„Das Land, das die Ausländer nicht beschützt, geht bald unter“, schrieb Goethe im „West-östlichen Divan“. Was er damit meinte, das wollen wir – nachdem bei uns ein restriktives Ausländergesetz den Bundestag „passierte“ – für diesmal unter die Lupe nehmen.
Lange bevor es „Deutsche“ überhaupt gab, läßt sich eine multikulturelle Gesellschaft nachweisen in Köln etwa, in Trier, Augsburg und Passau. Immer neue Einwanderer stießen hinzu.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kamen die aus Frankreich wegen ihres protestantischen Glaubens wegen vertriebenen Hugenotten — die Vorfahren des derzeitigen Bundesinnenministers Thomas de Maizière dürfen dabei gewesen sein -‚  erst durch sie blühte Preußen wirtschaftlich auf. Um 1900 erledigten Millionen Polen Knochenarbeit auf den großen landwirtschaftlichen Gütern östlich der Elbe, in der Schwerindustrie und in den Bergwerken des Ruhrgebiets. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden viele Vertriebene aus Osteuropa hier eine neue Heimat und trugen wesentlich dazu bei, das deutsche „Wirtschaftswunder“ blühen zu lassen.
Ende der sechziger Jahre dann unternahm die westdeutsche Industrie massive Anwerbekampagnen in Italien, Spanien, Jugoslawien und der Türkei – erinnern wir uns der medial groß aufgezogenen Empfänge auf Bahnhöfen – und diese „Gastarbeiter“ sorgten in den siebzieger Jahre nicht nur für eine Hochkonjunktur, sondern allemal auch für eine kulturelle Bereicherung in diesem unserem Land.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Ja! Aber: impossibilium nulla est obligatio – Bürgerliches Gesetzbuch § 275, 1

Migranten nicht willkommen KopieEinwanderungsland? Das war es doch schon immer gewesen. Und es hat davon in allen gesellschaftlichen Bereichen profitiert. Es ist immer wieder aufs Neue absurd anzunehmen, wir hätten ohne „die Ausländer“ mehr Arbeitsplätze, mehr Wohnungen, Verdienst und Konsum zur Verfügung. Dieser Irrtum lässt vor allem in der Ex-DDR Ängste in zumal von Ultrarechten geschürten Fremdenhass umschlagen. Dem ist, wir halten Pekida und so weiter zum Trotz dafür, ein unbedingtes Plädoyer für Toleranz entgegenzuhalten:
„Alle Menschen sind Ausländer ? Fast überall !“. Wir kennen den Klaus Staeckschen Spruch.

oekumene_zusammenarbeit-1920x1280Aber, auch dies: Wenn, wie gesagt wird, jedes Volk seine eigene Art hat, zu denken, dann beweist uns der Umgang mit Ausländern hierzulande wie anderswo, dass alle Völker die gleiche Art haben, nicht zu denken. Das „Anderswo“ aber – wo dann ja wir Ausländer sind – soll uns heute nicht interessieren. Kehren wir vor unserer eigenen Tür. Da sind nämlich wir die verantwortlichen Inländer.
Wer etwas verstehen will, der muss verstehen wollen. Und dazu muss erst mal nach den Problemen der Ausländer gefragt werden, danach (für alle, die es noch immer nicht wissen wollen) weshalb sie alles verlassen haben, nachdem sie von wem oder was ausgebomt wurden, Verwandte verloren haben und, na, eben nach alledem. Und, dann natürlich auch nach Isolation, Wohnsituation und Sprache. „Oikomene“  – Kirchen sagen Ökumene – das meint den „gesamten bewohnten Erdkreis“, das sagt freilich, dass auch die „Nichtgetauften“ eingeschlossen sind. Sein sollten jedenfalls!  Wird doch – den „Christen jedenfalls – in 2. Mose 22, 20 beigebracht: „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken;“ und in 5.Mose 10, 17 könnten Christen, wollten sie nur, lernen: „Denn der HERR, euer Gott, ist der Gott aller Götter und der Herr über alle Herren, der große Gott, der Mächtige und der Schreckliche, der die Person nicht ansieht und hat die Fremdlinge lieb, da· er ihnen Speise und Kleider gibt“.

