton, Politik, Zeitgeschehen | Kommentieren