dieter-zetsche-daimler 2Mit der Enthüllungsstory über das potentielle Autokartell der großen deutschen Hersteller Daimler, Volkswagen, BMW, Audi und Porsche hat der Spiegel einen echten Volltreffer gelandet. Die Politik und die betroffenen Konzerne drucksen öffentlich herum. Den Vogel schießt Daimler-CEO Dieter Zetsche mit einem Online-Artikel ab, der vor Phrasen nur so strotzt. Man muss schon zweimal hinschauen, um die Dimension der Frechheit zu erkennen, die sich Daimler-CEO Dieter Zetsche in seiner Erklärung leistet, die er beim us-amerikanischen Karriere-Netzwerk LinkedIn veröffentlicht hat. Unter der Überschrift „Die aktuelle Lage“ beginnt er seine Einlassung mit den Worten „Reden wir nicht drumherum“, um anschließend genau das sehr ausführlich zu tun: drumherum zu reden.

Zetsche schreibt:

Laut Medienberichten vom vergangenen Wochenende gibt es den Verdacht, dass mehrere Automobilhersteller, darunter auch wir, kartellrechtswidrige Absprachen getroffen haben. Außerhalb und innerhalb unserer Branche fragen sich verständlicherweise viele:
„Was ist da dran?“

Ja, das fragen sich in der Tat viele. Wenn einer dazu eine qualifizierte Antwort geben könnte, dann mutmaßlich der Chef eines der betroffenen Unternehmen, nämlich Daimler-CEO Dieter Zetsche. Laut dem unwidersprochenen Spiegel-Bericht liegen den Kartellbehörden in Deutschland und auf EU-Ebene nämlich umfangreiche Selbst-Bezichtigungen der Konzerne Volkswagen und Daimler bezüglich möglicherweise illegaler Absprachen vor. Sogar die Regierung hat am Montag in der Bundespressekonferenz bestätigt, dass solche Dokumente vorliegen. Zetsche als Daimler-CEO muss das wissen und er wird auch wissen, was drinsteht.

Nun meldet er sich also öffentlich zu Wort und kündigt an, die Frage „Was ist da dran?“ zu beantworten. Seine Antwort lautet, und jetzt schnallen Sie sich bitte an:

Fakt ist: Die Europäische Kommission prüft derzeit die Informationen, die ihr zu diesem Sachverhalt vorliegen. Ich weiß, viele von uns wünschen sich schon jetzt mehr Klarheit.

Wir sind aber gut beraten, uns nicht an Spekulationen zu beteiligen.

Wie bitte? Zetsche bestätigt noch nicht einmal selbst, dass Daimler die Kartellbehörden informiert hat. Stattdessen kommt die windelweiche Standardphrase, man sei „gut beraten“, sich nicht an Spekulationen zu beteiligen. Wen meint er hier eigentlich mit „wir“? Zetsche schreibt gerade so, als säße er gemütlich im Ohrensessel und habe mit der ganzen Sache nicht das Geringste zu tun.

Das war es dann auch schon, was Zetsche zu den möglicherweise illegalen Absprachen der deutschen Autokonzerne zu sagen hat. Es ist weniger als nichts, es ist eine Unverschämtheit. Schweigen, wäre in diesem Fall sogar die bessere Kommunikationsstrategie gewesen.

Im Anschluss greift Zetsche noch einmal tief in die Phrasenkiste und schwafelt von der „Innovationskraft der Ingenieurinnen und Ingenieure“ in Bezug auf den Dieselmotor, jubiliert von einem der besten Quartale der Unternehmensgeschichte und, was Wunder, das ist ihm „heute ganz besonders wichtig“:
„Danke an das Team für diesen großartigen Einsatz!“

Nicht vergessen, beim großen Phrasen-Feuerwerk: „Innovation ist seit jeher Teil der Daimler DNA.“ Er lässt wirklich keine abgegriffene PR-Plattitüde aus. Zetsche schließt mit den Worten:

Jetzt stehen für viele von Ihnen aber erst einmal Sommerferien an. Ich wünsche Ihnen einen erholsamen Urlaub!

Ihr
Dieter Zetsche

Jaha, alles nicht so wild. Erst mal nicht spekulieren, die Zahlen sind doch toll, Innovation und DNA, blablabla usw. schöne Ferien.

Es braucht schon ein gehöriges Maß an Chuzpe, um eine solche Stellungnahme zu veröffentlichen. Noch schlimmer als Zetsches kommunikativer Totalausfall ist nur der Gedanke, dass er damit durchkommen könnte. Die Verflechtungen zwischen Auto-Industrie und Politik sind wohl bekannt. Erst am Montag war in der Bundespressekonferenz zu besichtigen, wie die Regierungssprecher allesamt eifrig herumdrucksten, wenn es um das Thema Kartellvorwürfe ging. Die meist gehörte Aussage: bloß nicht spekulieren. Da sind sich Regierung und Zetsche sehr einig. Ansonsten ließ tief blicken, dass offenbar kein Fachminister und auch das Kanzleramt es nicht für nötig befunden haben, nach der Spiegel-Enthüllung mal bei den Auto-Bossen nachzufragen, was da los ist.

Hinter den Kulissen geht es weit weniger zurückhaltend zu. Wie die Süddeutsche berichtet, datiert die Selbst-Bezichtigung von Daimler bei den Kartellbehörden schon aus dem Jahr 2014. Die „Kooperationspartner“ wussten davon offenbar nichts und sind entsprechend sauer auf die Petze.

Das wirft freilich auch die Frage auf, warum seit 2014 nichts geschehen ist. Offenbar musste die Geschichte erst zum Spiegel durchgestochen werden, damit nun vielleicht hoffentlich etwas ins Rollen kommt. Auf die Auto-Industrie darf man bei der Aufklärung jedenfalls nicht zählen. Immerhin das machte Daimler-Chef Zetsche überdeutlich. Schöne Ferien und gute Nacht!

Jul 2017 | Allgemein, In vino veritas, Politik, Sapere aude, Wirtschaft | Kommentieren