Kinder als Opfer – (Gety Bild: Trauernde Jugendliche nach dem Anschlag in Manchester) furchtbarer kann kein Schrecken sein. Nach Manchester ist Weitermachen keine Lösung mehr. Der Terror muss endlich wirksam bekämpft werden. Dafür braucht es mehr als Waffen. Der Schrecken von Manchester ist ein Weckruf. Jeder spürt: Diese Tat war kein Anschlag wie jeder andere. Aber schon dieser Satz zeigt, da läuft etwas schief:
Anschlag wie jeder andere? Haben wir uns bereits so sehr an den Terror gewöhnt? Das hätte nie geschehen dürfen. Es herrscht zwischen den Terroristen und uns ein Überbietungswettbewerb. Je mehr wir uns an den Schrecken gewöhnen, desto schrecklicher müssen die Taten der Terroristen werden. Denn sie wollen uns ja erreichen. Dieser Wahnsinn muss aufhören. Wir müssen den Terror endlich wirksam bekämpfen. Aber diese Aufgabe werden Geheimdienste und Militär nicht allein lösen.
Nach jedem Anschlag heißt es: weitermachen, nicht nachgeben, unser Leben fortsetzen, dem Terror trotzen. Das ist erstens falsch und zweitens nicht richtig.
Falsch ist es, weil wir längst unseren Lebensstil dem Terror geopfert haben. Die Terroristen haben alles verändert, das Antlitz unserer Städte, unser Verhalten in der Öffentlichkeit und unseren Blick auf Fremde. Jeder Flugreisende muss sich inzwischen Kontrollen unterziehen, die denen bei der Aufnahme in die U-Haft ähneln. In italienischen und französischen Großstädten bestimmen längst schwer bewaffnete Soldaten das Straßenbild, als befänden wir uns im Krieg. Und wenn wir einen frommen Muslim sehen, bekommen manche es unwillkürlich mit der Angst zu tun.
Die Forderung, sich vom Terror nicht beeindrucken zu lassen, ist aber außerdem auch nicht richtig: Solange jeder von uns nicht wegen seines individuellen Verhaltens, sondern wegen seiner Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe jederzeit getötet werden kann, darf es keine Normalität geben. Wir haben uns an den Terror gewöhnt. Das hätte nie geschehen dürfen.
Schale Verurteilungsrituale
Die ganze Sinnlosigkeit der westlichen Strategien gegen den Terror ist atemraubend. Großbritannien gehört sicher zu den am besten überwachten Ländern der Welt. Aber die britischen Dienste waren nicht in der Lage, das Attentat von Manchester zu verhindern, ebenso wenig wie die französischen das von Nizza verhindert haben, die deutschen das von Berlin, die amerikanischen das von Boston. Die Geheimdienste können diese Aufgabe nicht erfüllen. Und das Militär kann es auch nicht. Trumps Bomben auf Syrien, der ganze Antiterrorkrieg des Westens und die Militarisierung unserer Gesellschaft – das alles ist nichts als bewaffnete Kapitulation vor dem Terror.
Denn der Terror ist wie eine metastasierende Krankheit: Er breitet sich aus. Er kann überall ausbrechen. Er nährt sich von Quellen, die von seinem Ursprung weit entfernt sind. Es gibt keinen Herd, den man ausradieren kann. Es gibt keine Anführer, mit deren Tod der Terrorismus stirbt. Die Welt wurde nicht sicherer nach dem Tod Osama bin Ladens und Abu Sayyafs. Sie würde nicht sicherer nach dem Tod Aiwan al-Sawahiris.
Jeder getötete Terrorist hinterlässt zwei neue.
Der Terror, mit dem wir es zu tun haben, ist kein politisches, militärisches oder religiöses Problem – sondern ein psychologisches und ein soziales. Der Westen muss den Kampf gegen den islamistischen Terror endlich dort führen, wo er ihn auch gewinnen kann: bei sich zu Hause. In den Banlieus und Suburbs, den Gefängnissen, den Moscheen, den Schulen.
Donald Trump hat gesagt, der Kampf gegen den Terror sei der Kampf zwischen Gut und Böse. Warum nicht? Aber wenn wir in diesem Kampf die Guten sein wollen, dann sollten wir uns auch so verhalten. Jakob Augstein