[1]Sie sind radikal, sendungsbewusst und zunehmend erfolgreich: christliche Fundamentalisten in Deutschland. Die Bibel ist für sie Lebens- und Glaubensgrundlage, andere Religionen lehnen sie ab, alle Nichtchristen wollen sie bekehren. Homosexualität gilt als Sünde, Sex vor der Ehe ist verpönt, die Evolutionstheorie stellen sie in Frage. Nach Schätzungen leben in Deutschland mehr als eine Million von ihnen. Die Autoren haben zahlreiche fundamentalistische Gemeinden und deren Veranstaltungen besucht, mit Anhängern, Aussteigern und Theologen gesprochen, Internetforen beobachtet, Veröffentlichungen der bibeltreuen Christen ausgewertet, unzählige Predigten analysiert. Das Buch zeigt die Arbeit von entsprechenden Vereinen, Missionswerken und Lobbygruppen, informiert über autoritäre Strukturen, angebliche Wunderheilungen und Dämonen – austreibungen. Und wie Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland mit diesen radikalen Gruppen umgehen.
Prof. Wolfgang Huber – im Ortsverein Altstadt Schlierbach der Heidelberger SPD erinnert man sich an ihn als weltoffenen Theologieprofeesor – dann wurde aus ihm der Genosse Bischof, mittlerweile steckt aber auch er im Kuratorium einer solch sektal-fundamentalistischen Gemeinschaft – geschehen also doch noch Zeichen? Und Wunder? – „Das habt zum Zeichen …!“ :
„Heilung, Dämonenglaube und Exorzismus“
Sei geheilt von Multipler Sklerose! Sei geheilt von deinem Gichtleiden! Arthrose, Arthritis, Taubheit, Tinnitus! In Jesu Namen!« Der Prediger Reinhard Bonnke betet im Mai 2008 in der »Freien Christengemeinde Bremen« für Kranke. Die evangelikale Gruppe zählt sich zur Pfingstbewegung. »Der heilige Geist ist auch ein heilender Geist«, ruft Bonnke, die Gläubigen klatschen und jubeln. Reinhard Bonnke ist deutscher Missionar. Mit dem Verein »Christus für alle Nationen« zieht er durch die Welt, um möglichst viele Nichtchristen zu bekehren. Dabei wirbt er mit einem verlockenden Versprechen: Wer sich zu Gott bekenne, erhalte die Möglichkeit, allein durch Gebete gesund zu werden. Blindheit, Taubheit, Bauchspeicheldrüsenkrebs – Bonnke schließt jede noch so schwere Krankheit in sein Gebet ein. Den Gläubigen ruft er zu: »Bei Gott gibt es keine Begrenzungen. Wir haben viele Fälle, das sind Rundum-Erneuerungen, komplett, total!« Er bete auch für Kranke, die von den Ärzten schon aufgegeben worden seien. Und so schreit er: »Tumore weicht in Jesu Namen! Krebs verschwinde in Jesu Namen! HIV-positiv werde HIV-negativ! In Jesu Namen! In Jesu Namen. Sei geheilt von deiner Lungenkrankheit, Asthma! Sei geheilt von Epilepsie! Sei geheilt von allen Hautkrankheiten! In Jesu Namen. Alle Infektionen, Neurosen, ich breche die Kette aller Depressionen, in Jesu Namen! Die Freude am Herrn wird deine Stärke sein und deine Medizin sein.
