Ist erst mal alles im Eimer, hilft allenfalls, gegen das Nichtkönnen anzumalen – bedingungslos und brachial und genau das genau tut Georg Baselitz.  Zu seinem 80. Geburtstag wird der Star der deutschen Nachkriegskunst in der Fondation Beyeler und im Kunstmuseum Basel gewürdigt. (Bild: Georg Baselitz: «Orangenesser IX», 1981, Öl und Tempera auf Leinwand, Leihgabe der Pinakothek der Moderne in München (Bild: © Georg Baselitz, 2018). Es soll sie ja tatsächlich geben, diese beflissenen Museumsangestellten, die nicht nur ein schief hängendes Bild gerade rücken, sondern ganze Kunstwerke wegkehren, wenn sie zum Beispiel so aussehen wie Joseph Beuys’ «Fettecke». Und es gibt bestimmt auch solche, die sogar – ja, eine Leinwand drehen würden, damit die Betrachter sich nicht den Kopf verdrehen müssen. Genau, wir haben es hier von Georg Baselitz, dem Kopfübermaler, der seine ganze Originalität darauf verwendete, ins Rampenlicht der Kunstwelt zu gelangen.

Hans-Georg Kern legte sich nicht nur einen Künstlernamen zu: Baselitz lehnt sich an seinen Geburtsort Deutschbaselitz in der sächsischen Oberlausitz an. Er suchte auch in der Provokation ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu generieren. Mit dem Bild eines onanierenden Kindes mit Riesenpenis fiel dieser Versuch allerdings ziemlich plump aus: «Die grosse Nacht im Eimer» (1962/63) war dennoch einen Skandal wert, inklusive Beschlagnahme, wenn auch einen gezielt selbst inszenierten.

Der «Sittenskandal» um den während des Studiums von Ost- nach Westberlin übergesiedelten DDR-Deutschen erregte prompt die Aufmerksamkeit einiger westdeutscher Avantgarde-Galeristen, woraus erste Ausstellungserfolge resultierten. Das reichte aber noch nicht zum Durchbruch. Und so kam Baselitz auf die Idee, seine Bilder fortan verkehrt herum zu malen. Heute hängen diese in fast allen bedeutenden Museen der Welt – und meistens auf dem Kopf.

Ein negativer Mythos

Genügte aber ein solcher Taschenspielertrick tatsächlich, um als Künstler weltberühmt zu werden? Nun, Baselitz hat damit mehr geschaffen als bloss mittelmässig gemalte Bilder, die verkehrt an der Wand hängen. Er hat mit seiner dreisten Umkehrung von Oben und Unten so etwas wie einen negativen Mythos ins Leben gerufen: Wenn ein Mythos nämlich eine wiederholt kolportierte Geschichte ist, die sich hartnäckig hält, obwohl sie kaum der Wahrheit entspricht – eben zum Beispiel jene von den eifrigen Museumswärtern, die dauernd Bilder zurechtrücken –, dann handelt es sich bei seiner Negativform um eine Tatsache, die niemand für möglich hält, weil sie so ausgesprochen abwegig erscheint.

Bilder verkehrt herum: Das ist nun wirklich ein Einfall, der nur einem Verzweifelten kommen kann. Ist Baselitz denn tatsächlich ein so mässiger Maler? Und warum ist er bis heute bei diesem Markenzeichen geblieben? Auf Anraten seiner Galeristen? Nichts jedenfalls ist heute in den Köpfen so sehr mit Baselitz verbunden wie dieses «Upside down, Boy, you turn me» der Malerei.

Dass Baselitz wenig talentiert ist als Maler, hat er auch schon selber von sich gesagt. Baselitz wusste allerdings, was er wollte, und das kann viel wert sein. Auf schlechter Malerei zu bestehen, ja geradezu stur zu beharren – Baselitz ist ein ungemein produktiver Maler –, kann letztlich tatsächlich zu guter Kunst führen. Und wie das genau geht, hat uns Baselitz gezeigt.

