madame_stimmen_rot_dagegenUnwirklich fühlt sich diese Woche an – das ging vielen so: Homosexuellen, den Abgeordneten des Bundestags, Journalisten, vielen Bürgern. Diesem Urnengang (Bild: Jeder konnte und sollte sehen – Frau Kanzler stimmt mit ner roten Karte DAGEGEN!) ging eine politische Woche voraus, die ihresgleichen in der Geschichte sucht. Den einen ging das alles viel zu schnell, die anderen stören sich am Prozedere, das ihnen unwürdig vorkam. Die Schwulen und Lesben hingegen – das zeigen unzählige Reaktionen – haben den Ärger, wie das Gesetz am Ende in den Bundestag kam und unter welchen Bedingungen es verabschiedet wurde, schnell verdrängt. Debakel – welches Debakel? Wessen Debakel? Was ist ein Debakel? Auch wir meinen in aller Bescheidenheit: Das Egebnis zählt!

Doch im politischen Berlin wird diese Woche tiefe Spuren hinterlassen. Weil Sicherheiten verloren gegangen sind, weil Loyalitäten infrage gestellt wurden, weil Versprechen gebrochen worden sind. Sollte es in der kommenden Legislaturperiode wieder notwendig sein, dass Union und SPD eine Koalition eingehen: Die Wunden, die die Woche der Ehe für alle geschlagen hat, werden wieder aufbrechen.

Ein Rückblick

Noch am Beginn dieser Woche mussten sich jene, die prophezeit haben, die Ehe für alle werde sicher in der nächsten Legislaturperiode kommen, weil sie ja Grüne, FDP und SPD zur Koalitionsbedingung erhoben hatten, nachsagen lassen, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Der Widerstand der Union, der Widerstand der Kanzlerin – er schien nicht zu brechen.

Dann aber fragte ein 28 Jahre alter Berliner namens Ulli Köppe am Montagabend Angela Merkel in einer öffentlichen Talkrunde, wann er denn seinen Freund, der neben ihm saß, Ehemann nennen dürfe. Merkel stotterte und sprach plötzlich von einer Gewissensentscheidung eines jeden einzelnen Abgeordneten. In diesem Moment hat sich ihre schwarz-rote Regierung aufgelöst. Sie ist explodiert. Hätte diese Talkrunde vor einem halben Jahr stattgefunden, die Regierung wäre in der folgenden Woche zerbrochen. Wir hätten längst Neuwahlen gehabt.

Die SPD nämlich nahm Merkel wörtlich und verlangte eine sofortige Abstimmung.

Das war nichts anderes als ein Ausstieg aus der Koalition. Der manifestierte sich in der Folge nicht nur an dieser Frage, sondern auch in Ausschusssitzungen nach dem Montag. So verhinderten die Sozialdemokraten etwa auch die Anschaffung von Kampfdrohnen. Aus Sicht einiger Unionsabgeordneter aus taktischen Gründen. Auch in anderen Runden knirschte es gewaltig. „Die Regierung ist am Ende“, summierte ein Staatssekretär der CDU am Donnerstag.

Das Zerwürfnis offenbarte sich an dem Tag auch bereits öffentlich im Bundestag.

Kein SPD-Politiker wollte noch bei den Redebeiträgen der Unionskollegen klatschen. Und umgekehrt. Dabei ging es gar nicht um die Ehe für alle, sondern um den anstehenden G-20-Gipfel in Hamburg. Als SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann die Debatte dann auch noch nutzte, um wie ein Oppositionsführer aufzutreten und die Ehe für alle zu feiern, empörte sich die Union lautstark.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) erwähnte danach zwei Mal seinen verstorbenen Kollegen Peter Struck (SPD). Sicher kein Zufall. Struck und Kauder, das war in der ersten schwarz-roten Koalition unter Merkel ein eingeschworenes Gespann. Seine implizite Botschaft an die heutige SPD: Mit Struck wäre es nie zu diesem Freitag, nicht zu diesem Showdown gekommen.

Die eigentliche Debatte über die Ehe an diesem Freitag hat die Fronten weiter verhärtet.

Es erwies sich offensichtlich als Fehler, diese wichtige gesellschaftspolitische Frage mal eben in 38 Minuten abzuhandeln. Mehr als drei Minuten blieben fast keinem Redner. Da war es kaum möglich, einen komplexeren, tieferen Gedanken zu formulieren. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schien zu ahnen, dass das entgleisen kann. So mahnte er anfangs: „Es wäre schön, wenn in der folgenden Aussprache der gegenseitige Respekt wechselseitig gilt.“

Wowereit_ich_bin_schwulNicht alle nahmen sich das zu Herzen (Bild: Klaus Wowereit – „Ich bin schwul. Und das ist gut so“ – mit Kandidat Martin Schulz unterm Regenbogen). Der Respekt für abweichende Meinungen, den etwa Kauder, aber auch Oppermann einforderte, er war Johannes Kahrs (SPD) egal. Kahrs schrie in einem wütenden Redebeitrag Merkel an: „Danke, Frau Merkel, für nichts.“ Das ganze „Geschwurbel“ stehe ihm „bis hier“. Auch vielen in der SPD ging das zu weit. Der Applaus war karg, die erregten Einwürfe vonseiten der Union waren dagegen umso lauter. „Johannes Kahrs hat uns noch mal zehn, 15 Stimmen gekostet“, sagte Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) nach der Debatte. Spahn gehört zu den 75 Abgeordneten der Union, die für die Ehe für alle votierten. Ein Viertel der Fraktion.

