Von der Titanic reingelegt: Bild-Chefredakteur Julian Reichelt verteidigt die Berichterstattung …

Die „Gewichtung als Schlagzeile“ war „im Nachhinein falsch“: Bild-Chefredakteur übernimmt Verantwortung für Titanic-Gate: Während üblicherweise die Bild-Zeitung andere in Bedrängnis bringt, steckt die Boulevardzeitung derzeit selbst im Krisen-Modus. Die Titanic hatte ihr gefälschte Mails untergejubelt, die einen Kontakt zwischen Juso-Chef Kevin Kühnert und russischen Internet-Trollen vorgaben. Während Chefredakteur Julian Reichelt die Berichterstattung seiner Zeitung nach außen vehement verteidigt, gibt er sich intern reumütiger. „Die Gewichtung als Schlagzeile war im Nachhinein falsch. Das geht allein auf mich“, schreibt er in einer Mail an sein Redaktionsteam.

 

In dieser auch Media vorliegenden Mail schrieb der Chefredakteur am Mittwochabend an die Belegschaft von „Bild“:

Dear all, heute war kein leichter Tag für uns alle.

Mir ist bewusst, dass viele von Euch Fragen im Freundeskreis ausgesetzt sind. Und vermutlich auch Häme. Es ist leicht, gegenüber BILD hämisch zu sein. Für viele Menschen gehört das zum Weltbild und zum guten Ton. Wir teilen aus, also müssen wir auch einstecken.Für die Entscheidung, die gefälschten Mails als Schlagzeile zu machen, bin allein ich verantwortlich. In Kenntnis aller nun zur Verfügung stehenden Fakten würde ich das so natürlich nicht mehr machen. Für diese Entscheidung habt Ihr alle nun viel auszuhalten. Aber gerade in solchen Situationen zeigt sich Zusammenhalt. Und dabei ist mir ein Punkt wichtig: Lasst Euch nicht verunsichern vom Spott auf Social Media.

Wir haben über Mails berichtet, die von Titanic gefälscht wurden – das stimmt. Aber zu keinem Zeitpunkt sind wir auf das hereingefallen, was Titanic erreichen wollte. Wir haben eben NICHT geschrieben, dass Kevin Kühnert mit einem Russen zusammen arbeitet. Wir haben alle Seiten gehört und auch eingeordnet, dass die Stellungnahme der SPD plausibel ist. Wir haben den Titanic-Redakteur zwar (leider) nicht enttarnt, aber wir haben nie die Geschichte erzählt, in die Titanic uns hinein treiben wollte.

An diesem Punkt haben unsere Mechanismen und – das ist besonders wichtig – unsere Diskussionskultur funktioniert und uns vor Schlimmerem bewahrt. Es ist wichtig, auch auf diese Fakten zu blicken, nicht nur auf den Sturm auf Social Media.

Was nehme ich für mich mit?

Es gibt Menschen, die uns vernichtende und sehr professionell gefälschte Falschinformationen unterjubeln wollen. Das sollten wir alle nicht im Hinter-, sondern im Vorderkopf behalten. Ich zitiere hier einmal ausgerechnet Jakob Augstein, der einer unserer schärfsten Kritiker ist: „Titanic hat BILD bewusst getäuscht, mit echtem ‚kriminellen‘ Aufwand. So lässt sich jede Zeitung, jede Institution täuschen. Ich erkenne das aufklärerische Interesse nicht. Das ist reine Destruktion. Die Freude ist groß, weil es gegen BILD geht. Das ist mir zu billig.“

Filipp Piatov ist ein großartiger Kollege, der in den letzten Monaten immer wieder spektakuläre Recherchen zum Thema Desinformation abgeliefert hat. Er hat bei dieser Geschichte alles getan, um die ihm zugespielten Informationen zu prüfen und sich auch bei dieser Recherche höchst professionell verhalten und mich von Beginn an in alle Schritte eingebunden. Ausgerechnet ihn wollte man von einer direkten Verbindung zwischen Kevin Kühnert und Russland überzeugen – aber das ist nicht gelungen. Ich habe Filipp selber eingestellt und ich bin jeden Tag froh über diese Entscheidung.

Wie gesagt, die Gewichtung als Schlagzeile war im Nachhinein falsch. Das geht allein auf mich. Aber zusammenzustehen, wenn wir Anfeindungen ausgesetzt sind, geht auf uns alle.

Best,

j.

In der Erklärung an die eigenen Mitarbeiter zeigt sich Chefredakteur Reichelt reumütiger als nach außen. Am gestrigen Mittwoch hatte er in einem Artikel geschrieben:

Wenn bei BILD ein Fehler passiert ist, dann, dass wir den angeblichen Informanten nicht als „Titanic“-Mitarbeiter enttarnen konnten, obwohl wir mehrfach versucht haben, seine Identität festzustellen. (…)

Wir bedauern, dass wir nicht von Anfang an berichten konnten, dass mutmaßlich ein Satire-Magazin hinter den gefälschten Mails von Kevin Kühnert steckt.

Ein berichtenswerter Vorgang bleibt es für BILD aufgrund der Strafanzeige der SPD wegen dennoch, eine Schlagzeile auf Seite 1 wäre es in Kenntnis der Titanic-Fälschung sicher nicht gewesen.

 Getreu dem Motto Angriff ist die beste Verteidigung hatte er zunächst versucht, die Titanic als Täter und Bild als Opfer dastehen zu lassen. Dazu hatte er den Satirikern vorgeworfen, „journalistische Arbeit bewusst diskreditiert“ zu haben.

Zudem wies er immer wieder darauf hin, dass die Redaktion die gesamte Zeit über skeptisch gewesen sei und dies auch deutlich gemacht habe. Kritiker hatten jedoch moniert, dass dies im Sinne der Sorgsamkeitspflicht nicht deutlich genug gemacht worden war und besonders deshalb keine Titelseiten-Geschichte wert gewesen sei.

 Anmerkung der Redaktion: Das Zitat aus Julian Reichelts Artikel von Mittwoch wurde nachträglich ergänzt, auch wurde die Headline angepasst. Zuvor hatte es geheißen, Julian Reichelt würde sich für das Verhalten von Bild entschuldigen.
Feb. 2018 | Junge Rundschau, Zeitgeschehen | Kommentieren