Er machte zeitlebens Kunst allein um der Kunst willen: weil er unbedingt Kunst machen wollte, nichts anderes als das, und gleichgültig wie – Schummeln inbegriffen. Ein solches Bekenntnis zum Risiko Kunst ist nicht zu verachten. Es ist immerhin eine Wette aufs Ganze, auf Leben und Tod sozusagen. Und das wird spürbar vor seinen riesigen Leinwänden in der nun sechs Dekaden überblickenden Basler Retrospektive. Die Fondation Beyeler richtet sie zusammen mit dem Kunstmuseum Basel, wo Zeichnungen gezeigt werden, dem deutschen Kunst-Berserker zu seinem 80. Geburtstag aus.

Da spürt man dann vor seinen unansehnlichen Helgen mehr, als dass man sieht: dass nämlich die Idee, die zur Manie wurde, keineswegs eine blosse Manier ist. Das Kopfstehen seiner Bilder hat viel mit Baselitz‘ Art von Malerei zu tun: einer für den Künstler selber ganz und gar unmöglichen Malerei, die auch noch allen zeitgenössischen Strömungen zum Trotz da zu sein hatte – er hätte es ja zumindest auch mit Fotografieren versuchen können, das ginge jedenfalls auch kopfüber.

Baselitz aber malt. Und malt mit seiner Malerei gleichsam gegen das Nichtkönnen des Malens selber an. Er macht es sich dabei auch gar nicht einfach: Eine Flucht in die Abstraktion verbittet er sich gnadenlos. Hartnäckig bleibt er bei seinen Sujets, die nur da zu sein scheinen, um zu beweisen, dass sie in einer Malerei, der es allein ums Malen geht, auch gar keine Hauptrolle spielen. So malte er mit dem 1969 entstandenen Schlüsselwerk «Wald auf dem Kopf», das leider fehlt in Basel, erstmals ein Bild kopfüber. Dies gleichsam, um das Motiv beizubehalten, aber eben nicht länger wichtig zu nehmen. Baselitz nannte dies einmal den dritten Weg zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit.

Als alles im Eimer war, im geteilten Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, malte Baselitz gegen die Unmöglichkeit gegenständlicher Malerei an: trotzig, bedingungslos,brachial. Helden, Nicht-Helden, Antihelden bevölkerten seine frühen Leinwände: «Verschiedene Zeichen», 1965, Öl auf Leinwand. (Bild: Robert Bayer)

Die Malerei selber ist sein Element: eine ungestüme, expressive Malerei, die an die amerikanischen abstrakten Expressionisten erinnert, insbesondere an Willem de Kooning, den er oft zitiert hat und der schliesslich auch nie ganz abstrakt geworden war. De Kooning war es, der Baselitz die Lösung aufzeigte, wie man malen konnte, ohne wie alle anderen malen zu müssen.

Deutsche Stammeskunst

Sein malerisches Schaffen, zu dem auch Zeichnung und Druckgrafik zählen, hat Baselitz allein um das Medium der Plastik erweitert. Und hier in der dritten Dimension pflegt er einen vergleichbar brachial-archaischen Gestus. Roh und unfertig muten seine übermannshohen, aus ganzen Baumstämmen mit Kettensäge gefrästen und mit dem Beil gehauenen Figuren an: primitiv, brutal, wie er von seiner Skulptur selber sagt. Deutsche Stammeskunst könnte man sie bezeichnen, diese in ihrer elementaren Direktheit fetischistisch-animistische Grobschlächtigkeit aus traktiertem und mit Farbe beschmiertem Holz.

Archetypisch muten die immer wiederkehrenden Sujets in seinem Schaffen an: der Mann, der weibliche Akt, der Adler, der Wald, der Hund, der Penis. Wobei es ihm weniger um eine bestimmte Symbolik geht als vielmehr um das Gestalten von Gefühlen und Trieben, von diffusen, noch formlosen Energien. Dieser schöpferische Prozess ist bei ihm aber kein esoterischer Akt gefühlsduseliger Selbstfindung. Baselitz bleibt immer auf dem harten Boden materieller Realität – von Farbe und Leinwand, von Holz und Beil: Als ein einziges körperliches Tun und Werken kann sein ganzes künstlerisches Schaffen bezeichnet werden.

Ende der achtziger Jahre hat Baselitz begonnen, seine Leinwände auf dem Boden auszulegen. Er beschreitet sie beim Malen, arbeitet sich mitten im Werk ab. Die Spuren seiner Schuhe auf dem Bild bleiben sichtbar. Als würde er sich unter seinen Füssen den Boden zum Leben bereiten, sozusagen die Scholle aus Farben bearbeiten und den Acker der Leinwand bestellen im Schweisse seines Angesichts. Tatsächlich hat sich Baselitz seine Lebensgrundlage dieser seiner Malerei abgerungen. Bis zum Schlossherr hat es der schliesslich als Malerfürst geadelte Künstler damit gebracht.