Fremde (wie Freunde):
Nicht instrumentalisieren!

Wollen wir „Fremde“ in unserem Land nicht zu Objekten – und wäre die Absicht auch eine noch so gute – degradieren, so können wir nur mit ihnen zusammen, partnerschaftlich, notwendige Veränderungen anstreben. Wir müssen also ausländische Mitbürger (erst einmal jedenfalls) akzeptieren, wie sie sind, nicht, wie wir sie gerne haben wollen.
Das ist – das sei eingeräumt – nicht immer leicht. Zumal dann nicht, wenn Fremde, nicht wie die vordem ins Land gebetenene „Gastarbeiter“, sondern als Flüchtlinge, als nicht eingeladene Gäste, in unser Land kommen und Probleme vervielfachen, die wir hier ohnehin schon zur genüge haben (selbst wer als „deutscher Flüchtling“ nach dem letzten Krieg in den Westen verschlagen wurde, kann davon noch ein Lied singen).

Christentum_christlicher_Glaube_Abendland_Kolonialismus_Kolonialisierung_abendlaendische_Zivilisation_Unglaeubige_Ketzerei_Kelten_Keltentum_Hybris_Gerd_von_Paczensky_-ApologetenDem Satz getreu „es kann nicht sein, was nicht sein darf“ mussten sämtliche Relikte beseitigt werden, die der Gleichsetzung von Abendland und Christentum widersprachen. Das Christentum hat stets Wert darauf gelegt, dass nur seine Werte alleinige Wahrheit und Gültigkeit besitzen, andere Religionen wurden verteufelt, ihre Anhänger als Heiden gebrandmarkt und antike wissenschaftlichen Erkenntnisse als gotteslästerlich diskriminiert und ausgelöscht. So ist etwa die – mal nur zum Beispiel – große Bibliothek von Alexandria von christlichen Eiferern um das Jahr 300 zerstört worden, wobei unersetzliches Wissen der Antike verloren ging. Die Grundlagen für die Intoleranz des (finsteren) Mittelalters und den kulturellen Verfall wurden gelegt. Die Hybris des offiziellen Christentums war und ist grenzenlos.

Das mittlerweile auch von Politikern hoffähig gemachte rassistische Gerede und die Phrase vom „christlich-abendländischen Erbe“, das wir jenen zufolge hierzulande zu verteidigen haben, ist nicht allein Politiker-Credo, es ist längst eine große Koalition beträchtlicher Teile der deutschen politischen Klasse, den Neonazis und herumschlagenden Skinheads. Kampagnen gegen eine vorgeblich durchrasste und durchmischte Gesellschaft werden zunehmend hingenommen, wir müssen hilflos zusehen, wie Holocaustmahnmale geschändet werden, das Betreten großer Teile dieses unseres Landes vornehmlich im Osten mit seinen ausländerbefreiten Zonen ist für Nichtweiße zum tödlichen Leichtsinn geworden, wie das selbst in der frühen Nazizeit undenkbar war. Hier wären Kirchen und Parteien gefordert, die mit massiven antirassistischen Kampagnen einem radikalen Umdenken den Weg zu ebnen versuchen sollten..

