
Obgleich man hören und sehen kann, wie konzentriert und geschickt der Schlagzeuger Jeff Ballard inständig seine Felle und Becken bedient, könnte man tatsächlich meinen, der Rhythmus töne einem nicht von der Bühne des Jazzklubs entgegen. Vielmehr scheint er naturgegeben quer durch den Raum zu verlaufen und von Ballard sowie dem Bassisten Larry Grenadier und Mark Turner am Tenorsaxofon durch die mehrteiligen Stücke ihres Repertoires geleitet zu werden. Der Groove wird hier bald gestaut, bald gerafft – und die Zeit mithin gebremst oder beschleunigt. Die drei Virtuosen des Trios Fly aber zelebrieren dabei eine magische Mathematik, die einen Dreivierteltakt in vier Viertel zerlegen kann – oder auch in fünf oder sieben.
Souveränes Timing
Der souveräne Umgang mit dem Timing zeigt sich auch im Umgang mit dem Material. Als Saxofon-Trio lehnt sich Fly harmonisch und rhythmisch zwar scheinbar in die Jazztradition zurück. Die Musiker vermeiden es aber tunlichst, diese bloss zu wiederholen in Stereotypen, zu zitieren in Klischees. Ihre Inspiration beziehen sie aus den Weiten der Musikgeschichte. Das harmonische Geflecht aus Saxofon- und Bass-Arpeggi erinnert zum Beispiel an die barocke Polyfonie. Die Strenge der Formen und das asketische Spiel hingegen, das keine Zufälligkeit erlaubt, lässt an moderne Avantgarden denken. Doch bei Fly werden die konzeptionellen Härten durch das zarte, akkurate Zusammenspiel weichgezeichnet.
Von herkömmlichem Interplay möchte man im Falle von Fly allerdings nicht reden. Es geht hier nicht um musikalische Fragen und Antworten, es geht auch nicht um die Hitze, welche Reibungen ebenso generieren wie Umarmungen. Statt der Chemie der Expressionen pflegt Fly vielmehr die Physik der Konstellation. In diesem Sinne werden die Möglichkeiten der Band durchdekliniert: In den sich abwechselnden Trio-, Duo- oder Solopassagen gravitiert die Musik immer wieder um neue Klänge. Und jede hierarchische Ordnung löst sich auf in der kaleidoskopischen Kombinatorik.
Ein Konzert von Fly ist eine sehr spezielle Angelegenheit. Das erlebt das Publikum auch am Montagabend im Zürcher «Moods». Man wird nicht angesprungen von dieser Ästhetik. Turner, Grenadier und Ballard sind zwar jeder für sich schon ein Ereignis. Turner, der bisweilen auch zur Klarinette greift, hat mit der linearen Logik und Frische seines Spiels Generationen von Saxofonisten beeinflusst. Grenadier glänzt durch pünktliche Artikulation und harmonische Dichte. Jeff Ballard schlägt aus seinem beflügelnden Swing immer wieder beherzte Knüffe und Püffe. Aber letztlich wird ihr ganzes Können einer kammermusikalischen Musik untergeordnet, die einen nicht packen will. Man muss sich auf sie einlassen, in sie vertiefen und verlieren. Und wird dann belohnt durch Spannung und Schönheit.
Schöne Überraschungen
Im ersten Set vom Montagabend fielen die stärksten Momente in die stillen Momente, wenn durch die feinen Klanggitter einzelne melodische Blüten sprossen. Mark Turner blieb zunächst noch etwas in Bescheidenheit und Reserve gefangen. Im zweiten Set jedoch wurden seine Soli länger und impulsiver. Welche schöne Überraschung, als sich in seinen ätherischen Schlaufen plötzlich ein erdiges Blues-Motiv abzeichnete. Und welch erhebender Ausklang, als Fly zuletzt durch das Wayne-Shorter-Stück «Fall» schwebte.