«Malen sie den Büffel an die Wand als den Hunger, den Adler als die Freiheit, die Frau mit dem dicken Hintern als die Liebe.» Baselitz

Seine Körper-Malerei aber hat in Antonin Artaud einen Paten – der französische Schriftsteller und Schauspieler war ein Idol des jungen Baselitz. Wie ein Artaudsches «Theater der Grausamkeit» nehmen sich denn auch seine frühen Bilder aus, etwa die grausige, in der Fondation Beyeler eindrücklich inszenierte Serie mit abgehackten, blutigen Füssen (1960/63) – Visionen eines verstümmelten, entstellten, zerstörten Lebens, wie es Baselitz nach dem Weltkrieg vorfand in den Trümmern, die damals Deutschland bedeuteten.

Die Malerei ist für Baselitz, was für Artaud das Theater war: ein «Schmelztiegel aus Feuer und wirklichem Fleisch, wo sich anatomisch, durch das Stampfen von Knochen, Gliedern und Silben, die Körper erneuern», wie es bei Artaud heisst. Mit der Malerei irgendwie das eigene Leben zurückzuerlangen, dies gerade vor dem geschichtlichen Hintergrund eines geteilten Nachkriegsdeutschlands und damit nicht zuletzt auch vor dem autobiografischen Schicksal als Kriegskind: Darin liegt vielleicht die ganze existenzielle Notwendigkeit seiner malerischen Versuche. Artaud war der Trickster, der dem Malerschamanen Baselitz verriet, wie das zu schaffen sei.

Baselitz – der Steinzeitmensch

Damit erhellt sich auch das Selbstverständnis von Baselitz’ Malerei als Lebensmittel, als existenzielle Notwendigkeit, direkt, ehrlich und wahrhaftig wie die erste Malerei der Höhlenkünstler, die mit blossen Händen und Farben aus Erde zu Werke gingen. «Malen sie den Büffel an die Wand als den Hunger, den Adler als die Freiheit, die Frau mit dem dicken Hintern als die Liebe.» So eröffnete Baselitz 1985 einen Vortrag über das «Rüstzeug des Malers»: Malerei als ein Grundbedürfnis wie Hunger, Freiheit, Liebe, und der Trieb nach diesen «Gütern» als Antrieb, der zu den ersten gemalten Bildern der Menschheit geführt hatte. So sieht das Baselitz.

Baselitz – der Steinzeitmensch, der noch malt, als längst alle Konzeptkunst machen. Baselitz aber auch, der weiss, dass er nicht in der Höhle zur Welt kam, sondern in der Kriegshölle. Baselitz daher als Maler von Trümmern, Verstümmelungen, von zerstückelten Gliedmassen und fragmentierten Bildern, bis es schliesslich zur radikalen Umkehr des Motivs kommt.

Denn radikal umgekehrt haben sich natürlich längst auch die äusseren Bedingungen der Malerei. Ein Entzücken wie einst vor den Bildern an den Wänden der Steinzeithöhlen kann es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr geben. Da fällt kein Mensch mehr in Ekstase mit erigiertem Glied vor dem Mysterium eines im Todeskampf gemalten Bisons hin wie in der rätselhaften Zeichnung der Apsis von Lascaux. Bei Baselitz bringt die «Grosse Nacht im Eimer» mit dem onanierenden Jungen vielmehr eine fundamentale Desillusionierung vor dem Unvermögen der Malerei seiner Zeit zum Ausdruck.

Alles war im Eimer. Da gab es für einen wie Baselitz nur eines: dennoch zu malen, das Malen zum Todeskampf des Büffels zu machen. Ein Todeskampf immerhin, der das schon lange verkündete Ende der Malerei ziemlich gut überlebt hat.

Basel, Fondation Beyeler, Kunstmuseum, bis 29. April. Katalog der Fondation Beyeler: Fr. 62.50; Katalog des Kunstmuseums Basel: Fr. 28.–.

Jan. 2018 | Allgemein, Feuilleton | Kommentieren