Härtetest für Liberalität – oder: Wie die Politik versagt hat.
Mit nämlich „wir schaffen das”, sind Versäumnisse nicht wegradiert

Merkel mag ihren Spruch noch so gut gemeint haben, der Härtetest für die Liberalität der Gesellschaften aber wird immer schmerzlicher; wir sind (und dahinein möchten wir BB zitieren: „Wer A sagt, der muß nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war“) von den Ereignissen überrollt worden – und das muss niemanden verwundern – weil seit Jahrzehnten in diesem existenziell wichtigen Bereich nur administriert, nicht aber geführt wird. Innere Distanzen zu ethnisch Andersartigen mögen  mit einem hohen Respekt für diese Andersartigkeit verbunden sein. Und dennoch lässt sich daraus nicht unabdingbar die Bereitschaft folgern, deren Ausdrucksformen täglich erleben zu wollen. Darüber zu räsonieren, ob eine solche Haltung christlich, menschlich oder weltoffen sei, führt das zu gar nichts. Rund um die Welt und in der Republik zeigt sich doch ständig, daß es sich hier um harte, psychologische Grundtatsachen handelt. Und die, die allerdings haben politisch nicht zur Disposition zu stehen.

Jahre „danach“ – Jahrestage sind lästige Rituale. Viele reden, keiner hört hin

Dazu ist (eigentlich!) schon alles gesagt und geschrieben. Warum soll es nach Jahren Abschaffung des Asylgrundrechts anders gehen? Kaum ein Argument, kaum eine Warnung, die nicht schon vor Jahren sowohl vorgebracht, wie auch bestätigt worden wäre. Das immer wieder angeführte Thema Sozialhilfe muss gerade von der CDU behutsam angegangen werden, nicht zuletzt deshalb, weil Dank ihrer katastrophalen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialabbaupolitik ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland zum Sozialhilfeempfänger gemacht wurde. In der Tat.

Fortuna_Tankred_Jindra6Das Rad der Geschichte ließe sich vielleicht  theorethisch zurück-, zumindest aber in eine andere Richtung drehen. Aber: Bitte wer will denn das ernsthaft versuchen? Selbst in rot-grünen Koalitionen wurde und wird ein solches Vorhaben unter „ferner liefen“ abgelegt. Hätten nicht gerade Pro Asyl und Wohlfahrtsorganisationen asylrechtliche Mindestanforderungen an eine wie auch immer gefärbte Regierung gestellt, kaum jemandem wäre dies aufgefallen: Jahre nach der Aushöhlung des Asylrechts hat sich in der Parteienlandschaft auch die kleine Koalition der Kritiker mit dem Status quo arrangiert. Und dazu müssen nicht Feigheit und/oder Resignation Steigbügelhalter gewesen sein, es gibt einfach einen Mangel an Alternativen. Derweil nämlich die Asylrechtsänderung das seit Jahren heftigst umstrittene Thema war, hat sich heute – die Gesetzesänderung hat ihr Scherflein dazu nicht unwesentlich beigetragen – das gesellschaftliche Klima dermaßen nach rechts verschoben, dass kaum jemand ernsthaft den alten Zustand von vor 40 Jahren einfordern würde. Allenfalls Schadensbegrenzung muss eingeklagt werden dürfen.

Makaber:

asyl2014_abstimmungsverhalten2Der umstrittene „Asylkompromiss“ – eine unverfrorene Formulierung – hat nicht nur die Statistiken des Bundesinnenministeriums, sondern auch seine linken Kritiker von einem Konfliktfeld entlastet. Dies aber muss von welcher Regierung auch immer eingeklagt werden dürfen: Dass die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskommission und der Europäischen Menschenrechtskommission in Deutschland wieder uneingeschränkt Geltung erlangen. Dem nämlich ist derzeit gerade mal wieder nicht so.

Geben wir uns denn also dies immer mal wieder mit auf den Weg: „Dostluk“, das ist türkisch und heißt Freundschaft. Und die, das weiß auch Jürgen Gottschling nur zu gut, ist nirgendwo billig zu haben. Wie schwer es auch immer fällt, wir haben den Versuch zu unternehmen, auf uns zukommende Probleme in diesem Sinne zu lösen. Und, zu guter Letzt: Wer sich befreunden will, der muss sich erst einmal befremden lassen! Das ist wie im Leben …

Jul 2017 | Heidelberg, Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren

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