Anja Reschke, die Leiterin der Abteilung Innenpolitik beim NDR und Moderatorin des investigativen TV-Magazins „Panorama“, verortet den Kern des Problems eher im Politischen. „Die Glaubwürdigkeitskrise der Medien ist meiner Meinung nach eigentlich eine Demokratiekrise“, so Reschke. Nach ihrer Beobachtung wird der Vorwurf „Wir glauben euch nicht mehr“ vor allem dann geäußert, wenn es um politische Berichterstattung geht, also etwa um Themen wie Russland, Flüchtlinge oder Feminismus. „Der Gedanke, dass Medien irgendwie gesteuert werden, hat sich enorm ausgebreitet.“ In gewisser Weise sei da auch was dran: „Wir folgen in der Tat einer Linie – der des Grundgesetzes. Dazu gehören Kriterien wie Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Toleranz.“
Muss man sich also rechtfertigen, wenn man als Redaktion für Demokratie einsteht? „Ja, das muss man“, sagt Reschke. In den letzten zwei oder drei Jahren sei ihr klargeworden, dass Demokratie etwas ist, was man in der Gesellschaft erlernen und verteidigen muss. „Das war für mich auch ein persönlicher Lernprozess: zu verstehen, dass die demokratischen Grundwerte, die etwa in der Aufklärung und der französischen Revolution erkämpft worden sind, nicht automatisch in allen Köpfen drin sind.“
Was Georg Mascolo, Barbara Hans, Anke Schäferkordt und Thomas Hinrichs sagen
Auch Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“, sieht Handlungsbedarf. Bei einer Debatte mit dem Titel „Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit“ bemängelte er, man habe viel zu lange über die ökonomische Bedrohung des Berufsstands diskutiert. „Dabei haben wir übersehen, dass eine andere Bedrohung herangewachsen ist, die nicht weniger dramatisch ist. Und das ist die Krise der Glaubwürdigkeit.“
Barbara Hans, Chefredakteurin von „Spiegel Online“, sieht Defizite in der Unternehmenskultur vieler Medienhäuser. „Unsere Branche hat sehr lange darauf gebaut, dass der, der am lautesten redet, das meiste zu sagen hat. Ich glaube, das stimmt nicht.“ Ihr Credo: „Wir brauchen einen Diskurs darüber, wie man mit Menschen umgeht – mit Protagonisten in Geschichten wie auch mit den eigenen Mitarbeitern.“
Nicht nur Journalisten, auch Spitzenmanager großer Medienunternehmen legen Demut an den Tag. „Wenn wir nah am Menschen sein wollen, dann können wir nur durch ständiges Überprüfen und Hinterfragen auch unserer eigenen Arbeit das Vertrauen unserer Zuschauer und Nutzer erhalten“, sagte RTL-Chefin Anke Schäferkordt in München. Drastischer formulierte es BR-Informationsdirektor Thomas Hinrichs. Die Medien, so Hinrichs, müssten wegkommen von ihrer arroganten Haltung den Nutzern gegenüber à la „Ihr müsst fressen, was wir Euch vorsetzen“.
Die Krise lässt sich wissenschaftlich nicht belegen
So wichtig und richtig es ist, das eigene Handwerk, die innere Haltung und das Gespür fürs Publikum zu hinterfragen, so erstaunlich ist die branchenweite Einigkeit über den Vertrauensverlust. Denn die ausgemachte Krise lässt sich wissenschaftlich gar nicht belegen. Im Gegenteil: Jüngst ergab eine Umfrage der Wirtschaftsprüfer von PwC, dass klassische Medien nach wie vor die zentrale Nachrichtenquelle der Menschen bilden. Und Forscher der Universität Würzburg, die jährlich auf Grundlage von Bevölkerungsumfragen das Vertrauen in die Medien untersuchen, kommen in diesem Jahr zu dem Ergebnis, dass das Medienvertrauen „stark angestiegen“ sei – auf den höchsten Stand seit 15 Jahren.
Bernd Blöbaum, Professor an der Universität Münster, ist Sprecher eines Graduiertenkollegs, in dem etwa 20 Wissenschaftler seit fünf Jahren umfassend zum Thema Vertrauen und Kommunikation forschen. Im internationalen Vergleich stehe Deutschland „nicht schlecht da“, betont Blöbaum. Wohl aber habe die Berichterstattung über Medienkritik hierzulande stark zugenommen – und damit die „gefühlte Krise“.
Lassen sich die Medien womöglich zu stark verunsichern? Sicherlich gehen Hass und Häme, die tagtäglich über digitale Rückkanäle in die Redaktionen hineinfluten, nicht spurlos am Selbstbewusstsein der Journalisten vorüber – auch wenn es nur eine kleine Minderheit ist, die herumpöbelt. Hinzu kommen schwer zu ertragende, öffentlich angezettelte Anti-Medien-Kampagnen wie Trumps „media war“ oder die deutschen „Lügenpresse“-Rufe, die das Klima deutlich rauer haben werden lassen. Gefühlt oder echt – die Krise ist in den Redaktionen angekommen. Falls sie zu mehr Vielfalt, höherer Qualität und einem intensiveren Draht zum Publikum beitragen kann, wäre das zumindest nicht das schlechteste.