Die Neuzeit hat Abschied genommen von den konkreten Jenseitsvorstellungen, spielt mit dem Gedanken der Unsterblichkeit der Seele und entwickelt Verdrängungs- und Risikominderungsstrategien: einerseits die Vorstellung vom Nachleben im Ruhm, in den Gedanken, den Werken, den Bildern die man hinterläßt, den gesammelten „in vino veritates“ vielleicht – all das herzustellen und für die Ewigkeit zu kalfatern – dicht für eine kleine Ewigkeit, gibt dem Leben (s?)einen Sinn; andererseits aber wächst der Hang, sich zu versichern, individuell und gesellschaftlich: Mäßigung, Gesundheitspflege, Vorsicht, Bravheit, Vorsorge für Härtefälle, Abfindung nach Kündigung ja sowieso. Eine Gesellschaft von ihren Tod ins Auge fassenden Einzelnen sähe anders aus. (Nur) – der Gedanke an den Tod zwingt die Menschen in ein freies und erfülltes Leben; wer den Tod verdrängt, lebt stumpf und bewußtlos wie ein Tier.

Der Akademie memento mori …

gilt dem diesseitigen Leben, nicht aber dem Seelenheil. Den Tod zu sehen und anzuerkennen ist ein guter – und vielleicht der einzig zwingende – Grund dafür, die Tauglichkeit des Endlichen zu erkennen. Gibt es nämlich  keine Zukunft jenseits des Sterbens, gibt es keine Gründe, die Gegenwart wegzuwerfen; und weil der Tod das gewußte Ende ist, hat auch die Sparsamkeit  – an Lust, an Liebe, an Genuß – nur begrenzt Sinn. Dieses eine Leben ist für den einzelnen Menschen alles, die letzte Zeile ist vorgegeben, und jeder lebt nur sein Essay, seine Kolumne  – mit oder ohne vino: “veritas“. „Der Rundschau Credo“ sieht das übrigens genau ebenso!

Macht gestorben sein Nichtstun schöner?
Die Heidelberger Vertianische Akademie
mischt sich auch künftig ein

Da wird uns alleweil und allüberall das „Hohe Lied der Arbeit“ gesungen, einer Arbeit, die angeblich  unverzichtbar zur Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit gehört. Der veritanisch disponierte Mensch, also einer im Vorstadium seines wissenschaftlichen  Studiums an der „Veritanischen Akademie zu Heidelberg“ begegnet solchen Ideologien mit grundsätzlichem Unbehagen und tiefem Mißtrauen.
Durch unsere Institution  wird der Adept theologisch  davon unterrichtet, dass nach Genesis 2,8 Gott einen Garten Eden pflanzte und Adam, den Menschen, mitten hinein setzte, in ein Paradies also, in dem dieser Mensch ein müheloses und sorgenfreies Leben hätte führen können. Es sollte sich dann aber das Mysterium des Sündenfalls  (Gen 3,17) begeben und Gott sprach: „In Kummer sollst du essen alle Tage deines Lebens und du sollst vom Kraut des Feldes leben … Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen“.
Das wurde zweifellos von Vegetariern, Müslifreaks und Vollkornaposteln zu wörtlich genommen. Wie auch immer schwitzen die Menschen nicht nur bei der Arbeit, die ja im Paradies gar nicht eigentlich vorgesehen war, sondern auch beim Essen von  Sauerkraut und -braten,  Hummerschwänzen und allerlei Patisserie. Jedoch ist der Mensch ursprünglich zweifellos zu Muße geschaffen!