Gehorsam, Dauereinsatz und hohe Spenden
Wenn du Vergebung brauchst, dann komm jetzt nach vorn!«, ruft der Prediger auf der Bühne. Links von ihm flackern künstliche Flammen in einem mannshohen siebenarmigen Leuchter. Hinter ihm stehen die Mitglieder der Gemeindeband. Sie schauen ernst, einige blicken auf den Boden. Der Prediger aus den USA, Steve Hill, geht von einer auf die andere Bühnenseite, das Mikrofon fest in seiner Hand. Mit geschlossenen Augen ruft er: »Knie Dich hier vorn hin, komm, komm!« Er sagt das auf Englisch, eine Frau übersetzt. Im Mai 2008 ist der evangelikale Prediger zu Gast in der Zelthalle der freien, charismatischen »TOS Gemeinde Tübingen« (TOS) zu sehen auf einem Mitschnitt der Gottesdienst-Übertragung im Internet. Mit den Fingern der rechten Hand winkt er die Gläubigen zu sich. Die ersten zwängen sich aus den Stuhlreihen und gehen nach vorn. Sie knien sich vor dem Prediger auf den Boden. »Kommt, beeilt Euch, schnell, lasst den Herrn ein wichtiges Werk in Euerm Leben tun.« Innerhalb weniger Minuten ist kaum mehr Platz auf dem Boden vor der Bühne. Mehr als dreißig überwiegend junge Gläubige knien, einige heben den rechten Arm Richtung Decke, andere legen ihren Kopf auf die Knie. Die Band spielt eine Pop-Ballade, eine Frau singt: »I give you my soul.« Steve Hill brüllt: »Beeil dich, du hast noch dreißig Sekunden, zeig Gott, wie ernst es dir ist!« Schließlich spricht die Gemeinde das Gebet des Predigers nach: »Lieber Herr Jesus, bitte vergib mir, wasch mich rein, sei mein Retter!
Kreationismus
Während seines Vortrags im November 2007 wirft Werner Gitt ein Foto auf die Leinwand. Es zeigt die Köpfe von vier amerikanischen Präsidenten – mehrere Meter hoch, in einen Fels gehauen: Das »Mount Rushmore National Memorial« in South Dakota. Mit seinem Laser-Stift umkreist er die riesige Skulptur, ein leuchtender roter Punkt fährt die Gesichtszüge entlang. Über dem Foto steht: »Design oder Zufall?« Der bibeltreue Christ spricht vor gut zweihundert Menschen im Bürgersaal der norddeutschen Stadt Rotenburg an der Wümme. Er fragt: »Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen heute Abend erzählen würde, das hat sich im Laufe der Jahre entwickelt – durch Wind und Wetter, Frost und Hitze, durch Schnee und Regen. Dann fiel etwas von dem Stein ab und auf einmal nach langer Zeit kam das dabei heraus. So einen Blödsinn kann doch kein Mensch glauben.« Gitt hebt seine linke Hand. »Jeder sieht doch, dass hier Intelligenz am Werke war und Künstler das geschaffen haben, die umgehen konnten mit Meißel und Stein.« Das Foto auf der Leinwand wechselt, eine große farbige Blüte erscheint. »Jetzt kommt der Gipfel. Dieses hier ist Leben. Und jetzt kommen Leute in unseren Tagen, die sagen, ja, das kann von ganz alleine entstehen. Ist das nicht unfassbar, dass man so was glauben kann?« Der Evolutionskritiker hält kurz inne, dann sagt er: »Dabei ist das so genial gemacht. Dann wächst das und wird gestaltet nach der Information, die der Schöpfer hineingelegt hat in jedes Samenkorn.
Der Einfluss wächst – Evangelikale und die Landeskirchen

Beruflicher Werdegang 1966 – 1968 Vikar und Pfarrer in Württemberg 1968 – 1980 Mitarbeiter und stellvertretender Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg 1980 – 1984 Professor für Sozialethik in Marburg 1984 – 1994 Professor für Systematische Theologie in Heidelberg 1983 – 1985 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages 1989 Lilly Visiting Professor an der Emory University in Atlanta/USA 1994 Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 2004 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin – Brandenburg – schlesische Oberlausitz 2008 Ehrendoktorwürde der Christlichen Theologischen Akademie Warschau.“Pro Christ“ – und nun, was soll werden?
