finanzkriseFinanzkrise vor 10 Jahren. Mitverantwortlich dafür sind Topbanker wie Josef Ackermann. Doch dass es so weit kommen konnte, liegt auch am Versagen der Eliten, etwa der Zentrale der Deutschen Bank? Das ist einer der aggressivsten Spieler im globalen Finanzmonopoly!
Es war geradezu hellsichtig: Am 26. August 2004 stand im britischen „Economist“ ein Artikel mit der Überschrift „A giant hedge fund“. Darin beschrieb der damalige Frankfurt-Korrespondent David Shirreff die Deutsche Bank als einen kolossalen Spekulanten, der sich in einer skrupellosen und mitunter sogar illegalen Jagd nach Rendite immer weiter von seinem Heimatmarkt und seinen Kunden entfernt. Und das alles zum Nutzen einer ebenso kleinen wie hochbezahlten Truppe von Investmentbankern.

Was Shirreff damals über die Deutsche Bank schrieb, ist heute, fast 13 Jahre später, medialer Mainstream. Doch im Sommer 2004, drei Jahre bevor das Kartenhaus der globalen Finanzwelt in sich zusammenfiel, war es ein Einzelfall, ein rarer Geistesblitz in einer ansonsten im Nebel stochernden Medienwelt.Exakt zehn Jahre ist es her, dass die schlimmste Finanzkrise des Jahrhunderts in der deutschen Realität ankam: mit dem Zusammenbruch einer vermeintlich biederen Mittelstandsbank aus Düsseldorf, der IKB, Ende Juli 2007. Topbanker wie der damalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sind unbestreitbar mitverantwortlich für den damaligen Kollaps des Finanzsystems. Doch wer mit unverstelltem Blick zurückschaut, sieht, dass die vergiftete Ära Ackermann nicht ausschließlich durch rücksichtslose, arrogante, ja zynische Banker entstanden ist. Sondern eben auch durch die Naivität und das kollektive Versagen großer Teile der Eliten – Politiker, Aufseher, Investoren. Und, ja, auch uns Journalisten.
Im Nachhinein weiß man immer alles besser. Aber gerade deshalb lohnt der Blick zurück – um Lehren für die Zukunft zu ziehen. Auch wenn die Wirtschaftshistorie wenig Anlass gibt, optimistisch zu sein: „Es liegt in der Natur des Kapitalismus, dass es periodisch zu Ausbrüchen des Wahnsinns kommt“, wusste schon der Ökonom John Kenneth Galbraith.

Kollektiver Wahnsinn
Eine Aufwallung kollektiven Wahnsinns war die Zeit vor der Finanzkrise mit Sicherheit. Im Herdentrieb setzten sich Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien für eine Deregulierung der Wirtschafts-und Finanzwelt ein. Mahner waren in der Minderheit. Wir wollten nicht den Konsens hinterfragen, denn es bedeutet immer auch, am Rand zu stehen und ausgeschlossen zu sein. Es liegt nun einmal in der menschlichen Natur, Teil der gesellschaftlichen Mitte sein zu wollen.

Wir hätten dennoch skeptischer sein können, auch weil wir bereits gebrannte Kinder waren. Im Jahr 2002, als Ackermann beim deutschen Branchenprimus sein Amt als Vorstandschef antrat, war die Erinnerung noch frisch an die spektakulär geplatzte Internetblase, in der sich kurzfristiges Denken mit Gier und Arroganz paarte.

In diesem Umfeld fingen Ackermann und andere Topbanker an, die nächste Hybris aufzubauen – die des globalen Finanzkapitalismus. Aus konservativen Geldverleihern wurden hochverschuldete Gebilde, in denen relativ kleine Händlertruppen mit geliehenem Geld riskante Kurzfristwetten eingingen und sich dabei vor allem selbst bereicherten.

Die Deutsche Bank war einer der aggressivsten Spieler in diesem globalen Finanzmonopoly. Angeführt vom Chef des Handelsgeschäfts, Anshu Jain, und goutiert von Ackermann, kaperte eine Horde von Händlern die Bank, drehte mit geliehenem Geld das große Rad an den Finanzmärkten – und zahlte sich aus den Gewinnen Milliardensummen an Boni. Allein Jain soll im Verlauf der Jahre Hunderte Millionen Euro verdient haben. Dass sich die Bank dem glamourösen Investmentbanking in New York und London zuwandte und sich von der muffigen Provinz des Heimatmarkts abkehrte, fanden wir in den Wirtschaftsmedien einfach toll. Ebenso wie Ackermann wollten wir modern, international sein.

Wir glaubten dem intellektuellen Pomp, mit dem die Topbanker die Finanzwelt nach außen hin darstellten: Die profane Tatsache, dass waghalsige Schrottkredite zu immer komplexeren und intransparenteren Wertpapieren gebündelt wurden, wurde kurzerhand in das gebetsmühlenartig wiederholte Dogma umgemünzt, dass globale Risiken besser verteilt würden und das Finanzsystem dadurch stabiler und dynamischer sei.

Wenn wir kritisch sein wollten, kratzten wir leider oft nur an der Oberfläche – oder waren schlichtweg provinziell. Dass der Schweizer Ackermann als erster Nicht-Deutscher an der Spitze stand und Angelsachsen eine immer wichtigere Rolle in der Bank spielten, wurde mit oft negativem Unterton thematisiert. Dabei war die Internationalisierung der Bank und ihres Managements nicht das Problem. Im Gegenteil, die weltweite Expansion spiegelte schlicht die Globalisierung der deutschen Industrie wider.