Muße heute, jetzt und immerdar
Schulen sind allesamt im ursprünglich griechischen Sinn:
Ein komplettes Mißverständnis

Muße – unterhalb des Olymp. Foto: Mark Schenk

Die klugen Griechen wußten das – und handeln auch heute noch ebenso (Aristoteles schreibt: „ἀσχολούμεθα γὰρ ἵνα σχολάζωμεν …“ (Wir arbeiten, um Muße zu haben …). Sie pflegten die Muße in der Weise, als sie sich auf philosophische Gespräche einließen, und erörterten auf diese angenehme Art mathematische, geometrische, politische und astronomische Probleme. Das alles nannten sie „skolé“ und spazierten dabei im Schatten von Pinien und Zypressen oder am Strand im Sand. „Skolé“ bedeutet aber nicht Schule, sondern Muße. Für Schule gab es ein anderes Wort, nämlich „didaskaleion“, was soviel wie Lehranstalt heißt. Erst die Römer machten aus „skolé“ ihre „schola“  – wer über all dies auch nur ein ganz klein mehr als garnicht nachdenkt, wird leicht erkennen, dass unsere Schulen allesamt und zumal im eigentlich griechischen Sinn ein komplettes Mißverständnis sind.

An der veritanischen Akademie zu Heidelberg hingegen wird gelehrt, es gehöre zur Mittelmäßigkeit, sein Selbstwertgefühl vorwiegend aus der Arbeit zu stabilisieren und die Freizeit totzuschlagen, statt sie in Muße zu genießen.
Der Veritologe wird nach der Erkenntnis leben, dass der Fleiß Mittelmäßger mehr Schaden anrichtet als die Faulheit der Begabten.Deshalb wird er  auch nicht müde (man möge sich darauf verlassen), das Mittelmaß und die mit ihm verbundene Selbstgerechtigkeit bloß zu stellen.

Arroganz sei nicht das Panier

Nun ist es aber eine Form der Arroganz, Mittelmaß und Mittelmäßigkeit entlarven zu wollen, wenn die Einsicht fehlt, dass man selbst dazu gehört. Die Herausforderung an den Veritologen besteht hingegen darin, diesen Zustand zu reflektieren und damit zu transzendieren. Er weiß, dass ein Mensch, der keine Dummheit macht, auch nichts Gescheites zuwege bringt. Doch er wird sich auch nicht mit der Feststellung Voltaires begnügen, dass gesellschaftlich kaum etwas so erfolgreich sei, wie die Dummheit, wobei das Recht auf Dummheit schließlich sogar von der Verfassung geschützt ist, es gehört zur Garantie für freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Es darf nun aber andererseits der Klügere unter den Mittelmäßgen, der Veritologe also, nicht, wie das geflügelte Sprichwort nahelegt, deshalb nachgeben,
würde doch so die Weltherrschaft der Dummen erstrecht noch weiter gefestigt.

Wir Veritologen, wer wüßte das besser als (tno), schaffen uns keine neuen Freunde unter jenen, die wir mit veritologischem  Florett stoßend attakieren, halten es jedoch auch künftig mit Jean Paul Sartre, der wußte, dass, „wer die Dummköpfe gegen sich hat, Vertrauen verdient“.

Apr 2018 | Allgemein, Essay, Feuilleton, Gesundheit, In vino veritas, Junge Rundschau, Sapere aude, Senioren | 1 Kommentar

1 Kommentar vorhanden zu “Dem Tod ins Auge gesehen haben; ja, aber: Die Akademie „Veritas“ lebt – mittlerweile als epidemische Akademie – munter (was Wunder) weiter!”

  1. Ulrich Wassmann & Heidi sagt:

    08.Apr.2018, 10:43 e

    Ulrich Wassmann

    … lese eben im Buch von Ijoma Mangold/Das deutsche Krokodil, S. 89 ff. und fühle mich in
    die Jugendzeit unserer Kinder und Tenno-Adepten, z.B. Moritz, Annette versetzt – Felix wohl weniger,
    Bettina… weiß ich nicht mehr. Alle gingen eigene Wege, eigentlich Umwege, haben sich gefun-
    den, haben Kinder bekommen. Wir Eltern/Großeltern haben mit ihnen in HD, in Mailand,
    Hamburg gelebt, ihnen viel Freiheit gelassen.
    Wir sollten uns mal auf ein Glas Chianti in der Altstadt treffen.
    Aber erst lese ich Mangolds Erzählung zuende.
    Herzlichen Gruß von Ulrichn Wassmann

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