coverBefolgte man wörtlich in 387 Tagen alle rund 800 Gebote der Bibel – was würde da mit uns geschehen? Der amerikanische Journalist A. J. Jacobs hat den spannenden Selbstversuch dokumentiert.
Die pinkfarbene Banderole des Verlages macht deutlich: Dieses dicke schwarze Buch will Satire sein, ist es – und zugleich eine kluge Religionskritik und ein intellektuelles Lesevergnügen.
Verschiedene Fotos des Autors verändern ihn – optisch etwa von einem „normal“ aussehenden Menschen zu einer rauschebärtigen Prophetengestalt. A. J. Jacobs ist Ende 30, verheiratet, hat ein Kind, lebt in New York, ist Redakteur beim „Esquire“ und hat nach seinem Bestseller-Erfolg „Die Enzyklopädia Britannica und ich“ nun einen weitaus spannenderen Selbstversuch dokumentiert: In 387 Tagen alle rund 800 Gebote der Bibel wortwörtlich zu befolgen.

Läuft das auf billiges „Fundi-Bashing“ hinaus? Tut es nicht, wenngleich die Absurdität des Glaubens von ultra-orthodoxen Juden und konservativen Evangelikalen offengelegt und lächerlich gemacht wird, indem man wie der Autor ihn wirklich mal praktizierte, also Ehebrecher steinigte, Schwule verdammte, keine Sitzmöbel benutzt, auf denen eine menstruierende Frau gesessen hat, keine Textilien aus Mischgewebe trägt und hunderterlei Speisevorschriften einhält.

A. J. Jacobsbeweist sichn hier als ein intellektueller Agnostiker und säkularisierter Jude, der unvoreingenommen herausfinden will, warum diese Sammlung von 66 Büchern und Briefen aus Judentum und Christentum seit zwei Jahrtausenden d a s religiöse und moralische Grunddokument der westlichen Welt ist.

Mit hohem Respekt und streng wissenschaftlicher Akribie geht er dabei zu Werke: Er liest die Bibel in zahllosen Übersetzungen, studiert die einschlägige Sekundärliteratur, übt sich in Methoden der Exegese und Hermeneutik, lässt sich von renommierten Theologen beraten, reist zu den Amish People in Kentucky, zu ultraorthodoxen Israelis nach Jerusalem, zu Zeugen Jehovas, zu evangelikalen Kreationisten und chassidischen Derwischen, er besucht konservative Fernsehprediger in ihren Megakirchen, charismatische Wundergläubige und liberale Sozialreformer in ihren Hauskreisen.

So etwas geriete manch deutschem Journalisten zu einem zynischen Zoobesuch im Oberlehrerton, inklusive Grusel- und Lachfaktor. A. J. Jacobs dagegen beschreibt solche Erkundungen in fremde Geistesbiotope als eine grundehrliche, anrührende Reise ins eigene Ich:

„Mein Gott ist unpersönlich. Es ist der Gott Spinozas. Oder der Gott Paul Tillichs, des protestantischen Theologen, der ihn als Grund-des-Seins verstand. Eine unbestimmte, alles durchdringende Macht. Mein Gott ist nicht jener Gott der Bibel, der interaktiv belohnt und straft, liebt und hasst, mit den Menschen streitet und feilscht. Ich weiß nicht mal, ob er schlechte Laune kennt. Ob ich dem waren Gott der Bibel in diesem Jahr näherkomme?

Die Theorie der kognitiven Dissonanz lehrt, dass sich die Überzeugungen eines Menschen früher oder später seinem Verhalten anpassen. Wenn ich mich monatelang wie ein gläubiger, gottliebender Mensch verhalte, werde ich vielleicht irgendwann ein gläubiger, gottliebender Mensch. Darum will ich Gott jetzt bitten. Aber ich habe mein Lebtag noch nie gebetet. Verstoße ich gegen das dritte Gebot, den Namen des Herrn nicht zu missbrauchen, wenn ich die heiligen Worte noch nicht glaube, die ich jetzt spreche?“

Jacobs erzählt mit der entwaffnenden Offenheit eines New Yorkers von Hormonbehandlungen, künstlicher Befruchtung und der Zwillings-Schwangerschaft seiner Frau Julie. Von Verwandschaftskonflikten, Ehekrächen und Erziehungsproblemen infolge seines Bibel-Experiments. Vom Staunen über die Weisheit und menschenfreundliche Lebensklugheit vieler Gebote. Von beeindruckenden Menschen, deren Überzeugung er nicht teilt. Und von Überzeugungen, die ihn beeindruckt haben. Die der liberalen, sozialpolitisch engagierte Evangelikalen um Tony Campolo und Jim Wallis zum Beispiel.

„Die Bibel hat meine Ehrfurcht vor dem Leben noch gesteigert. Schon auf der Hälfte meiner Reise wurde mir klar, wie sehr sich meine Geisteshaltung verändert hatte. Ich glaube nicht unbedingt an einen Gott, doch ich glaube, dass manche Dinge heilig sind. Das Leben, der Sabbat, das Gebet. Es gibt etwas Transzendentes, das über den schnöden Alltag hinausreicht. Wenn ich in meinem Bibeljahr eins gelernt habe, dann dies: Mich in meinen Entscheidungen auf das Wesentliche zu beschränken.“

Mitten hinein in die hierzulande oft verbissen und erdenschwer geführte Debatte zwischen Atheisten, Christen und Juden kommt „Die Bibel und ich“ von A. J. Jacobs als eine amüsante Gesellschaftssatire, eine kluge Religionskritik und ein intellektuelles Lesevergnügen gerade rechtzeitig.

Und, zu guter Letzt, lesen wir doch mal in der Bergpredigt, Matthäus 7: «Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.» Das ist doch allemall eine gute Voraussetzung für Jacobs‘ Bibelprojekt.

Blick ins Buch

A. J. Jacobs: Die Bibel und ich. Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen
Aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr
Ullstein Verlag

431 Seiten, 19, 90 Euro

Jul 2017 | Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal | Kommentieren