Auch das Investmentbanking wurde über einen Kamm geschoren. Entweder es erschien als die Inkarnation des Bösen – oder wir haben es als allein selig machendes Zukunftsgeschäft der Bank romantisiert. Die Mühe, hinter die Fassaden zu schauen, haben sich die wenigsten gemacht.

Dabei ist eine Investmentbank weder anrüchig noch nutzlos. Aber Ackermann und Jain haben sie zu einem überdimensionierten Handelshaus aufgepumpt, das oft auf eigene Rechnung und mitunter gegen eigene Kunden spekulierte.

In den Medien wurde Ackermann wahlweise im Boulevard wegen seines Renditeziels von 25 Prozent bei gleichzeitigem Stellenabbau beschimpft – oder in der Wirtschaftspresse genau dafür gelobt. Dabei war nicht das Ziel an sich das Hauptproblem – sondern der Weg, wie die Bank dahin kommen wollte.

Im Jahr 2006, ein Jahr bevor die Kernschmelze im Weltfinanzsystem einsetzte, wurden Ackermann und seine Truppen als strahlende Helden gefeiert: eine Eigenkapitalrendite von 28 Prozent und ein Nettoergebnis von sechs Milliarden Euro. Doch das war nichts anderes als ein Wechsel auf die Zukunft. Kaum jemand hat hinterfragt, mit welchen Risiken, Tricks und welch dünner Kapitaldecke die Bank ihren Gewinn nach oben prügelte. Zeitweise betrug das Verhältnis von Fremd-zu Eigenmitteln im Handel schwindelerregende 1:40 – ein enorm riskanter Schuldenhebel.

Dabei wussten einige Banker genau, was sie anrichteten. Schon Mitte 2007, kurz nach dem Sturz der IKB, fiel in Vorstandsetagen hinter vorgehaltener Hand das Wort „Depression“ und die bange Frage: „Was haben wir da angerichtet?“

Verheerende Spätfolgen
Aus dem Finanz-Tsunami gelernt hatten unmittelbar danach weder die Medien – noch Topbanker wie Ackermann. Im Gegenteil. Für den weiter hochrespektierten Starbanker hieß es schon 2009 wieder volle Kraft voraus – begleitet von medialen Jubelarien. „Er hat in den schwärzesten Stunden für die Investmentbanken vorhergesehen, dass sich im Kapitalmarktgeschäft schon bald wieder Geld verdienen lässt“, frohlockte Ende 2009 die Wochenzeitung „Die Zeit“.

Heute ist es Common Sense, welch toxisches Erbe Ackermann & Co. hinterlassen haben. Die Spätfolgen sind verheerend, wie ein langfristiger Vergleich mit vier europäischen Rivalen – UBS, Barclays, BNP Paribas und Santander – und zwei US-Wettbewerben – Goldman Sachs und JP Morgan – zeigt. Deutschlands Branchenprimus ist der einzige in dieser Gruppe, der Ende 2016 – vier Jahre nach Ackermanns Ausscheiden – noch eine niedrigere Marktkapitalisierung hatte als 2002, dem Jahr seines Amtsantritts. Die Frankfurter sind neben Barclays die einzige Bank, die für 2016 ein schlechteres Nettoergebnis auswies als 14 Jahre zuvor. Wobei der britische Rivale 2,5 Milliarden Euro Gewinn erzielt hat – und die Deutsche Bank einen Milliardenverlust.

Und während das Geldhaus 2002 an der Börse kaum weniger auf die Waage brachte als Siemens und Daimler, ist es heute nur einen Bruchteil der Industriegiganten wert. Auf der Rangliste der wertvollsten Banken weltweit ist das Institut von Platz 22 auf Rang 70 abgerutscht. So hat die vom Zeitgeist umjubelte Joe-Show eine Kultur der Verantwortungslosigkeit, eine orientierungslose und wirtschaftlich am Boden liegende Bank hinterlassen – an deren Sanierung sich das derzeitige Topmanagement noch für Jahre abquälen wird.

Wir haben das alles nicht sehen wollen – weder bei der Deutschen Bank noch anderswo. Das lag zwar auch an mangelnder Transparenz. Aber dass Banken hohe Risiken eingehen, wenn sie einen Hebel von 40 nutzen, Kredite in immer undurchschaubarere Produkte verpacken oder langfristige Investments sehr kurzfristig refinanzieren, hätte bei näherem Hinsehen auffallen können.

Nach der Krise haben Heerscharen von Politikern, Notenbankern und Aufsehern zu Recht viel Zeit und Mühe damit verbracht, das Finanzsystem durch strengere Regeln sicherer zu machen. Doch das schützt uns lediglich davor, dass die nächste Krise wieder aus genau denselben Ursachen ausbricht wie die letzte.

Der beste Schutz vor dem nächsten Ausbruch kollektiven Wahnsinns ist es, den gesunden Menschenverstand zu nutzen. Sprich einen Schritt zurückzutreten und sich auf die Grundregeln des Wirtschaftens zu besinnen. Dazu gehören simple Einsichten wie die, dass man Produkte, die man nicht versteht, auch nicht kaufen sollte. Dass hohe Renditen immer mit hohen Risiken einhergehen. Dass Gier keine Tugend ist. Und dass man sich stets ein eigenes Urteil bilden und ein gesundes Misstrauen haben sollte. So wie damals David Shirreff vom „Economist“.

Jul 2017 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Wirtschaft | Kommentieren