Vor einigen Jahren forderte ich im Buch Aufstand der Jungen meine Generation auf, den Aufstand zu wagen – nicht gegen die Alten, sondern gegen einen unfairen Zustand, und für ein Recht auf Mitsprache. In den letzten Monaten erleben wir, dass überall auf der Welt immer mehr junge Menschen wütend auf die Straße gehen, um für ihre Zukunft zu kämpfen.
Ist das der Weckruf einer globalen Jugendbewegung ? Und wann springt der Funke auf Deutschland über?
Zwischen den nationalen Protesten lassen sich gewisse Parallelen identifizieren. Doch die Umstände sind komplex und passen in kein Feuilleton. Den Arabischen Frühling und die Jugendproteste in Europa als transnational vereinte Bewegung sehen zu wollen, ist gewagt. Zu unterschiedlich sind die Lebenswelten der Jugendlichen, zu vielfältig ihre Motive. Die plündernden Banden in England haben wenig mit den studentischen Zeltlagern in Spanien oder den Demonstranten vom Tahrir-Platz gemein. Trotzdem erschöpft sich das Gemeinsame nicht im gleichen Alter. Politische Frustration und ökonomische Perspektivlosigkeit sind die verbindenden Wurzeln der Jugendbewegungen.Wenn man jung ist, hat man noch Träume. Doch die Träume zerschellen, wenn die Türen verschlossen bleiben und nicht einmal ein Uni-Abschluss reicht, um einen Job zu finden, wie es früher als normal galt.

 

Diese Generation hat den Glauben verloren, dass sie vom Kuchen mehr abbekommt als ein paar Krümel. Ihr Freiheitsdrang und Erlebnisdurst stehen in krassem Widerspruch zum tagtäglichen ökonomischen Druck, der ein dumpfes Gefühl von Ohnmacht, Ungerechtigkeit und Ausgrenzung erzeugt. Jugendarbeitslosigkeit und soziale Spaltung , gepaart mit Misstrauen gegenüber einer impotenten politischen Elite, bereiten einen guten Nährboden für Wut und Verbitterung, in Europa wie in Nahost.

 Denn die junge Generation ist die größte Verliererin der Krise: als frisch gebackene Schul- und Uni-Abgänger, die keinen Job finden; als junge Beschäftige, die zuerst entlassen werden; als Generation insgesamt, weil sie ihr Leben lang für die Schulden haften müssen, die heute für die Bankenrettung verprasst werden. In Spanien explodierte die Jugendarbeitslosigkeit auf 45 Prozent. In den Problemvierteln in England oder den Banlieues in Frankreich sieht es nicht besser aus.

Zu dem Gefühl, nicht zu dieser Gesellschaft zu gehören und keine Chancen zu haben, fehlt dann nur ein Funke, um Frust und Ohnmacht eskalieren zu lassen. Die blinde Gewalt der plündernden Banden in London legitimiert sich nicht durch politische Ziele; ihnen hört sowieso niemand zu. Die Klage über Werteverfall hilft nicht weiter: Die Plünderer vollziehen nur nach, was ihnen profitgierige Banker und Spekulanten in einer beispiellosen Bereicherungsorgie vorgemacht haben. Diese aber sind selbst in einem System gefangen, das von der Profitmaximierung auf anonymen Märkten getrieben ist. Wo ist das menschliche Antlitz eines solchen Kapitalismus?

Wenn niemand mehr dafür sorgt, dass Anstand und Moral auch auf den Märkten gilt, wenn die oben das Land in den Ruin zocken und die unten dafür bezahlen, kann das auf Dauer nicht gut gehen. Mit dem Bankensystem ist auch das Weltbild des freien Marktes, auf dem Leistung sich lohnt und der Wohlstand für alle bringt, in die Legitimationskrise geraten.

Der Aufstand der Jungen ist kein heroisch oder ideologisch aufgeladener Widerstand gegen das „System“, sondern hinterfragt den Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Die junge Generation weiß um die Vorzüge von Marktwirtschaft und Demokratie, doch sie hält nicht viel von Kapitalismus und Staat. Sie weiß aber auch nicht, wie es besser gehen soll. Sie rennt keinen Heilsutopien hinterher. Sie hat keine Wortführer, keinen arabischen oder spanischen Rudi Dutschke. Sie hat kein gemeinsames Manifest; allenfalls gibt es viele Manifeste vieler Gruppen. Die konkreten Ziele und Forderungen bleiben aus guten Gründen im Nebel. Es geht um ein gemeinsames „Nein!“ zu einer klaffenden Ungerechtigkeit und sehr viele „Jas!“ zu einer anderen Gesellschaft.

In Tunesien, Ägypten oder Libyen geht es um den Sturz korrupter Herrscherhäuser. Doch auch der Opposition traut man nicht recht über den Weg. In Spanien, Griechenland oder Großbritannien ist es den Aufständischen letztlich einerlei, wer regiert. Sie wollen eine schönere Demokratie, mit mehr Mitsprache für alle. Den Glauben an die Politik haben sie längst verloren. So, wie die Politik die Jugend links liegen lässt, lässt die Jugend die Politik links liegen.

Gut möglich, dass die Demonstranten in Madrid oder Athen nicht einmal wählen gehen. Sie fühlen sich von keinem ihrer Repräsentanten mehr repräsentiert. Etatistische Reflexe sind nicht ihr Ding.

Deutschland hat die Krise mit einem blauen Auge überstanden – dank einer Industrie, die ihre Geschäfte nicht nur mit dem Hin- und Herschieben von Geld macht, sondern wirkliche Werte produziert. Die Verschnaufpause darf jedoch nicht dazu verleiten, alles zu lassen, wie es ist. Die Reichen werden auch hierzulande immer reicher und die Armen immer zahlreicher. Soziologen warnen vor dem Entstehen einer neuen Unterschicht, die für sich keine Perspektive mehr sieht und jede Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg verloren hat.

Die junge Generation in Deutschland scheint manchem reglos oder passiv. Der Aufstand der Jungen ist hier zwar leiser als anderswo, aber so bunt und vielfältig wie die Jugend selbst. Er drückt sich nicht in Massendemos vor dem Kanzleramt aus – jedenfalls noch nicht. An vielen kleinen Orten überall im Land bewegt sich jedoch was: Azubis, die mit Mahnwachen-Protestcamps für ihre Übernahme kämpfen; Hip Hop Bands, in denen Menschen mit Zuwanderungsbiografie soziale Probleme beim Namen nennen; oder die Hunderttausenden Schüler und Studenten, die während des Bildungsstreiks für ihre Zukunft stritten. Allen, die dieser Generation Apathie vorhalten, sei gesagt: Der Aufstand der Jungen hat gerade erst begonnen.

 Wolfgang Gründinger, Jahrgang 1984, versteht sich als Sprachrohr der Jugend. Er ist Verfasser des Buches Aufstand der Jungen, in dem er für einen neuen Generationenvertrag, für Solidarität und den Dialog der Generationen plädiert. Der Politik- und Sozialwissenschaftler ist Mitglied im Think Tank 30 (tt30) des Club of Rome und Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.
März 2018 | Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau, Politik, Senioren | Kommentieren

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