Der Science Buster Florian Freistetter über den genialen Egomanen Isaac Newton – eine Biographie, wie es sie bislang nicht gegeben hat:
Im 17. Jahrhundert war es höchste Zeit, dass ein Genie auftauchte und Schneisen ins Dickicht des Unwissens schlug. Isaac Newton war dieses Genie. Und ein Arschloch. Science Buster Florian Freistetter zeigt, wie intrigant und hinterhältig Newton wirklich war und dass sein Hass auf Robert Hooke und Gottfried Wilhelm Leibniz keine Grenzen kannte. Gleichzeitig beweist er, dass Newton die Physik niemals revolutioniert hätte, wäre er nicht ein solcher Kotzbrocken gewesen.

Wenn Genialität auf Streitsucht trifft – und dabei ein kosmisches Arschloch herauskommt, davon erzählt Freistetters Buch mit – schonungslosem – Humor.

Erst einmal diskutiert er Autor die Frage, ob Isaac Newton im heutigen Wissenschaftsbetrieb überhaupt durchgekommen wäre – um sich dann der Frage zuzuwenden, ob Isaac Newton das wirklich war: ein Arschloch? Florian Freistetter vertritt die Ansicht, dass ja und charakterisiert in Anekdoten sowohl die schwierigen Seiten des berühmten Wissenschaftlers und fragt sich und seine Leser, ob ein Forscher, der sich ähnlich verhielte, damit im heutigen Wissenschaftsbetrieb noch durchkäme.

Immerhin entdeckte Isaac Newton im ausgehenden 17. Jahrhundert im Alleingang die Grundgesetze der Bewegung, fand ein universal gültiges Gravitationsgesetz, begriff das Farbspektrum des Lichts, baute eines der ersten Spiegelteleskope und entwickelte die Integral- und Differentialrechnung. Enorme Leistungen, die den Beginn moderner Naturwissenschaft anzeigen. Der Blogger und Autor Florian Freistetter würdigt zwar diese Leistungen und stellt aber gleichzeitig die unbeweisbare Vermutung in den Raum, dass Newton nur so erfolgreich war, weil er einen so „überaus schwierigen Charakter“ hatte:

Genialer Wissenschaftler. Aber …

„Was für ein genialer Wissenschaftler. Und was für ein Arschloch“ (S. 13) ist der Grundtenor des Buches, das Isaac Newton (1643 – 1727) als größten Universalgelehrten seiner Zeit, vielleicht sogar aller Zeiten, preist, aber eben auch als sehr unangenehmen Zeitgenossen – nachtragend, kleingeistig, rachsüchtig, egoistisch, mimosenhaft, streitbar, esoterisch, intrigant – charakterisiert. Mit diversen biographischen Hinweisen wird Newtons Entwicklung als „Nerd“ in einer Zeit, da es Naturwissenschaft im heutigen Sinn noch nicht gab, beschrieben und es wird dabei auch von seinen Selbstversuchen (z.B. Nadel ins eigene Auge) und überragenden Fähigkeiten, ungewöhnliche Fragen zu stellen und in der Beantwortung völlig neue Welten zu entdecken, berichtet.

„Mit seinem monumentalen Werk „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ (3 Bücher) hat Newton die Grundlagen der modernen Naturwissenschaft geschaffen“; dass er dabei Mitarbeiter, Helfer, Konkurrenten oder Gegner wie z.B. John Flamsteed, Robert Hook, Gottfried Wilhelm Leibniz skrupellos ausnützte, oder bis aufs Messer bekämpfte, gehört zu den problematischen Eigenschaften seines Genies.

Mit seinen überaus innovativen Gedanken war Newton auch in anderen – „abseitigeren“- Bereichen tätig; so widmete er ab seinem 50. Lebensjahr einen Großteil seiner Zeit unter anderem auch der Alten Geschichte, Mystik, Alchemie sowie der Suche nach dem „Stein der Weisen“ und der Theologie (was  seiner kritischen Religionsbetrachtungen wegen durchaus nicht ungefährlich war). “ Die Arbeit von Isaac Newton begründete das in den nächsten Jahrhunderten dominierende mechanistische Weltbild, Newton selbst glaubte aber an eine ganz andere Welt“. Der bedeutende Newton-Kenner John Maynard Keynes fasste es mit den Worten „Newton war nicht der Erste des Zeitalters der Vernunft. Er war der letzte Magier“ zusammen.

Newton: Kompromisslos gegen sich selbst

In sieben Kapiteln beleuchtet Freistetter verschiedene Eigenschaften Newtons: seine Kompromisslosigkeit, seinen Egoismus, seine Kritikunfähigkeit, seine Streitlust, seine Geheimniskrämerei, seinen Hang zur Esoterik und sein Intrigantentum. Je nach eigener moralischer Eichung zeigen höchstens vier Kapitel menschlich zweifelhafte Charakterzüge Newtons. Die anderen zeigen ihn bestenfalls als seltsam oder eigenbrötlerisch, und erwecken den Eindruck, dass Titel und Inhalt des Buches nicht recht zueinander passen wollen.

Drei nennenswerte Streitigkeiten greift Freistetter aus Newtons Leben auf, in denen er sich gegenüber anderen rücksichtslos, egoistisch, aufbrausend und intrigant verhalten hat. Seine Gegner waren John Flamsteed, Robert Hooke und Gottfried Wilhelm Leibniz. Von Flamsteed, Hofastronom in Greenwich, forderte er die Herausgabe seiner Monddaten, um sie für seine eigene Theorie zu verwenden. Mit Robert Hooke, wie Newton Mitglied der Royal Society, legte er sich unter anderem an, weil der es gewagt hatte, Newtons Theorie über Licht und Farben zu kritisieren.

Und der Streit zwischen Newton und Leibniz um die Erfindung der Differentialrechnung ist schon beinah legendär. Daneben beschreibt Freistetter ihn als überzeugten Alchemisten, der kompromisslos gegen sich selbst war und keine Lust auf PR in eigener Sache hatte.

Ein schwieriger Charakter? Ohne Zweifel. Durch und durch ein Arschloch? Naja, mal eher nicht.

Alsdann: Der Buchtitel – mußte der sein?

Freistetters Buch ist zwar keine Biographie, es bringt auch keine neuen Erkenntnisse aus Newtons Leben. Neu hingegen ist unter anderem der Blickwinkel, mit dem Freistetter Newtons Verhalten auf seine Tauglichkeit für den heutigen Wissenschaftsbetrieb abklopft. Die Unterschiede zu den gegenwärtigen Gepflogenheiten arbeitet er gekonnt heraus.

Sein Stil ist gewohnt locker und verständlich. Unterm Strich bleibt es ein sprachlich gut lesbares und kenntnisreiches Buch mit einem unnötig und effekthascherisch zugespitzten Titel.

Florian Freistetter
Newton. Wie ein Arschloch das Universum neu erfand

Carl Hanser Verlag, München 2017
207 Seiten, 16 Euro

Okt. 2017 | Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton | Kommentieren