Wolfgang Huber (links im Bild) ist auch Mitglied im Kuratorium von »Pro-Christ«. Der Verein organisiert im Abstand von zwei bis drei Jahren eine gleichnamige Missionsveranstaltung. Mehrere Abende hintereinander werben dort Prediger und christliche Musiker für ihren Glauben. Das Treffen wird gleichzeitig über Satellit an Hunderte Orte in Europa übertragen. Die internationale »Großevangelisation« wurde von der »Deutschen Evangelischen Allianz« mit ins Leben gerufen. Bei der ersten »ProChrist«-Veranstaltung 1993 war genau wie beim ersten »Christival« 1976 der US-Amerikaner Billy Graham als Starprediger zu Gast. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des evangelikalen Glaubens und hat im Lauf von fünfzig Jahren weltweit vor insgesamt etwa 200 Millionen Menschen gepredigt. Seine Veranstaltungen bezeichnete er als »Kreuzzüge für Christus«. Graham wurde auch »Maschinengewehr Gottes« genannt. Ende 2008 ist er neunzig Jahre alt geworden. Die Werbekampagnen für die Veranstaltungen in Deutschland beginnen mehrere Monate im Voraus. Für »ProChrist 2006« schickten die Veranstalter kleine, orangefarbene Autos durch mehrere Länder – als »kleinste Kirche«. Zum Auftakt setzte sich Bischof Huber für die Kameras ans Steuer und segnete die Autos. Das zeige, dass sich der deutsche Protestantismus »in einer historischen Wende« befinde, schrieb damals die Welt am Sonntag. Aus der Unterstützung der EKD für »ProChrist« könne man eine klare Botschaft lesen: »Die Kirche soll sich neu profilieren – glaubensfester, entschiedener, missionarischer.« Das sei erstaunlich, da Wolfgang Huber lange Zeit als »wilder Linksprotestant« gegolten habe. Der Autor meint: »Deutschlands oberster Protestant ist auf Kraftstoff für seine ausgezehrte Kirche gestoßen, auf evangelikales Glaubensgut.« Zu der »ProChrist«-Veranstaltungswoche im März kamen nach Angaben der Veranstalter insgesamt etwa 35 000 Besucher in die Münchener Olympiahalle. Insgesamt sollen an allen beteiligten Orten etwa 1,5 Millionen Menschen dabeigewesen seinDas Ziel von »ProChrist« sei, dass möglichst viele Menschen das Evangelium hören, heißt es auf der Internetseite. Und so schreibt der Vorsitzende Raimund Utsch über eine »ProChrist«-Predigt: »Als Ulrich Parzany die Menschen aufrief, Jesus zu folgen, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus.« Am ersten Abend seien insgesamt 165 Menschen dem Aufruf gefolgt, am letzten 400, so Utsch. »Das ist es, dafür arbeiten wir, dass Menschen zu Jesus finden!« Ulrich Parzany ist der Leiter und einer der prominentesten Prediger von »ProChrist«. Der Theologe hatte sich zuvor auch mehrere Jahre für die evangelikale »Lausanner Bewegung« engagiert und war Mitglied im Vorstand der »Deutschen Evangelischen Allianz«. Theologisch stehe er für eine Richtung in der christlichen Kirche (und die Reformation? [3]), die der Bibel vertraue, erklärt er im Interview. »Wir glauben, dass da eine Kraft drin ist – Wahrheit, die verändert.« Auf die Frage, warum er Homosexualität für eine Sünde halte, reagiert er empört und sagt: »Ich würde nie sagen, dass Homosexualität Sünde ist. Eine Prägung ist nicht Sünde.« Anschließend erklärt er, »Praktizierte Homosexualität« sei Sünde. Homosexuelle Praxis werde im Alten und im Neuen Testament eindeutig kritisch beurteilt. Man müsse für sein Verhalten Verantwortung tragen, so Parzany. Wenn man heterosexuell sei, rechtfertige das ja auch nicht, dass man durch die Betten hure.
Lambrecht, Oda / Baars, Christian
Mission Gottesreich
Fundamentalistische Christen in Deutschland
erschienen im Ch. Links Verlag,
2. Auflage
Preis: 16,90 Euro.
ISBN: 978-3-86153-512-6
Ausstattung: Broschur
Seitenzahl: 256