Prominente Befürworter aus der Union

Das waren Kanzleramtsminister Peter Altmaier, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Maria Böhmer, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Ex-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und Generalsekretär Peter Tauber (alle CDU); von den Christsozialen stimmten etwa Ex-Wirtschafts-Staatssekretärin Dagmar Wöhrl und der Chef der CSU-Mittelständler, Hans Michelbach, mit Ja.

Die Kanzlerin hingegen stimmte – wie gesehen – mit Nein

Für Angela Merkel sei die Ehe, wie sie im Grundgesetz stehe, die Verbindung von Mann und Frau, verlautbarte sie. Für Merkel wird die ganze Sache damit sicher nicht vorbei sein. Gerade in ihrer Partei nicht. In der Union bildet sich bereits eine Gruppe um den rechtspolitischen Sprecher der CSU-Landesgruppe, Hans-Peter Uhl, die den Gang zum Bundesverfassungsgericht erwägt. Diese Abgeordneten halten das Eherecht für Homosexuelle für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Um allerdings eine sogenannte abstrakte Normenkontrolle durch Karlsruhe – die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes – durchsetzen zu können, muss sich dem Antrag ein Viertel der 630 Bundestagsabgeordneten anschließen. Das ist eine hohe Hürde.

Wut herrscht bei vielen Gegnern der Ehe für alle auch, dass Merkel ohne Absprache mit der Fraktion die Position geändert hat. Viele halten der Kanzlerin vor, wieder einmal ein konservatives Kernelement im Handstreich preisgegeben zu haben. Freund wie Feind. Merkel dürfte dies kaum beabsichtigt haben. Aber die Dynamik dieser Woche hat dafür gesorgt, dass diese Interpretation nun in der Welt ist. Sie wird weiter schwelen – in der Partei und außerhalb.

gruene_an_der_torteDie Beschlüsse der CDU seien nicht das Papier wert, auf dem sie stünden, sagte in der Debatte die Ex-CDU-Abgeordnete Erika Steinbach – derweil das die Grünen nicht anficht; hier im Bild schneiden sie telegen mal eben eine Torte auf den Sieg an. Die Kanzlerin habe sich dann auch noch „hinreißen lassen, die Abstimmung freizugeben“, schimpfte sie. Lammert nahm dies zum Anlass eines Rüffels. „Für die Frage, was denn eine Gewissensentscheidung sei, gibt es eine einzige Instanz. Das ist der einzelne Abgeordnete“, sagte der Parlamentspräsident angesäuert.

Die Klarstellung war gewiss auch an viele Bürger gerichtet, die sich ihrerseits nach dieser Woche wundern, was ein paar verdruckste Sätze der Kanzlerin für eine enorme Wirkung entfalten können. Der, der mit seiner Frage an die Kanzlerin am Montag alles in Bewegung gesetzt hat, war von Merkels Nein enttäuscht. „Ach Mensch, hätte sie nicht einfach ein wichtiges Zeichen setzen können?“, sagte Ulli Köppe nach der Abstimmung, die mit 393 zu 226 Stimmen von den Befürwortern gewonnen wurde. „Aber gut, sie ist die Pfarrerstochter und Vorsitzende einer Partei mit dem großen C im Namen. Es ist ihre Meinung, ich respektiere das.“

Doch in der Partei mit dem C gibt es auch heimliche Freude über die eigene Niederlage:

Vor dieser Woche war das Gespenst einer rot-rot-grünen Regierung verschwunden. Nach den Wahlsiegen der CDU im Saarland, in SchleswigHolstein und Nordrhein-Westfalen schien Rot-Rot-Grün kein Thema mehr. Auch Umfragen geben das Bündnis aktuell nicht her. Bisher fehlte der Union also das überzeugende Beispiel, um mit der Warnung vor einem Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei die eigenen Leute im Wahlkampf zu mobilisieren. „Diese Woche hat Rot-Rot-Grün wiederbelebt“, sagt ein CDU-Politiker. „Da muss man fast schon dankbar sein.“

Neue eingetragene Lebenspartnerschaften gibt es ab sofort in Deutschland übrigens nicht mehr. Es gibt nur noch die Ehe. Für zwei Männer, zwei Frauen oder einen Mann und eine Frau. Basta!

Jul 2017 | Allgemein, Gesundheit, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Politik | 1 Kommentar